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Fragmente einer Biografie

Christoph D. Brummes: „Der Honigdachs“

© Die Berliner Literaturkritik, 23.06.11

BRUMME, CHRISTOPH D.: Der Honigdachs. Dittrich Verlag, Berlin, 2010, 131 S., 14,80 €.

Von Anne Mucha

„Ich heirate dich, was sollen sonst die Leute denken.“ Mit diesem Satz entsteht die Familie, in die der Erzähler dieses Romans hineingeboren wird und damit beginnt auch „Der Honigdachs“ von Christoph D. Brumme. Die ironische Beschreibung einer tristen, trostlosen Kindheit in einem kleinen Dorf in der DDR bestimmt den ersten Teil des Textes. Emotionslos, mit viel ironischer Distanz und unverhohlener Verachtung führt Brummes Erzähler die Protagonisten seiner persönlichen Tragödie ein, und zwar anonymisiert und entmenschlicht, als „der Mann“, „die Frau“ oder „die männliche und die weibliche Hauptperson“. Die Geschwister erhalten die Namen „Links“ und „Rechts“. 

Der Erzähler taucht in dieser Familie unter, versucht, nicht aufzufallen. Die Literatur und der unbeugsame Vorsatz, Schriftsteller zu werden, bringen ihn durch seine Kindheit. Alternativen zu diesem Berufswunsch gibt es nicht: „Wenn ich kein Schriftsteller werde, bringe ich mich um“, stellt er sachlich fest. Die Literatur ist seine Rettung, ein neutraler Raum zwischen dem Leben und dem am Leben Leidenden. Sie gibt dem Erzähler die Werkzeuge in die Hand, auf groteske und zuweilen entwaffnend komische Weise von Unaussprechlichem zu berichten, von physischer und psychischer Gewalt, von Missbrauch, von Morddrohungen und Selbstmordversuchen. Seine Anpassungsfähigkeit und der Glaube an die eigene Überlegenheit helfen ihm, all dies zu überstehen. Sein Lieblingstier ist der Honigdachs, der „fast alles kann“, sich aber auch mal eingräbt, wenn es gefährlich wird. 

Der Erzähler wächst über seine Herkunft hinaus, zieht nach Berlin, arbeitet und studiert Theologie. Dann geht er nach Russland, das Land „wo die Helden herkommen“ und zeichnet ein ebenso groteskes Bild von dem vom Selbsthass seiner Bürger zerfressenen Bruderstaat kurz vor dem Untergang des Stalinismus, in einer Zeit, als „der Atem der Geschichte nach Bockwurst riecht“. In den biografischen Schilderungen spiegelt sich immer wieder eine politische Dimension. Die Enge des Heims, die psychische Gewalt, die Ausbeutung der Arbeitskraft der Kinder, all das verweist subtil auf die gesellschaftlichen Missstände im realen Sozialismus, als dieser in seinen letzten Zügen liegt. Der Vater, die zentrale Figur des Textes, wird als „Kronos“ beschrieben, der seine Kinder frisst und dabei, von seiner eigenen Unfehlbarkeit überzeugt, dennoch Dankbarkeit erwartet. Selbstgerecht, tyrannisch und versklavend wie „Vater Staat“ ist auch er zum Untergang verurteilt. Der Erzähler selbst allerdings ist einer von denen, die nicht ins System passen, ein Intellektueller in der großen Arbeiterfamilie, ein Gefangener und zugleich ein Verräter. 

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Zu Beginn ist der Roman trotz aller Tragik frech und leichtfüßig, ein hartes Leben als Witz erzählt. Zwar ist die Idee, Tragisches komisch zu verpacken nicht neu und dieser Tage nicht einmal besonders originell. Jedoch bemüht Brumme keinen platten Galgenhumor, sondern wirft einen unkonventionellen, subversiven Blick auf jene Zwänge, die private und politische Institutionen auf das Individuum ausüben. Zum Ende hin verliert der Text an Charme und gewinnt an Anspruch, wird immer abstrakter und bedrückender. Die Figuren, einschließlich des Ich-Erzählers, bleiben Fragmente, die biografische Erzählung folgt keiner Chronologie. Somit entsteht, ganz offensichtlich beabsichtigt, keine kohärente Biographie, aber Fäden laufen zusammen. Nach und nach lässt sich das wahre Ausmaß der Traumatisierung des Erzählers erahnen. Am Ende kommen Dostojevskij und Freud, die heimlichen geistigen Väter der Geschichte, ins Spiel und leiten die Schlussbetrachtungen des Erzählers ein, die den Leser ratlos und verstört zurücklassen.

Brumme gelingt es in diesem kompakten Text, auf höchstem erzählerischen Niveau eine Verbindung zwischen persönlicher und kollektiver Erfahrung herzustellen. Dabei demonstriert er mittels seines fordernden, erbarmungslos zynischen Erzählstils und vieler impliziter und expliziter Textverweise das Potenzial der Literatur, unbestreitbar Tragisches in komischer Weise umzudeuten und scheinbar Eindeutiges wieder der kritischen Reflexion zu öffnen. Ein sehr intensiver Roman, doch es lohnt sich, die Herausforderung, vor die Brumme seine Leser/innen stellt, anzunehmen.

Weblink: Dittrich Verlag


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