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Brisanter Stoff über Designer-Babys – Wo bleibt die Moral?

Nina Kramers Roman „Ein Leben ohne mich“

© Die Berliner Literaturkritik, 08.07.08

 

Von Ines Bellinger

Kurze Haare, strenge Brille, präzise Sätze, tiefschwarzer Humor. Schnell ist klar, dass die Schriftstellerin Nina Kramer ihrer Romanfigur Romy Cohen autobiografische Nuancen verliehen hat. Die brachiale, sozial inkompatible und sexuell überreizte Hamburgerin Cohen recherchiert in einem perfiden Fall von organisiertem Sperma- und Embryonenhandel. Ihre Jäger scheitern beim Versuch, sie aus dem Weg zu räumen. Dabei verliert sie ihr Gedächtnis, und vergisst, was sie weiß über Versuchsreihen mit Designer-Babys und über das „Weiße Gold“, aus dem sie entstehen. Trotzdem gelingt es ihr, das schreckliche Puzzle zusammenzusetzen – ein menschliches Zuchtprogramm, in das auch ihr längst toter Vater verwickelt war, weil er für Geld Samen spendete und ohne Romys Wissen Halbgeschwister in die Welt setzte.

„Ein Leben ohne mich“ kündigt der Pendragon Verlag an als Buch über die Wahrheit, wie sie sein könnte. Und Nina Kramer stellt die Frage: „Dürfen wir alles tun, nur weil wir es können?“ Mit der Recherche über die Technologie der Reproduktionsmedizin hat sie vor drei Jahren begonnen. Auslöser war eine Zeitungsmeldung: Frau lässt sich neun Jahre tiefgefrorenen Embryo einsetzen und bringt gesunden Sohn zur Welt. „Je mehr ich dann über das Thema las, desto mehr Gänsehaut bekam ich“, erzählt sie. „Nach und nach hatte ich das Gefühl: Ich muss mir nicht mehr viel ausdenken außer die Figuren, denn es ist alles da.“ Anderthalb Jahre hat die 34-Jährige Fakten zusammengetragen, danach ein Jahr an dem Roman mit Thriller-Elementen geschrieben. Es ist brisanter Stoff, rasend schnell erzählt.

Viel Science-Fiction kommt laut Kramer in dem Buch mit dem hohen moralischen Anspruch nicht vor. Für den Nordischen Kreis, der aus rassischen Motiven mit ausgewähltem Erbgut experimentiert, habe sie ebenso ein Vorbild in der realen Welt gefunden wie für den Mäzen der Reproduktionsmedizin. Ein Altnazi aus Bremen sei das, der tatsächlich fünf Millionen Euro aus seinem Testament an die Fertilisationsforschung gespendet habe. Die Firma, die davon profitierte, habe ihren Sitz in London, denn das deutsche Embryonenschutzgesetz ist vergleichsweise streng.

Aber auch hier existieren Grauzonen, in die Nina Kramer sich vorgetastet hat. Sie sei auf Frauenärzte gestoßen, die für Geld und Diskretion auch offiziell Verbotenes tun, auf Paare, die erst nach der Hochzeit feststellten, dass sie vom selben genetischen Vater abstammen. Schon beim Blick auf das Cover überkommt einen das Grauen: uniforme Baby-Puppen mit blauen Augen, offenem Mund und Barcode auf der Stirn. Leere und Einsamkeit vermitteln auch die brutalen Sexszenen. Nina Kramer wollte mit diesen lieblosen Begegnungen ganz bewusst die Kälte spiegeln, die ihrer Meinung nach auch in der Petrischale herrscht, wenn Ei und Sperma sich treffen.

Unter ihrem Pseudonym Anne West hat Nina Kramer Sex- und Erotik-Ratgeber mit unmissverständlichen Titeln wie „Gute Mädchen tun’s im Bett, böse überall“ oder „Warum Männer so schnell kommen und Frauen nur so tun als ob“ veröffentlicht. Als Nina George schreibt sie Krimis und Liebesromane. Und im „Hamburger Abendblatt“ fragt sie wöchentlich als Kolumnistin: „Lieben sie Hamburg?“ Schon als Elfjährige gab die gebürtige Bielefelderin als Berufswunsch an: „Ich will Hamburgerin werden.“ Und natürlich spielt auch ihr Horror-Szenario über Wunschkinder, die sich kaufen lassen, zwischen Hafen-City und Rothenbaumchaussee.

Dass die moderne Reproduktionsmedizin auch viele Familien glücklich macht, die auf natürlichem Weg kein Kind bekommen können, ist für Nina Kramer im Buch eine Marginalie. Im Laufe der Recherche und des Schreibens haben sich bei ihr parallele Meinungen zu diesem Thema gebildet, sagt sie. Sie verstehe diesen Wunsch, aber wo sind die Grenzen? Ab wann sollte sich Egozentrik dem Zauber des Lebens beugen? „Ich sage es mit Bedacht, aber dennoch voller Überzeugung: Niemand hat das Recht auf ein Kind, niemand hat das Recht auf einen anderen Menschen.“

Literaturangaben:
KRAMER, NINA: Ein Leben ohne mich. Roman. Pendragon Verlag, Bielefeld 2008. 306 S., 14,90 €.

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