Von Julian Mieth
HAMBURG (BLK) - Die Schriftstellerin Brigitte Kronauer gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen. Bekanntheit erlangte sie 1980 mit ihrem Debütroman „Frau Mühlenbeck im Gehäus“. Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki nannte Brigitte Kronauer einst „die beste Prosa schreibende Frau der Republik“. Rezensenten loben den Blick der Schriftstellerin für kleinste Dinge und Regungen beim Schreiben über große Themen. Am Mittwoch (29. Dezember) wird die Wahl-Hamburgerin 70 Jahre alt.
Fährt man die Elbchaussee entlang, vorbei an Villen, Elbe und Hafenanlagen, gelangt man zu Kronauers Wohnung. Die Gegend erscheint einem seltsam vertraut. So anschaulich hat die blonde Frau sie immer wieder in ihren Romanen beschrieben - etwa im hochgelobten „Teufelsbrück“ (2000).
Aufgewachsen im Ruhrgebiet, träumt Kronauer schon als Kind davon, Schriftstellerin zu werden. Weil sie eine unleserliche Schrift hat, lässt sie der Vater Schreibübungen machen, bei denen sie eigene Geschichten zu Papier bringen darf. Als 16-Jährige schreibt sie Hörspiele und schickt diese an Verlage. Dann wird sie aber zunächst Lehrerin in Aachen und Göttingen, um sich einen finanziellen Rückhalt für ihre literarische Karriere zu schaffen.
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Amüsiert erzählt sie von ihrer ersten Publikation: Als 34-Jährige kutschierte sie ein druckfrisches Exemplar ihres Prosabandes „Der unvermeidliche Gang der Dinge“ (1974), an die Windschutzscheibe ihres Autos gelehnt, durch Göttingen - in der Hoffnung, die Stadt würde „schon vom puren Anblick wie vom Donner gerührt“ sein.
Nach zwei weiteren Erzählbänden kommt mit dem ersten Roman „Frau Mühlenbeck im Gehäus“ (1980), in dem sie zwei Frauenleben aufeinanderprallen lässt, der große Durchbruch. Kronauer gilt als Schriftstellerin, die nicht erklären will. Stattdessen lässt sie ihre Leser teilhaben, wenn sie ihren Blick schweifen lässt. Schon ihr Debüt loben die Kritiker für die sprachliche Kunstfertigkeit, Sicherheit des Stils und Originalität der Beobachtung.
Der 1990 erschienene Roman „Die Frau in den Kissen“ schließt die mit „Rita Münster“ begonnene und mit dem „Berittenen Bogenschützen“ fortgesetzte Trilogie zum Thema Emanzipation ab. Für „Teufelsbrück“ erhält sie 2003 den Grimmelshausen-Preis, für „Berittenen Bogenschützen“ (2004) den Bremer Literaturpreis. Die Autorin hat aber auch schon Preise abgelehnt, weil sie glaubte, andere hätten die Auszeichnung mehr verdient.
2005 erhält sie mit dem Georg-Büchner-Preis die renommierteste deutsche Literaturauszeichnung. „Viel länger hätte man dieser Schriftstellerin den Kranz nicht mehr vorenthalten können“, stellt die „FAZ“ damals fest.
Mit dem Klischee vom Schreibrausch kann die zierliche Frau nichts anfangen. „Struktur und Konstruktion sind für mein Schreiben sehr wichtig. Nur so finde ich zu meinen Geschichten, die Bestandteil meiner Existenz sind.“ Literatur stelle für sie „den treuesten und streng fordernden Freund des Individuums dar“.
Ruhe zum Arbeiten findet die zierliche Schriftstellerin in einer kleinen Dachkammer. Hier kann sie an die Welten glauben, die sie selbst errichtet. Doch auch nach all den Jahren fällt ihr das Schreiben nicht leicht. „Es ist ein fortwährender Kampf mit der Wirklichkeit.“ Ausgleich findet sie bei Wanderungen in den Schweizer Bergen.
