Knapp vier Monate reiste er durch Südamerika: Ecuador, Peru, Bolivien, Chile und Argentinien hießen die Etappen. Fast täglich erreichte eine E-Mail die Liebsten zu Haus, 76-mal hieß es „Hola!“ aus überfüllten Internetcafés, irgendwo im andinen Hochland, in Quito, am Amazonas, in La Paz oder der „Mega-super-flirring city“ Buenos Aires. Marco Gerhards ging unter die Globetrotter und Backpacker, er staunte, lauschte, beobachtete – und haute seine „Nachrichten“ in die Tasten, unvermittelt, frisch von der Straße, live von unterwegs. Entstanden ist eine bunte Melange aus Reiseeindrücken, Gedanken und Reflexionen – geschrieben für alle, die dabei sein wollten, die neugierig seiner News harrten über „Indianerherzen, wandelnde Bäume und rotlackierte Möpse“.
„Briefe aus Südamerika“ nennt sich das im Verlag interconnections erschienene Reisetagebuch und bietet allen Interessierten die Möglichkeit, noch einmal oder neu nachzuspüren, was Marco Gerhards & Friends via elektronischer Nabelschnur vereinte in den 16 Wochen dieses Ferntrips, der für den Autor (und seine Leser) mehr bereithielt als „Hühnerfüße in Suppen und kross frittiert“, „gegrillte Meerschweinchen“ und den exotisch-fremden Reiz des Unbekannten. Gerhards, der nach eigener Aussage „Lebenskunde, Körperwelten und Geschichten“ studierte, und derzeit als freier Journalist und Körpertherapeut arbeitet, nimmt seine Leser mit auf das Abenteuer Südamerika, lässt sie teilhaben an (s)einer Erkundung von Land, Leuten und Lebenswelten.
Der fern tourende, doch unermüdliche Tagebuchschreiber serviert Texthäppchen und Gedankensplitter und verbindet tagesfrische Impressionen mit „sozialkritischen Exkursen und naturverliebten Bewunderungen“. Gerhards Köstlichkeiten des Authentischen, die, wie er es möchte, so munden sollen „wie ein kleines Stück Haselnusstraum à la Giotto“, sind, das sei ihm angerechnet, mit reichlich Ironie unterlegt. Doch außer Humor und Sprachspielerei bietet dieser Weltenwandler, der sich laut Selbstaussage „für außergewöhnliche, tiefsinnige und lebensbejahende Alternativen“ interessiert, einiges mehr. Das Verspielt-Neugierige mengt sich bei Gerhards mit der Wachheit eines aufmerksam Reisenden, mit kritischen politischen, historischen und sozialen Anmerkungen, die uns, die Leser, Südamerika mit anderen, offeneren Augen sehen und erleben lassen.
Marco Gerhards „Briefe aus Südamerika“ erheben keinen Anspruch an Objektivität, sie sind weder eine für ein Hochglanzmagazin erarbeitete Reportage noch literarischer Reisebericht. Ihre Frische beziehen sie aus dem unmittelbaren Erleben, aus der ungefilterten Mitteilung an Freunde daheim und im Netz. Ihr großer Pluspunkt und Gewinn ist der unverstellte Blick eines Autors, der sich bewegen lässt beim Anblick einer beeindruckenden Natur, der staunt angesichts des überwältigend Neuen und sich einer Erfahrung aussetzt, die bekannt macht mit den Schatten- und Glücksseiten eines Kontinents. Der weltwach Reisende nimmt schärfer wahr, er entdeckt Kontraste und Gegensätze, ob auf den Hauptrouten der Touristenströme oder fernab auf unbegangenen Wegen. Wir können ihm folgen, Gerhards „Hola!“ lädt ein.
Literaturangabe:
GERHARDS, MARCO: Briefe aus Südamerika. Indianerherzen, wandelnde Bäume und rotlackierte Möpse. Verlag interconnections, Freiburg 2009. 192 S., 18,90 €.
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