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Das Ende der alten Suhrkamp-Kultur

Umzug nach Berlin

© Die Berliner Literaturkritik, 28.12.09

Von Thomas Maier

FRANKFURT/MAIN (BLK) - Es war ein wehmütiges Fest, das in Frankfurt kurz vor Weihnachten stattfand. Die rund 150 Beschäftigten von Suhrkamp kamen zum Abschied ein letztes Mal zusammen. „Da kam noch einmal der Geist des alten Suhrkamp Verlags auf“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schneider. Verlagschefin Ulla Unseld-Berkéwicz war nicht eingeladen. Auf ihr Betreiben wird Deutschlands Renommierverlag nach seinem Umzug am 4. Januar in Berlin im Prenzlauer Berg sein neues Domizil eröffnen - und lediglich mit einem Teil der alten Belegschaft. Wie viele von Frankfurt mitgehen, ist nicht ganz klar. Nach Angaben des Betriebsrats ist es die Hälfte, die Verlagsspitze spricht von zwei Drittel.

Am Suhrkamp-Stammsitz in der Lindenstraße im Frankfurter Westend sind die Lichter bereits ausgegangen, die letzten Umzugskisten sind auf dem Weg in die Hauptstadt. 60 Jahre nach Gründung des Verlags ist damit die eng mit Frankfurt verbundene alte Suhrkamp-Kultur zu Ende gegangen. Es waren Autoren der „Frankfurter Schule“ wie Theodor W. Adorno und später Jürgen Habermas, die maßgeblich den Ruf von Suhrkamp im Nachkriegsdeutschland begründeten. Hinzukamen viele Größen der deutschen Literaturlandschaft wie Martin Walser oder Uwe Johnson, die im Verlag publizierten und Suhrkamp zu einem intellektuellen Pfeiler der alten Bundesrepublik machten.

Als der Glanz nach der Wende zunehmend verblasste, sorgte das Haus durch seine an eine TV-Soap erinnernden Machtkämpfe jahrelang für Schlagzeilen. Nach dem Tod des mächtigen Suhrkamp-Patriarchen Siegfried Unseld im Jahr 2002 zog dessen fast 25 Jahre jüngere Frau Unseld-Berkéwicz - in Medien gerne auch als „schöne Witwe“ tituliert - die Macht an sich. Mehrere Geschäftsführer gingen oder mussten gehen. Und Unseld-Berkéwicz, eine Schauspielerin und Autorin, die die Öffentlichkeit eher meidet, liebäugelte schon früh mit der großen Bühne in Berlin. Erste Gerüchte über einen möglichen Umzug kamen dem Betriebsrat schon 2004 zu Ohren, die aber stets dementiert wurden.

Beschlossen wurde die Umsiedlung dann recht plötzlich im Februar dieses Jahres, als sich die Verlegerin mit den Mitgesellschaftern des Verlags einig war. Ihren größten Feind Joachim Unseld, den sein Vater Siegfried Unseld zuerst zum Kronprinzen und dann aus dem Verlag geworfen hatte, konnte sie aber erst vor wenigen Wochen mit viel Geld befrieden. Joachim Unseld, selbst Verleger in Frankfurt, verkaufte seinen 20-prozentigen Anteil am operativen Verlagsgeschäft - die von ihm gegen den Umzug angestrengte Klage war damit hinfällig.

Von Berlin als der deutschen Kultur-Metropole erwartet die Verlegerin nun Stimulanz, um wieder an die großen Suhrkamp-Zeiten anzuknüpfen. Unumwunden hat sie aber auch persönliche Gründe für den Umzug eingeräumt. Die Umwerbungsversuche des Berliner Senats hätten ihr gut getan in einer Zeit, als sie selbst Opfer einer „öffentlichen Diffamierungskampagne“ durch die Medien geworden sei. Weihnachten äußerte sie in einem ihrer seltenen Interviews sich fast euphorisch über die Hoffnungen auf Berlin: „Einen neuen Rahmen für die Geschichte, neue Arbeitsverhältnisse, die zu neuen Literaturformen führen und, wenn wir viel Glück haben, auch umgekehrt.“ Die Straßen der Hauptstadt seien breiter, „dort kann man vielleicht ein Stück aufrecht gehen und geradeaus, mal sehen“, sagte sie der „Berliner Zeitung“ (Weihnachtsausgabe).

Während bei anderen Unternehmen Betriebsverlagerungen genutzt werden, um Personal abzubauen, habe es für Berlin bereits Neueinstellungen gegeben. „Schon in den letzten Jahren von Siegfried Unseld war es nicht mehr leicht, qualifizierte Leute aus Städten wie Berlin, Hamburg, München dazu zu bewegen, in Frankfurt zu arbeiten. Das ist, so zeigt es sich jetzt, in Berlin deutlich anders“, sagte die Verlegerin.

Viele Suhrkamp-Beschäftigte verübeln ihrer Chefin, dass sie sich den hehren Anspruch des Verlags von Offenheit und Transparenz intern nicht zu Eigen gemacht hat. „Wir Angestellten wurden in keiner Weise in den Umzug miteingebunden“, sagt Betriebsratsvorsitzender Schneider. Der Lektor des zu Suhrkamp gehörenden Insel Verlags zieht mit - er wird künftig von Frankfurt aus nach Berlin pendeln.

Unseld-Berkéwicz pflege einen besonderen Management-Stil, sagte der Soziologe Ulrich Beck („Risikogesellschaft“), einer der Star-Autoren Suhrkamps, jüngst dem „Spiegel“. „Sie verbindet Charme mit Machtbewusstsein und immer wieder neuen Ideen - eine Kombination, die nicht viele ertragen können.“

Der Teil der Beschäftigten, der mit nach Berlin geht, hofft nun, dass der Verlag seine Tradition aufrechterhalten kann. Suhrkamp habe schon immer von seiner Belegschaft profitiert, weil sie sich so sehr mit dem Unternehmen identifiziere, meint Schneider.

Über seine wirtschaftliche Lage gibt der Verlag keine Auskunft. Berichte über zuletzt defizitäre Jahre werden aber auch nicht dementiert. Trotz Erfolgen wie Uwe Tellkamps Roman „Der Turm“, der im vergangenen Jahr den Deutschen Buchpreis erhielt, lebt Suhrkamp vor allem von seiner großen „Backlist“ - dazu gehören Klassiker wie etwa Hermann Hesse. Einige wichtige Autoren haben in den vergangenen Jahren außerdem dem Verlag wegen der internen Querelen und Klagen über mangelnde Betreuung den Rücken gekehrt. Zu den Prominentesten gehören Martin Walser, Daniel Kehlmann und jüngst Katharina Hacker, die 2006 den Deutschen Buchpreis erhielt.

Geld in die Verlagskasse hat der Verkauf des wertvollen Suhrkamp-Archivs gespült, das Unseld-Berkéwicz mit dem Umzug an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach bei Stuttgart abgegeben hat. Der Preis blieb geheim - laut Medienberichten sind es rund acht Millionen Euro.

Auch dabei zog die Stadt Frankfurt, die mit der Universität und dem Land Hessen das Archiv ebenfalls kaufen wollte, den Kürzeren. Was in Frankfurt letztlich bleibt, ist die alte Suhrkamp-Villa von Siegfried Unseld. Dort will der Verlag zur Frankfurter Buchmesse weiterhin seinen Empfang für ausgewählte Kritiker abhalten.


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