Von Ulrike Koltermann
PARIS (BLK) - Er hatte schon eine Bahnfahrkarte nach Paris, nahm dann aber doch das Auto. Dann platzte ein Reifen, und der Schriftsteller Albert Camus kam bei dem Unfall im Alter von 46 Jahren ums Leben. Begraben wurde er 1960 in dem provençalischen Dorf Lourmarin, dessen Olivenhaine und Zypressen ihn an seine algerische Heimat erinnert hatten. Von dort soll er nun ins Panthéon umgebettet werden, unter dessen markanter Kuppel die Helden der Nation verehrt werden. Das hat sich zumindest Präsident Nicolas Sarkozy so gedacht. Kritiker meinen, er wolle sich des Schriftstellers posthum bemächtigen, um vor allem das eigene Image zu pflegen.
Sarkozy ist dafür bekannt, dass er nur selten Bücher liest. Wenn er es doch einmal tut, dann sorgt seine Kommunikationsabteilung dafür, dass es in die Medien kommt. Als der französische Schriftsteller Jean-Marie Le Clézio 2008 den Nobelpreis für Literatur bekam, nahm Sarkozy eines seiner Bücher als Reiselektüre auf dem Flug zum G20-Gipfel nach Washington. Zumindest schrieb das der Reporter des regierungsnahen Blattes, der ihn begleitete.
Bei seiner Algerienreise 2007 machte Sarkozy eigens einen Abstecher nach Tipazia an der Mittelmeerküste und schwärmte dort von Camus' Werken. Seit er Camus gelesen habe, bedaure er fast, nicht auch in Algerien geboren zu sein, sagte Sarkozy. Am Strand von Tipazia spielt unter anderem die Anfangsszene des Romans „Der Fremde“, in dem ein junger Mann eher zufällig einen etwa gleichaltrigen Araber erschießt.
Wenn Sarkozy Camus nun ins Pantheon aufnehmen lassen möchte, dann belegt er damit ein Interesse an großer Literatur, das ihm oft abgesprochen wird. In der Vergangenheit hatte er sich mehrfach darüber lustig gemacht, dass Bewerber für den öffentlichen Dienst historische Romane wie „Die Prinzessin von Clèves“ lesen müssen. Zahlreiche Intellektuelle protestierten gegen diese Haltung, und das Buch wurde zu einem Kassenschlager.
„Es wäre ein außergewöhnliches Symbol“, sagte Sarkozy über seinen Plan, Camus ins Panthéon aufnehmen zu lassen. Er stehe bereits mit der Familie von Camus in Kontakt, um sie um ihr Einverständnis zu bitten. Sein Amtsvorgänger Jacques Chirac hatte die Schriftsteller André Malraux und Alexandre Dumas ins Pantheon aufnehmen lassen. Unter François Mitterrand waren eher Politiker und Wissenschaftler geehrt worden, unter anderem der Europäer Jean Monnet und das Ehepaar Curie, wobei Marie Curie bis heute die einzige Frau im Panthéon ist.
„Camus ist konsensfähig“, hatte es im Elysée geheißen, als der Plan in der vergangenen Woche in die Medien kam. Am 4. Januar jährt sich sein Todestag zum 50. Mal. Vermutlich hat Sarkozy aber nicht mit dem Widerstand gerechnet, der seiner Idee seitdem entgegenschlägt. Camus habe Ehrenbezeugungen nicht gemocht, gibt seine Schwester Catherine zu bedenken. Den Literaturnobelpreis hatte er 1957 vor allem aus finanziellen Gründen angenommen. Sein Biograf Olivier Todd befürchtet gar, „dass die Ikone besudelt wird“.
Camus, der als Existenzialist gilt, ohne sich selber so definiert zu haben, hatte selber keine hohe Meinung von Politikern. „Jedes Mal, wenn ich eine politische Rede höre, bin ich erschrocken, wie wenig Menschliches darin ist. Es sind immer dieselben Worte, mit denen dieselben Lügen verbreitet werden“, notierte er. „Der Mensch in der Revolte“ (wie eines seiner Bücher heißt) hätte es absurd gefunden, auf diese Weise vereinnahmt zu werden, schreibt die Zeitung „Le Monde“. Ob Camus vom Dorffriedhof in der Provence in die Pariser Marmorgruft kommt oder nicht, wird am Ende seine Familie entscheiden.