Von Anne Mucha
Der beste, zumindest aber der mutigste erste Romansatz des Literaturjahres ist gefunden. Mit einem enthusiastischen „Fick die Henne!“ beginnt der Praktikanten-Roman „Copy Man“ von Markus Henrik. Das macht Lust auf mehr.
Anton Kiewicz steht kurz vor seinem Masterabschluss und ist, von hohen Erwartungen und beklemmenden Existenzängsten getrieben, verzweifelt auf der Suche nach dem ersten „richtigen“ Job, nachdem er sich mit unterbezahlten Nebentätigkeiten durch sein Studium gehungert hat. Was für eine Chance, als ihm nach unzähligen Absagen eine Stelle in dem großen Marktforschungsinstitut „FigView AG“ angeboten wird. Einziger Haken: Er muss zwei Wochen zur Probe arbeiten und sich dabei gegen zwei Mitbewerber/innen durchsetzen. Als wäre das nicht schon frustrierend genug, erkennt Anton unter der Konkurrenz seine Partybekanntschaft Sophia wieder, die ihn nach einem verunglückten One-Night-Stand mit einer falschen Telefonnummer abgespeist und damit bis auf die Knochen gedemütigt hat.
Die folgenden zwei Wochen verbringen Anton, Sophia und ihr Mitbewerber Thorsten mit stupiden bis unzumutbaren Call-Center- und Kopierarbeiten sowie mit den nervtötenden Vorträgen eines geleckten Marketingstrategen, der sie mithilfe wirrer, völlig unnötiger Anglizismen á la „Ihr schedule sollte auf den Punkt sein. No excuse für einen delay“ in die Kunst der Kundenakquise einweist. Darüber hinaus zerfleischen sich die Kandidaten unentgeltlich in millionenschweren Auftragsarbeiten, um aus der hochstilisierten Konkurrenzsituation als Gewinner hervorzugehen und die Mitbewerber dabei möglichst schlecht aussehen zu lassen.
Leider ist die Mühe umsonst, Anton bekommt die Stelle nicht. Aufgrund seiner Erfahrung im Gastronomiebereich (eine typische Zusatzqualifikation eines angehenden Masterabsolventen) würde der Personalchef ihm freundlicherweise eine 400-€-Stelle in der Cateringabteilung der Firma anbieten, wären da nicht denunzierende Fotos von Anton in einem hochfrequentierten Online-Netzwerk aufgetaucht … die Tücken der Jobsuche im 21. Jahrhundert.
In jenem Internetportal findet Anton dann Sophia und Thorsten wieder und erschrocken stellen sie fest, dass keiner von ihnen den in Aussicht gestellten Arbeitsplatz bekommen hat. Daraufhin schmieden die ehemaligen Konkurrenten gemeinsam einen Racheplan, der die Herzen aller praktikumsgequälten Berufseinsteiger höher schlagen lassen dürfte. Sie schleichen sich auf einer internen Firmenfeier ein, ergattern ein paar nette Aufnahmen von Vorstandsmitgliedern, die sich von in Leder gekleideten Damen an der Leine führen lassen und veröffentlichen diese in einschlägigen Business-Portalen. Sie mobilisieren zahlreiche Leidensgenossen, die ebenfalls der systematischen Ausbeutung hochqualifizierter junger Menschen im Vakuum zwischen Ausbildung und Beruf zum Opfer gefallen sind und veranstalten „Flashmobs“, also über die neuen Medien organisierte, überfallartige Protestaktionen. Aus der „Generation Praktikum“ wird die „Generation Protest 2.0“.
Als die Bewegung immer mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhält, bittet der Firmenvorstand Anton erneut in sein Büro, um ihm aufgrund seiner eindrucksvoll unter Beweis gestellten Kreativität eine unbefristete Festanstellung inklusive Firmenwagen anzubieten. Den druckfrischen Arbeitsvertrag zerreißt der ehemals so verzweifelte Jobaspirant jedoch genüsslich und bereitet stattdessen den finalen Coup gegen die „FigView AG“ vor.
Mit unaufdringlicher Komik beschreibt der Autor die Erfahrungen einer ganzen Armee qualifizierter, motivierter und bald ebenso frustrierter junger Erwachsener auf dem steinigen Weg zu einer angemessen Festanstellung, der oft nur über unbezahlte und unbefriedigende Arbeitsverhältnisse führt. Markus Henriks Roman ist aber auch eine Utopie der Auflehnung gegen den ausufernden Kapitalismus und die Degradierung potenzieller Arbeitskräfte zu „Human Resources“, deren persönliche Ambitionen vorbehaltlos in den Dienst der Profitmaximierung gestellt werden. Unbedingt lesenswert!
Literaturangaben:
HENRIK, MARKUS: Copy Man. Ein Praktikanten-Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt a. Main 2010. 207 S., 12,95 €.
Weblink: