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Darwins Reise der Erkenntnis

„Darwin. Das Abenteuer des Lebens“ von Jürgen Neffe

Von: MONIKA THEES - © Die Berliner Literaturkritik, 20.07.09

Ideen über die gemeinsame Abstammung und die Umwandlung von Arten gab es mindestens seit dem 6. Jahrhundert v. Chr., „Alles fließt“ postulierte bereits der Grieche Heraklit. Doch bis in das 19. Jahrhundert hinein hielt sich die Meinung, die Vielfalt der Arten habe es schon immer gegeben und Artmerkmale seien konstante Eigenschaften. Erst Charles Darwin hat uns den Blick auf den Fluss des Lebens wirklich eröffnet. 1859 veröffentlichte der englische Naturforscher sein Werk über die Entstehung der Arten—„On the Origin of Species“, 1871 erschien der Band „The Descent of Man“—und revolutionierte damit unsere Weltsicht. Der Mensch und alle Erscheinungsformen des Lebendigen sind nicht das Ergebnis eines einmaligen Schöpfungsaktes, sondern Teil eines lang währenden Prozesses: der Evolution.

Die Geschichte des Lebens gleicht einer Reise ins Unbekannte. „Nicht ein planender Gott hat die überbordende Vielfalt des Lebens erschaffen, sondern ein planloser Prozess, in dem sich Zufall und Notwendigkeit verbinden“, schreibt Jürgen Neffe in seinem neuen Buch „Darwin. Das Abenteuer des Lebens“. Seit vier Milliarden Jahren entstehen, sterben und verändern sich Arten nach Mechanismen und Ursachen, die Charles Darwin in seiner Selektionstheorie benannte. Was heute als wissenschaftlich gesichert gilt und als eine der wichtigsten Grundlagen der allgemeinen Biologie angesehen werden muss, begann mit dem Aufbruch eines ziemlich unerfahrenen, aber neugierigen jungen Mannes, mit Charles Darwins Fahrt auf der Beagle.

Sieben Monate folgte Jürgen Neffe dieser wohl berühmtesten Reise der Wissenschaftsgeschichte. Im Abstand von 175 Jahren reiste der Journalist und promovierte Biologe—per Schiff, zu Pferd, aber auch im Flugzeug oder zu Fuß—auf den Spuren des englischen Naturforschers. Er besuchte die Orte, an denen der damals Anfang-20-jährige Charles Robert Darwin die grundlegenden Erkenntnisse zur Formulierung seiner Evolutionstheorie sammelte: Fast fünf Jahre (1831–36) war er, der angehende Theologe, der sich für Botanik, Geologie und Zoologie interessierte und für Alexander von Humboldt begeisterte, auf der Beagle unterwegs. Er sammelte Tiere, Pflanzen, Knochen, Gesteine und schickte sie nach England, er sah genau hin, verglich, er zweifelte, fragte, beobachtete und zog Rückschlüsse.

Nach seiner Rückkehr nach England wird er seine Erkenntnisse skizzieren (1837), aber erst 28 Jahre später, im Alter von 50 Jahren, das Jahrhundertbuch veröffentlichen, das mit den Worten beginnt: „Als ich mich als Naturforscher an Bord des ‚Beagle’ befand, war ich aufs höchste überrascht durch gewisse Merkwürdigkeiten in der Verbreitung der Tiere und Pflanzen Südamerikas…“ Darwin wird nach dieser seiner einen großen Fahrt nie wieder in See stechen, seine Heimat England kein zweites Mal verlassen, sondern akribisch Belege für seine Theorie zusammentragen, sich der Entstehung von Korallenriffen, der Taubenzucht und den Rankenfußkrebsen widmen - und sich in die Wissenschaftsgeschichte einschreiben als der zurückgezogen lebende weißbärtige Mann von Down House, Kent, der der Menschheit zeigte, was die Welt im Innersten zusammenhält: ihre Geschichte.

