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Christa Wolfs „Stadt der Engel“

Ein erstaunliches Lebenszeichen aus dem „Meer des Vergessens“

© Die Berliner Literaturkritik, 05.08.10

Von Wilfried Mommert

„Christa Wolf, warum sind Sie bei der Fahne geblieben?“ Diese Frage wurde der Schriftstellerin nach dem Ende der DDR immer wieder gestellt. Das wusste und weiß sie immer noch zu beantworten, wie ihr neues Buch „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ zeigt. Es gab für die Autorin von Werken wie „Der geteilte Himmel“ oder „Kein Ort. Nirgends“ keine Alternative, abgesehen davon, dass es sich alleine dafür gelohnt hat zu bleiben, um eine der seltenen deutschen Revolutionen mitzuerleben. Immerhin wurde Wolf im stürmischen deutschen Herbst 1989 sogar als DDR-Staatspräsidentin vorgeschlagen.

Eine andere Frage stellte sie sich selbst, als Wolf beim Studium ihrer 42 Aktenordner in der Stasi-Unterlagenbehörde über ihre langjährige Bespitzelung in der DDR auf ihre eigene, allerdings ziemlich dünne sogenannte „Täterakte“ stieß. Festgehalten war darin ihre kurzfristige Tätigkeit als „IM Margarete“ für die Stasi Ende der 50er Jahre. „Wie konnte ich das vergessen?“, fragte sich Wolf.

Auch darauf versucht die heute 81-jährige Autorin in ihrem ersten Roman seit 16 Jahren, „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“, der am 21. Juni erscheint, Auskunft zu geben. Es ist ein erstaunliches Lebenszeichen aus dem „Meer des Vergessens“. Damals hatte Wolf manchmal das Gefühl: „Mir droht Gefahr von mir.“ Also wollte sie sich Klarheit über sich selbst verschaffen und zog sich Anfang der 90er Jahre ins „Exil-Paradies“ unter Palmen am kalifornischen Strand von Santa Monica und Pacific Palisades zurück. Dort hatten schon während des Nationalsozialismus Autoren wie Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger eine „dunkle Zeit“ überwintern wollen.

Christa Wolf versuchte sich dort Rechenschaft zu geben, eine Bilanz ihres Lebens zu ziehen, von den Kindheitstagen an, über die Nachkriegszeit und die 40 DDR-Jahre bis zum „neuen Deutschland“ der Nachwendezeit. Das Wort „Wende“ findet Wolf immer noch unangemessen für den historischen Zeitenbruch.

Dass der Mantel des Psychoanalytikers Siegmund Freud im Untertitel des Buches eine Rolle spielt, kommt nicht von ungefähr. Das Unterbewusste, die Träume und Alpträume der Christa Wolf sind ein bestimmendes Element ihres Lebens und damit ihrer Erinnerungen. Aber auch die „Monsterstadt“ Los Angeles, die als „«Stadt der Engel“ dem Roman den Namen gab, ist als ebenso faszinierender wie fremder und unwirklicher Raum präsent, bis hin zum „Schwarzen Engel Angelina“, dem die Erzählerin am Ende bekennt: „Die Arbeit ist getan.“

Das Buch als Roman zu bezeichnen, auch wenn es sich oft romanhaft liest, ist eher irreführend. Die Erzählungen und Erinnerungen auch über die Begegnungen mit tatsächlichen und fiktiven Personen sind ein Wechselspiel von autobiografischen Fakten und freien Erfindungen der Erzählerin als „verwandeltes Ich“, wie Wolf selbst sagt. Es ist ein großer Wurf, wenn auch manchmal in der Gefahr der Langatmigkeit und allzu weinerlicher Selbstbespiegelung, wenn die „grauen Nebeltage“ überhand nehmen.

Das Bestechendste am Buch ist die Offenheit und Authentizität der Gefühle („Ich wollte mich nicht schonen“), mit denen eine literarische Zeugin des 20. Jahrhunderts, die bedeutendste Schriftstellerin der untergegangenen DDR, Rechenschaft über Träume, Irrtümer und Ideale eines Lebens und eines Landes ablegt. Zu diesem Land hat sie bis zum Ende gestanden, auch wenn die Hoffnung immer mehr schwand. Entscheidende Daten sind das verhängnisvolle SED-Plenum von 1965 mit dem „Kultur-Kahlschlag“, die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976, gegen die Wolf mit anderen Kollegen und Künstlern protestierte.

1976 sei „einer der Wendepunkte meines Lebens“ gewesen, bekennt Wolf. Manche sahen damals schon mit dem schier endlosen Exodus vieler Künstler, den „Anfang vom Ende der DDR“. Aber „du wolltest geliebt werden - auch von Autoritäten“, sagt ihr, dem früheren SED-Mitglied, im Buch ein Freund über ihre möglichen Motive zur Zusammenarbeit sogar mit dem Ministerium für Staatssicherheit, der Stasi.

Manchmal greift Wolf in ihren Assoziationen sehr hoch, wenn sie zum Beispiel für den ewigen „Konflikt zwischen Wahrheitsliebe und Kompromissbereitschaft“ gleich einen Mann wie Galileo Galilei bemüht. Aber auch zeitgenössische Beispiele wie der russische Autor und Dissident Lew Kopelew werden erwähnt – „er hat seinen Platz zwischen den Fronten behauptet“. Vor allem aber plagen Wolf schlaflose Nächte unter Palmen beim Bemühen, „meiner eigenen Fremdheit nachzugehen“. Das habe sie „lange vermieden, bis jetzt“, denn da sind „die vielen Ichs in mir“. Diese Selbstzweifel machen Christa Wolfs Buch, auch wenn ihr gesamtes Werk davon geprägt ist, in dieser Direktheit und Dichte zu einem der bemerkenswertesten literarischen Selbstzeugnisse der Gegenwart.

In manchem ähnelt es den privaten, nachgelassenen Tagebüchern Thomas Manns, die Wolf in ihrem „kalifornischen Exil“ immer wieder zur Hand nimmt („Über das alles bekennend zu schreiben würde mich zerstören“, liest sie bei ihm). Für Wolf ist Schreiben „nicht Selbstzerstörung, sondern Selbsterlösung“, wie sie notiert. „Dass all die Jahre nicht der Anflug eines Verdachts mich berührt hat! Wer soll mir das glauben“, sinniert sie immer wieder über ihre Stasi-Kollaboration. Auch das Argument des Freundes, „Du hast doch niemandem geschadet“, kontert Wolf ebenso nüchtern wie hart: „Doch, sagte ich trotzig. Mir selbst.“

Aber die Zeit der Klagen und Anklagen sei vorbei, notiert die Autorin schließlich. „Nun dürfen wir uns nicht länger selbst betrügen.“ Als die Massen in jener historischen Nacht des 9. November 1989 über den Grenzübergang Bornholmer Straße „fluten“, empfand Christa Wolf so etwa „wie Scham, wie Bedrückung und Resignation. Es war vorbei. Ich hatte verstanden ... Wenn man immer wüsste, was noch kommen wird.“

Literaturangabe:

WOLF, CHRISTA: Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 416 S., 24,80 €.

Weblink:

Suhrkamp Verlag


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