Kronauers Aufmerksamkeit gilt auch der literarischen Analyse. Zuletzt erschien ihre Aufsatzsammlung „Favoriten“, in der sie über ihre Lieblingsautoren schreibt. „Man schmeckt seine Lieblinge, süß, bitter, am besten beides zugleich, und traut unbeirrt dieser Empfindung: hin und wieder bis zu glühender Parteilichkeit“, schreibt sie in der Einleitung. Kronauer-Fans würden sich über sie sicher ähnlich äußern.
Brigitte Kronauer im Gespräch:
Frau Kronauer, erinnern Sie sich an Ihre literarischen Anfänge?
Kronauer: „Ich hatte als Kind eine furchtbare Schrift und musste darum zu Hause Schönschreibübungen machen. Ich konnte meinen Vater aber überreden, eigene Geschichten schreiben zu dürfen, statt Texte abschreiben zu müssen. So fing das an. Zudem habe ich früh Erwachsenenliteratur gelesen. Das meiste war mir ganz unverständlich. Dass man aber mit Sprache so umgehen konnte, hat mich fasziniert.“
Als Ihr erstes Buch „Der unvermeidliche Gang der Dinge“ erschien, waren Sie 34 Jahre alt. Gefeierte Nachwuchsautoren sind heute oftmals sehr viel jünger. Macht Sie das misstrauisch?
Kronauer: „Es gibt natürlich immer Ausnahmen. Denken Sie an Schiller, der seine „Räuber“ in jungen Jahren schrieb. Der Begriff des Genialen wird heute allerdings sehr leichtfertig benutzt. Bei den meisten sogenannten Ausnahmetalenten ändert sich das aber schon beim zweiten Buch: Oft wenden sich die Medien dann ab oder rächen sich gar für ihre frühere Begeisterung und führen einen dann aufs Schafott.“
Wie erklären Sie sich diesen Jubel-Kult?
Kronauer: „Es gibt die Tendenz, den „"Sound der Jugend“ vorschnell zu vergöttern, weil es sich um etwas Neues, Unverbrauchtes handelt. Ich kann verstehen, wenn müde, alt gewordene Männer der Literaturkritik den Blutgeruch des Lebens nochmals genießen wollen. Zum Anderen gibt es ein großes Gedrängel unter den Kritikern, wer der tollste Entdecker ist. Da werden Werke junger Autoren hochgejubelt, die bei näherer Betrachtung nicht sehr gehaltvoll sind.“
Das kann man von Ihren Büchern nicht sagen, für die Sie eine ganze Reihe wichtiger Literaturpreise erhalten haben - etwa den Georg- Büchner-Preis. Sind Auszeichnungen wichtig für Sie?
Kronauer: „Ach, das ehrt natürlich. Ich habe aber auch Preise abgelehnt. Nicht etwa, weil ich das Geld nicht gebraucht hätte. Sondern weil ich der Meinung war, dass andere die Auszeichnung mehr verdient hätten oder besser gebrauchen könnten. Das wird einem jedoch entsetzlich übelgenommen. Damals habe ich nicht überlegt, dass vielleicht jemand in der Jury für einen gekämpft hat. Heute würde ich das nicht mehr machen, um niemanden zu brüskieren.“
Nun feiern Sie Ihren 70. Geburtstag. Macht Sie das nachdenklich?
Kronauer: „Das Alter gibt immer zu denken auf. Ich wollte etwa nie 16 Jahre alt werden. Später dann wollte ich mit 28 Jahren sterben, um nicht 30 werden zu müssen. Heute bin ich gelassener. Ich muss bei dem Gedanken lachen, dass ich bald 70 werde. Ich fühle mich gar nicht so. Nun, da ich all die Jahre abgeschritten habe, würde ich mit niemandem tauschen wollen. Es sind ja die Erfahrungen und Einsichten, die ein Leben erst ausmachen.“