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Carl Schmitt – Aufstieg und Fall

Eine neue Carl-Schmitt Biographie von Reinhard Mehring

© Die Berliner Literaturkritik, 02.02.10

Von Thomas Hajduk

Die Biographie gehört zu den schwierigsten Genres überhaupt. Das mag man in Anbetracht der Fülle an Neuerscheinungen kaum glauben können: zumindest die Biographen scheinen es anders zu sehen und sich ihrer Sache und Fähigkeiten sicher zu sein. Auch die Leser finden großen Gefallen an den unterhaltsamen „Lebensbildern“ berühmter Frauen und Männer. Doch selbst diese von Kritikern und Lesern gelobten Biographien genügen meist einem Grundgebot der Wissenschaft nicht: reflektiertes Vorgehen.

Die Arbeitsweise eines Biographen folgt nämlich in der Regel einem simplen Muster: Es gilt die Geschichte eines möglichst interessanten Menschen zu erzählen, beginnend von der Geburt bis hin zur Gegenwart oder dem Tod des Protagonisten. Dafür sammeln Biographen meist so viel Material wie eben möglich. Wenn sie anschließend ihre Karteikartenkästen und Exzerpte auch noch spannend und überzeugend zu Papier gebracht haben, dann haben sie nach gängiger Meinung eine gute Biographie vorgelegt.

Gedanken über ihre eigenen Grundannahmen und die Rolle als Biograph machen sich die wenigsten Autoren. Die Vorworte und Anhänge schweigen hierzu meist. Das ist – zumindest bei ernstzunehmenden Wissenschaftlern – verwunderlich, da bereits seit Jahrzehnten die mangelhafte theoretische Begründung von Biographien kritisiert wird. Die große Mehrheit aller Biographien unterscheidet sich nämlich gemessen an der theoretischen Reflexion sowie dem Zugang nicht von den Werken des 19. Jahrhunderts: Bildungsromanen entlehnte Erzählungen, die ihre Qualität an der Menge der Lebenszeugnisse festmachen, die ihr Autor berücksichtigt hat.

Biographen, denen das bewusst ist, sind selten. Solche, die die Konsequenzen ziehen, sind noch seltener. Das ist nicht überraschend, fordert die Kritik an der traditionellen Erfassung und Erzählung eines Menschenlebens eigentlich einen radikalen Bruch. Wie ein solcher aussehen kann, zeigte der Querdenker Roland Barthes mit seiner 1975 erschienen Autobiographie: keine Erzählung von A bis B, sondern eine Sammlung von Stichworten zugeordneten Abrissen. Nach seiner Auffassung gleicht die Biographie einer Urne, in die der Autor die Asche (oder die biographischen Überreste) des Beschriebenen streue. Die Urne, also die Erzählung, kann in verschiedenen Formen daherkommen, selbst wenn die meisten Biographen auf das lineare Standardmodell zurückgreifen.

Dieses postmoderne Verständnis ist allerdings nicht sonderlich praktikabel. In Anschluss an Barthes hat etwa Laszlo Földenyi 1999 sein Kleist-Kompendium, das zugleich Biographie genannt werden kann, als alphabetisch geordnetes „Netz der Wörter“ präsentiert. Es ist innovativ und lehrreich, weil es bei der Lektüre klarmacht, dass ein Menschenleben nicht linear verläuft und wir allenfalls Schlaglichter auf Details werfen können; die Verbindung und Interpretation, also die „Bio-Graphie“ ist unser eigenes Konstrukt. Den Preis für dieses reflexive Vorgehen zahlt der Leser: es gibt keine klassische Erzählung mehr, die Lektüre ist eher mühselig.

Lesbarer sind dagegen jene Autoren, die sich der Probleme einer Biographie bewusst sind und daher die Reichweite ihrer Aussagen relativieren. Sie geben nicht vor, ein ganzes Leben detailgetreu wiederzugeben. Zugleich verzichten sie aber auch nicht auf eine Erzählung, die sie immer als solche ausweisen. Hier wäre etwa Jan Eckels Biographie über den jüdischen Historiker Hans Rothfels zu nennen. Im Vorwort geht er auf die Schwierigkeiten des Genres ein und unternimmt erst gar nicht den Versuch einer weitgehenden Erfassung. Stattdessen konzentriert er sich auf Rothfels‘ intellektuelle Bedeutung in der jungen Bundesrepublik.

