Was haben wir gelacht, als der leitende Angestellte Danny Dalton in dem grandios-aufklärerischem Spielfilm „Syriana“ energisch einem Anwalt erklärte: „Korruption ist unser Schutz. Korruption lässt uns ruhig schlafen. Korruption ist der Grund, weshalb wir gewinnen.“
Ja, dachten wir uns, die Amerikaner haben damit ein Problem. Bei denen ist Korruption systemimmanent. Da blühen einem Broker schon einmal 150 Jahre Gefängnis. Da wird sich in Wahlkämpfen liebevoll den Themen „Bekämpfung der Korruption“ und „Eindämmung des Lobbyismus in Washington“ gewidmet. Aber nicht bei uns. Denn wann wird in Deutschland schon mal ein Manager oder ein Politiker wegen Korruption verurteilt? Was geschieht, wenn ein Abgeordneter gleichzeitig mehrere gutdotierte Aufsichtsratsposten hat? Oder flugs den Stuhl im Bundestag gegen einen in einem Konzern tauscht? Oder ein Politiker seine Feste von Firmen sponsorn lässt?
Wenn in Deutschland ein Politiker so etwas macht, verstößt er gegen keine einzige Vorschrift und oft erfährt auch niemand etwas davon.
In anderen Ländern sind, wie Stern-Reporter Hans-Martin Tillack in seinem lesenswertem Sachbuch „Die korrupte Republik – Über die einträgliche Kungelei von Politik, Bürokratie und Wirtschaft“ schreibt, die Annahme von Geld und Geschenken verboten. In anderen Demokratien müssen Politiker ihre Steuererklärung veröffentlichen. Aufträge müssen öffentlich ausgeschrieben werden. Es gibt für Journalisten und Bürger, dank verschiedener Informationsfreiheitsgesetze, eine weitreichende Einsicht in Regierungsdokumente. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom Oktober 2003 wurde in den vergangenen Jahren von über 130 Staaten ratifiziert. Deutschland gehört nicht dazu.
Die Bundestagsabgeordneten erklären ihren Unwillen, dieses Übereinkommen zu unterzeichnen, damit, dass sie dann nicht mehr arbeiten könnten. Einige sehen sogar die Freiheit des Abgeordneten in Gefahr. Andere fürchten Ermittlungen von Staatsanwälten. So sagt Jürgen Gehb, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, nach einem Empfang von Vattenfall in der Austernbar: „Gut, dass es noch kein Gesetz gibt, das Abgeordnetenbestechung unter Strafe stellt, sonst käme nach solch einer Veranstaltung gleich der Staatsanwalt. Man darf nicht jeden Abgeordneten, der abends zu solchen oder ähnlichen Veranstaltungen geht, sofort dem Verdacht der Korrumpierbarkeit aussetzen.“
Hans-Martin Tillack hat mit „Die korrupte Republik“ kein rechtswissenschaftliches Traktat und auch kein rechthaberisches Pamphlet geschrieben. Der Stern-Journalist hat seine teils älteren Recherchen über Korruption in der Europäischen Union aktualisiert. Über zwei Drittel des Buches widmet er allerdings den seltsamen Praktiken von Wirtschaft, Lobbyverbänden, Krankenkassen, Bürokratie und Politik in Berlin. Strafbar ist davon in Deutschland nichts. Aber die meisten seiner gut recherchierten und mit treffenden Zitaten belegten Beispiele haben mindestens ein Geschmäckle. Denn während ein einzelner Beamter noch nicht einmal ein Stück Kuchen annehmen darf, lassen sich ganze Ministerien, Landesvertretungen, Politiker und teilweise sogar deutsche Botschaften ihre Feste von Unternehmen bezahlen. Dass die Sponsoren dieses Geld als Werbung für entsprechende Aufträge und Gesetze aus den Ministerien betrachten, darf als gegeben angenommen werden. Warum sich die Politiker allerdings so billig, - eine Beobachtung die Korruptionsermittler immer wieder machen -, einkaufen lassen, ist rätselhaft.
Als Maßnahme gegen Korruption empfiehlt Tillack mehr Transparenz. Sein Vorbild ist Finnland. Dort sind schon seit 1766 amtliche Dokumente prinzipiell öffentlich, die Bürger können sie problemlos anfordern und die Abgeordneten müssen ihre Einkommen veröffentlichen. Im Korruptionsindex der nichtstaatlichen Organisation Transparency International belegen die skandinavischen Länder regelmäßig die vorderen Plätze. Deutschland dagegen bewegt sich bei den Korruptionsindexen von Transparency International und der Weltbank immer mehr nach unten.
„Die korrupte Republik“ ist ein lesenswertes, gut recherchiertes Sachbuch und mit vielen treffenden und oft auch entlarvenden Zitaten der Betroffenen. Allerdings bleibt Hans-Martin Tillacks Werk letztendlich zu sehr im Anekdotischen stecken. Aus den Einzelfällen formt sich zwar ein Bild, aber es ist unklar, inwiefern das Sittengemälde repräsentativ oder doch einseitig verzerrt ist. Bei vielen Beispielen kann vermutet werden, dass damit bestimmte Handlungen initiiert werden sollten, aber Tillack belegt dies viel zu selten.
In diesem Punkt sind die schon etwas älteren Werke von Britta Bannenberg/Wolfgang Schaupensteiner, Hans Leyendecker und des 2003 verstorbenen Soziologen Erwin K. Scheuch präziser.
Aber solange die Bundestagsabgeordneten keine Gesetze gegen Korruption in den eigenen Reihen und Verhaltensregeln beschließen, sind Bücher wie „Die korrupte Republik“ notwendig als Aufklärung über ein von der herrschendes Klasse ignoriertes Problem. Denn sie müsste Gesetze gegen sich selbst beschließen.
Tillack fordert dazu auf, den von Danny Dalton angepriesenen Schutzwall der Mächtigen einzureißen. Denn Korruption ist der Missbrauch von Macht zum persönlichen Vorteil. Gezahlt wird es von allen Steuer- und Beitragszahlern. 200 Milliarden Euro jährlich nimmt der Bund Deutscher Kriminalbeamten an. Der Linzer Ökonom Friedrich Schneider hat die Kosten von Korruption in Deutschland für 2008 auf knapp 300 Milliarden Euro geschätzt.
Literaturangabe:
TILLACK, HANS-MARTIN: Die korrupte Republik. Über die einträgliche Kungelei von Politik, Bürokratie und Wirtschaft. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009. 288 S., 19,95 €.
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