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Calvin nach 500 Jahren noch umstritten

Der Jurist und Theologe gilt als Vordenker der Moderne und des Kapitalismus

© Die Berliner Literaturkritik, 02.07.09

Von Ingo Senft-Werner

Der Reformator Johannes Calvin zählt zu den umstrittensten Persönlichkeiten der Religionsgeschichte. Der strenge Jurist und Theologe gilt als Vordenker der Moderne und des Kapitalismus, aber auch als Despot und religiöser Eiferer. Der Streit um die Deutung hält bis heute an, auch in den Büchern, die in diesem Jahr zu Calvins 500. Geburtstag (10. Juli) erschienen sind. Die Spanne reicht von der kritischen Begutachtung durch den Schweizer Historiker Volker Reinhardt, über die weitgehend neutrale Betrachtung des Kirchengeschichtlers Christoph Strohm, bis zur Würdigung durch den englischen Landpfarrer und Theologiedozenten T.H.L. Parker.

Sie alle folgen den Spuren von Jean Cauvin, der am 10. Juli 1509 in Noyon in der Picardie geboren wird und im Alter von sechs Jahren seine Mutter verlor. Über seine Jugend ist wenig bekannt. Er kommt in jungen Jahren nach Paris an das berüchtigte College Montaigu, studiert Jura in Orléans, Bourges und Paris und wendet sich dann dem Humanismus zu. In dieser Zeit kommt er mit den Anhängern der Reformation in Kontakt und muss 1533 vor den Protestantenverfolgungen aus Paris fliehen. In der Folge pendelt er zwischen Straßburg und Genf.

Vor allem sein Wirken in der Schweiz sorgt bis heute für Diskussionen. Als französischer Flüchtling versuchte er dort, die Reformation durchzusetzen. Mit seiner Kirchenzucht, die etwa Tanzen oder Homosexualität unter harte Strafen stellte, eckte er ständig bei den Einwohnern an. „Er verfügte über einen außergewöhnlichen Gestaltungswillen und konnte Widerspruch nur schwer oder gar nicht ertragen“, schreibt Strohm in dem Band der Reihe Beck-Wissen. „Er sah sich als Werkzeug Gottes, das nicht in eigener Verantwortung, sondern im Auftrag handelte.“

Trotz vieler Anfeindungen konnte Calvin seine Machtposition ausbauen und hatte ab 1555 die Fäden fest in der Hand. Sein Gesellschaftssystem begeisterte seine Freunde wie John Knox, der die Idee der Reformation nach Schottland trug. Er schrieb enthusiastisch, dass „die Sitten und der Glaube nirgends so rein reformiert sind wie hier“.

Der Schweizer Historiker Reinhardt wirft dem Reformator dagegen vor, seine Gegner gnadenlos verfolgt zu haben. Er habe ein Regime mit Bespitzelung, Denunziation, Sittengericht und Angst aufgebaut. Pfarrer Parker kommt mit den selben geschichtlichen Fakten zu einem ganz anderen Ergebnis: „Unsere Geschichte handelt von einem Mann der Ordnung und des Friedens, der in eine Welt des Konflikts hineingeboren wurde“, weist er gleich im Vorwort in seine Richtung.

Konsequenz oder Tyrannei? Die Antwort auf diese Frage bleibt auch nach der Lektüre offen. Knapp zehn Jahre lang führte Calvin das Regiment in Genf, bis er kurz vor seinem 55. Geburtstag 1564 starb. Bis zuletzt arbeite er, gepeinigt von Rheuma und schweren Kopfschmerzen. Auch diese asketische, freudlose Lebenshaltung hat das Image des Reformators geprägt.

Die Geschichte jedoch hat ihr Urteil längst gefällt, darin sind sich Befürworter und Kritiker einig. Calvin war ein Vordenker der Demokratie, der sich für die Kontrolle der Machthaber und die Begrenzung der weltlichen Herrschaft aussprach. Die synodale Leitungsstruktur der reformierten Kirche ist ein Vorläufer der repräsentativen Demokratie. Mit seiner Askese, seiner disziplinierten Lebensgestaltung ist Calvin Vorbild für viele Christen. Sein Streben, den Ruhm des Schöpfers zu mehren - auch mit wirtschaftlichem Erfolg - legte den Grundstein des Kapitalismus.

Literaturangabe:

STROHM, CHRISTOPH: Johannes Calvin. Leben und Werk des Reformators. C.H. Beck Verlag, München 2009. 128 S., 14,90 €.

REINHARDT, VOLKER: Die Tyrannei der Tugend. C.H. Beck Verlag, München 2009.

271 S., 24,90 €.

PARKER, T.H.L.: Johannes Calvin. Ein großer Reformator. SCM Hänssler, Holzgerlingen 2009. 336 S., 19,95 €.

Weblinks:

C.H. Beck Verlag

 SCM Hänssler


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