Von Johannes von der Gathen
HAMBURG (BLK) – Fünf Stunden lang dauerte die Aufführung, und am Ende gab es kein Halten mehr. „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe.“ Solche Szenen, die sich heute bei Konzerten von Tokio Hotel oder in Castingshows abspielen, ereigneten sich bei der Uraufführung von Friedrich Schillers „Die Räuber“ am 13. Januar 1782 in Mannheim. Da war der Dichter, geboren am 10. November 1959 in Marbach am Neckar, gerade 22 Jahre alt. Das literarische Deutschland hatte seinen Superstar gefunden.
Literatur und Bühne waren die Leitmedien der Zeit, die aber nicht, wie heute das Fernsehen, fast nur der Unterhaltung dienten. Es ging damals um die Selbstvergewisserung eines zunehmend aufgeklärten Bürgertums, das seine Empfindsamkeit im Gegensatz zum kalten Machtkalkül des Adels behauptete. Und was geht uns das heute an, im Jahr des 250. Geburtstags des Stürmers und Drängers, der seine wilden Jugendsünden rasch hinter sich ließ und mit unbeschreiblichem Arbeitseifer auf materiell immer prekären Basis zum wichtigsten Autor der klassischen Kunstperiode neben Goethe avancierte?
Eins steht fest, die Dramen scheinen unverwüstlich zu sein. In den Statistiken des Deutschen Bühnenvereins rangieren „Kabale und Liebe“ oder „Maria Stuart“ immer auf den vorderen Plätzen, beim diesjährigen Berliner Theatertreffen waren „Die Räuber“ in der Regie von Nicolas Stemann eingeladen, als einzige Inszenierung eines Klassikers. Schillers Bühnenfiguren faszinieren noch heute, davon kann man in Burkhards Müllers klug-polemischen Essays in dem Band „Der König hat geweint. Schiller und das Drama der Weltgeschichte“ eine Ahnung gewinnen. Wie Müller zum Beispiel das vertrackte Figurengeflecht im „Fiesco“ aufdröselt, das ist beeindruckend.
Wer sich ernsthaft und umfassend mit Leben und Werk beschäftigen will, kommt an Peter-André Alts großer, zweibändiger Biografie nicht herum. Das grundlegende Werk, erstmals erschienen in den Jahren 2000 bzw. 2004, liegt jetzt in einer preisgünstigen Ausgabe vor. Alt, Professor an der Freien Universität Berlin, gelingt das Kunststück, sich über 1200 Seiten ganz auf der Höhe der germanistischen Forschung zu bewegen und trotzdem ein lebendiges, spannendes Lebens- und Zeitbild zu entwerfen. Ein unverzichtbares Standardwerk.
Eine Nummer kleiner und etwas näher am Feuilleton, aber sehr gut lesbar ist Rüdiger Safranskis Biografie, die seit einiger Zeit auch als Taschenbuch vorliegt. Ebenfalls neu aufgelegt gibt es Manfred Mais verdienstvolles Schiller-Buch „Was macht den Mensch zum Menschen?“, das sich an jüngere Leser richtet.
Für Neugierige hat Gero von Wilpert, dessen „Sachwörterbuch der Literatur“ jeder Germanist kennt, „Die 101 wichtigsten Fragen“ gesammelt und eher launig, aber informativ beantwortet. Ja, es stimmt wirklich, Schiller ließ sich von faulen Äpfeln inspirieren, er hatte wohl wenig Humor, war aber sehr gesellig, und auch Mätressen fand er interessant. Als allerdings Caroline Jagemann, Schauspielerin und Geliebte des Weimarer Herzogs Carl August, die bislang alle Hauptrollen in Schillers Dramen gemeistert hatte, die «Jungfrau von Orleans» spielen wollte, war dies dem Herzog und auch wohl Schiller zuviel des Guten. Über „Schillers Frauen“ liegt ein Band mit 42 Porträts aus Leben und Dichtung vor, die Jagemann fehlt allerdings, und wem nach Pathos und Verehrung im Jubeljahr zumute ist, der sollte sich Thomas Manns großen Essay „Versuch über Schiller“ aus dem Jahre 1955 vornehmen.
Alt, Peter André: Schiller. Eine Biografie. C.H. Beck Verlag, München 2009. Band 1 1759-1791. 736 S., 18 €. Band 2 1791-1805. 686 S., 18 €.
Kiermeier-Debre, Joseph: Schillers Frauen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009. 284 S., 8,90 €.
Mai, Manfred: Was macht den Mensch zum Menschen. Schiller – Eine Biografie. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2009. 304 S., 9,20 €
Safranski, Rüdiger: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2009. 559 S., 12,90 €.
Mann, Thomas: Versuch über Schiller. S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1955. Mit CD 88 S., 16,90 €.
Wilpert, Gero von: Die 101 wichtigsten Fragen. Schiller. C.H. Beck Verlag, München, 2009. 158 S., 9,95 €.