Die Geschichte von Neffes Aufbruch hingegen beginnt im Herbst 2006 im Naturkundemuseum in New York. Als er dort, so schreibt der Autor im Prolog, eine wandgroße Reproduktion von Darwins Reiseroute mit der Beagle betrachtete, erklärte eine ältere Frau einer Gruppe Jugendlicher: „Hier könnt ihr sehen, wo die Natur zu ihm gesprochen hat.“ Der Journalist und Schriftsteller Jürgen Neffe hatte sein Thema gefunden: ein Buch, das Darwins Fahrt und Erkenntnis verbindet mit heutigen Reiseeindrücken des Autors. Als Biologe ist Neffe die Evolutionslehre vertraut, als Wissenschaftshistoriker Darwin Lebensgeschichte mit der Weltumrundung als frühzeitigem Höhepunkt, als Biograf stellt er sich die Frage: „Wie machst du einen Toten lebendig? Und die beste Art, ihn lebendig zu machen, war für mich der direkte Dialog während der wichtigen Reise.“ Mit wenig Gepäck und Darwins Schriften auf dem Laptop bricht er auf.

Das Ergebnis, auf über 500 Seiten, kann sich sehen lassen und ist, mit einem Wort, ein mitreißendes Roadmovie der Wissenschaft in Buchbuch. Schon Neffes Einstein-Biografie (2005) gehörte zu den Top-Ten des Jahres 2005 und wurde 2007 von der „Washington Post“ zum „Book of the Year“ gewählt. Sein Darwin-Buch, passend herausgegeben zum diesjährigen 200. Geburtstag des großen Wissenschaftlers am 17. Februar, hat alle Voraussetzungen, gleichfalls zum Bestseller zu werden. Denn in gekonnter Engführung verbindet der Autor Neffe die Biografie Darwins mit spannenden Reisereportagen, verwebt er die Ideengeschichte der Biologie mit der Geschichte des Lebens von seinen Anfängen bis heute und darüber hinaus.

Feuerland, der Galápagosarchipel, Sydney und die Blue Moutains, Mauritius und Kapstadt—das sind nur einige der insgesamt 26 Stationen, die der Weltreisende Jürgen Neffe, über zwanzig Jahre lang Reporter für „Geo“, den „Spiegel“ und unter anderem ausgezeichnet mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, ansteuert. Er wandert in der Sierra de las Animas, Uruguay, trifft Christína Calderón, die letzte Yamana in Ushuaia, besucht den Nationalpark von Chiloé, Chile, und taucht auf den Cocos-Inseln ein in die Unterwasserwelt der Korallen. Er spricht mit Naturschützern, mit Genforschern und Anthropologen, diskutiert Fragen des Sozialdarwinismus, die aktuelle Debatte um Kreationismus und Intelligent Design.

Im Mittelpunkt seiner Recherchen steht die direkte Begegnung, steht der Mensch als Individuum—und als Erfolgsmodell der Evolution und zugleich größter Bedrohung der Natur. Darwin wissenschaftliche Erben haben die Weltformel des Lebens so weit entschlüsselt, „dass wir inzwischen mit Geburtenkontrolle, Retortenbabys und gentechnisch veränderten Organismen die Evolution in die eigenen Hände genommen haben“, so Neffe. „Wir haben unseren Heimatplaneten durch Überbevölkerung, Ressourcenausbeutung und Artenzerstörung an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht. Als äußerst erfolgreiche Spezies besitzen wir sogar die Mittel, uns—vorsätzlich— selbst auszulöschen.“

Darwin hat uns unsere (biologische) Herkunft erklärt, hierin liegt seine bahnbrechende Leistung, gleichwohl hat sein Gedankenmodell für unsere Zukunft wenig oder keine Bedeutung, so Jürgen Neffe, denn längst ist die Umwelt zum entscheidenden Faktor geworden, eine Umwelt, die kulturelle und soziale Parameter mit einbezieht. In dieser Erkenntnis und in unserer Fähigkeit zur Kooperation, im großen Schritt vom Ich zum Wir, liegt die Chance. Er zieht ein vorsichtiges Fazit: „Zu den seltsamsten Resultaten meiner Reise gehört eine optimistischere Sicht auf die Zukunft unserer Spezies als vor meiner Abfahrt.“ Ja, das Leben auf diesem Planeten folgt weder einem Plan noch einem vorherbestimmten Ziel, doch wir, so ließe sich mit Jürgen Neffe schließen, haben es, mehr als jemals zuvor, in der Hand, wohin die Reise geht.

Von Monika Thees

Literaturangabe:

NEFFE, JÜRGEN: Darwin. Das Abenteuer des Lebens. Bertelsmann Verlag, München 2008. 544 S., 22,95 €.

Weblink:

Bertelsmann Verlag

Monika Thees ist Redakteurin dieses Literatur-Magazins


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