Am Anfang jeder guten Biographie steht die Bescheidenheit ihres Autors. Das Gegenteil davon, also die Absicht so ausführlich wie möglich ein Leben zu erfassen und darzulegen, führt bestenfalls zu dickleibigen Fußnotenfundgruben. Ein Beispiel für eine solche materialreiche Chronik ist Reinhard Mehrings „grundlegende“ Biographie zu Carl Schmitt.

Carl Schmitt – Rechtsintellektueller, „Kronjurist des Dritten Reichs“, geheimer Spiritus rector der Bundesrepublik. Oder in seiner Selbststilisierung: „ein weißer Rabe, der auf keiner schwarzen Liste fehlt“. Über diesen kontroversen Mann gibt es auch fast 25 Jahre nach seinem Tod keine wissenschaftlichen Maßstäben genügende Biographie. Das liegt vielleicht auch daran, dass der Mann es meisterhaft verstand, sein Leben mit Bezug auf Mythen und Legenden zu überhöhen, rationalisieren und letztlich zu verschleiern. Diese beständige Selbstinszenierung und den Wirkungszusammenhang zwischen Leben und Werk zu erfassen, ist keine leichte Aufgabe.

Der Schmitt-Experte Mehring scheitert daran schon auf den ersten Seiten. Statt analytisch zu fokussieren, wählt er das größtmögliche Narrativ: „Aufstieg und Fall“. Das liegt nahe, ist aber eine fragliche Wahl, wenn man Carl Schmitts ideengeschichtliches Nachleben in und außerhalb der Bundesrepublik bedenkt. Konzepte wie Freund-Feind-Unterscheidung als Merkmal der Politik oder der Ausnahmezustand sind im Zeitalter des transnationalen Terrors erneut in der Diskussion. Mehring vermerkt hierzu, dass Schmitts Ideen durch die Globalisierung ihrer nationalstaatlichen Grundlagen beraubt und somit überholt seien – wozu aber dann diese Biographie?

Zum Verhängnis wird Mehring jedoch, den Nachlass möglichst ganz erfassen zu wollen. Schmitt hinterließ einen Wust an unsortierten Kritzeleien und Dokumenten aller Art, ein Alptraum für jeden Biographen. Mehring nennt es das „Labyrinth des Nachlasses“ und entschuldigt sogar die Lücken seiner immensen Fleißarbeit; Schmitts in Kurzschrift verfasste Tagebücher nach 1933 habe er nicht gänzlich lesen können. Eine solche Bemerkung im Vorwort und nicht etwa in einer Fußnote deutet darauf hin, dass der Autor sich schlicht in dem Labyrinth verlaufen hat.

Das wird dann auch an der zähen Erzählung deutlich, wenn seitenlang Namen von Schmitts Bekanntschaften, Lektüre und Umzüge aufgezählt werden. Die Interpretation bleibt dabei auf der Strecke und ist eher bei den Kapiteln über Schmitts Werke verortet. Erschwerend hinzu kommt die teilweise völlig unpassende Sprache, die Distanz zu dem Untersuchungsgegenstand vermissen lässt.

Trotz dieser Mängel wird Mehrings Buch seine Leser finden: Gelehrte wie Interessierte, die sich eingehend mit Schmitt beschäftigen, werden an dem Buch nicht vorbeikommen. Dafür enthält es schlicht zu viele biographische Details, die für andere Untersuchungen nützlich sein können. Ein biographisches Standardwerk auf der Höhe der Zeit ist das Buch aber deshalb nicht. Eher eine Standard-Urne mit viel Asche.

Literaturangabe:

MEHRING, REINHARD: Carl Schmitt: Aufstieg und Fall. C. H. Beck Verlag, München 2009. 749 S., 29,90 €.

Weblink:

C.H. Beck Verlag

 

 


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