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Claire Beyers „Rohlinge“

Vom Jungen aus dem Bernsteinland

© Die Berliner Literaturkritik, 08.03.10

Von Susanna Gilbert-Sättele

Mit elf Jahren kommt Donald aus Lettland in ein völlig neues Land. Mit seinem Vater, der den Alkohol liebt und auf eine bessere Zukunft hofft, lebt der Junge in einer kleinen Gemeinde im Süden Deutschlands. Er ist nicht traurig, aber oft einsam. Fast immer denkt er an seine Oma, an den Ort seiner Kindheit am Meer und seine alten Abenteuerspielplätze. Regelmäßig schreibt ihm seine Großmutter. „Ich vermisse dich, Junge. Aber natürlich bist du in Deutschland besser aufgehoben. Lerne fleißig und sei ordentlich. Lerne gut Deutsch, sonst wird nichts aus dir,“ beginnen die Briefe der geliebten Oma. Einfühlsam beschreibt die Autorin Claire Beyer („Rauken“) in ihrem neuesten Werk „Rohlinge“, wie sich ein junger Lette in einen neuen Lebenskreis voller unbekannter Wesen zu behaupten hat.

Dabei erweist sie sich wieder einmal als Poetin unter den deutschen Erzählern der Gegenwart. Ihre „unaufgeregten, aber eindringlichen Bilder“ (Neue Zürcher Zeitung) sprechen für sich. Der knappe Roman liest sich über weite Strecken wie das Märchen vom Jungen aus dem Bernsteinland, der viele Hindernisse überwinden muss, zur rechten Zeit aber immer einen Freund findet, der ihm hilft. All seine Sorgen des täglichen Lebens - seine Angst vor dem rauflustigen älteren Boris etwa - erzählt er einer alten Hündin, die ihn stets begleitet, wenn er draußen auf den Äckern unterwegs ist. Der Leser fühlt sich unvermittelt in das Leben der Einwanderungskinder in Deutschland versetzt, denen es ebenso ergehen mag wie Donald. Sensibel fühlt sich die Autorin in die Welt eines Elfjährigen ein.

Donald lernt die Lehrerin Karin Beerwald kennen, die ihm Deutsch beibringt. Er verehrt sie, ja, er wird sogar eifersüchtig, wenn sie mit einem anderen Mann spricht. Zunächst verhält Karin sich reserviert. Doch der Junge lässt sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Er schwärmt ihr von Lettland vor, das in seinen Erzählungen immer größer, schöner, sonniger und wunderbarer ist als seine neue Heimat. Donald, das beschreibt Claire Beyer, flüchtet sich in seiner Einsamkeit in die Fantasien von seiner alten Heimat. Beyer findet den Weg in die Gefühlswelt des Jungen, der in der kleinen Wohnung und im Alltag oft auf den Vater verzichten muss. Der will und muss Geld verdienen, um sich später wieder in Lettland in seinem alten Beruf als Bernsteinkünstler niederlassen zu können. Doch für ihn läuft es nicht so, wie es eigentlich laufen müsste. Er arbeitet in einem Kühlhaus und trifft dort auf einen weiteren Einwanderer, der ihn zum trinken animiert.

Donald hingegen muss nicht nur Deutsch lernen, sondern auch die englischen, italienischen, türkischen, spanischen, rumänischen und polnischen Worte verstehen, die auf dem Schulhof gesprochen werden. Bei den Zahlen ist das einfacher. Diese Zeichen verstehen alle gleich. Es gibt aber nicht nur Probleme für den Jungen, sondern auch Glücksmomente: wenn seine Lehrerin ihn an der Hand nimmt und ins Museum, in eine Welt zum Träumen, führt, oder wenn er ihren alten Vater besuchen darf, selbst wenn der kaum ein Wort spricht. Der alte Mann gibt ihm das Gefühl, auch einen Opa zu haben. Mal ernst, mal heiter, aber immer mit dem für Beyer typischen melancholischen Unterton wird hier die Geschichte von einem Kind im reichen, mitunter aber auch kalten deutschen Wunderland erzählt.

Literaturangabe:

BEYER, CLAIRE: Rohlinge. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009. 157 S., 17,90 €.

Weblink:

Frankfurter Verlagsanstalt

 

 


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