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Das Hetärenwesen der Antike und seine Entstehung

Wolfgang Schullers „Die Welt der Hetären“

© Die Berliner Literaturkritik, 01.04.08

 

STUTTGART (BLK) – Wolfgang Schullers Buch „Die Welt der Hetären. Berühmte Frauen zwischen Legende und Wirklichkeit“ ist im Verlag Klett Cotta erschienen.

Klappentext: Erstmals stellt Wolfgang Schuller das Hetärenwesen durch die gesamte antike Geschichte dar und erklärt seine Entstehung und seine Wandlungen einschließlich seines Verhältnisses zur Ehe. Seine lebendige Darstellung erklärt, warum die Hetären gesellschaftliche Anerkennung genossen und wie es überhaupt zu dieser Lebensform gekommen ist.

„Bewundert und viel gescholten“ (J. W. Goethe): Hetären waren unverheiratete, schöne und oft musisch begabte Frauen, die ihren Lebensunterhalt dadurch verdienten, dass sie Männern zur Unterhaltung zur Verfügung standen – auch als Liebhaberinnen. Von den gewöhnlichen Prostituierten unterschieden sie sich dadurch, dass sie sich nicht einfach gegen Bezahlung für einmalige Liebesakte zur Verfügung stellten. Obwohl Hetären wechselnde Liebhaber hatten, gab es enge Zweierbeziehungen, ja sogar echte Liebesverhältnisse. Hetären lebten oft auf großem Fuß und verkehrten in den höheren Kreisen der Gesellschaft. Viele von ihnen sind namentlich bekannt und genossen hohe gesellschaftliche Achtung.

Beispielhaft beschreibt Wolfgang Schuller Leben und Schicksal der bedeutendsten Hetären: Einige konnten Kaiserin werden (Theodora), andere endeten tragisch. Die hässlich gewordene gealterte Hetäre ist ebenfalls Gegenstand antiker bildender Kunst und Dichtung.

Ein Vergleich mit ähnlichen Erscheinungsformen weiblicher Existenz von den Geishas bis zur französischen Halbwelt des 19. Jahrhunderts rundet diese erste Gesamtdarstellung ab.

Wolfgang Schuller, geboren 1935, wurde zuerst als Jurist ausgebildet und studierte danach Altertumswissenschaften. Von 1972 bis zu seiner Emeritierung 2004 war er Professor für Alte Geschichte, seit 1976 an der Universität Konstanz. Seine Forschungsschwerpunkte sind die griechische Antike, die antike Frauengeschichte sowie die DDR-Geschichte. Zuletzt ist er als Autor in der „ZEIT-Geschichte“ hervorgetreten und verfasste eine viel beachtete Kleopatra-Biografie. Regelmäßige Beiträge u. a. in der „FAZ“. (win/tan)

 

Leseprobe:

© Verlag Klett-Cotta ©

1. KAPITEL: In ganz Hellas besungen. Die archaische Zeit

Griechenland und seine Kultur traten im 8. Jahrhundert v. Chr. in die Geschichte ein. Die ersten drei Jahrhunderte danach waren eine Zeit lebensvollster, vielfältigster politischer, künstlerischer und geistiger Entwicklung. Der griechische Stadtstaat, die Polis, bildete sich heraus mit seinen durchgebildeten Verfassungen, die Griechen besiedelten die Küsten Siziliens, Süditaliens und des Schwarzen Meeres; die Westküste Kleinasiens war schon jahrhundertelang griechisch gewesen. Mit den beiden Großepen Homers, der Ilias und der Odyssee, trat die griechische Kultur mit einem Schlag in die Weltliteratur ein, bald darauf entstand die Lyrik mit unzähligen, sich als Individuen zu erkennen gebenden Dichtern und Dichterinnen – Archilochos, Alkaios, Sappho und vielen anderen –, die ersten Philosophen traten hervor, ebenfalls scharf ausgeprägte schöpferische Individuen. Der Tempelbau, die bildende Kunst, die Vasenmalerei und vieles andere entstand fast aus dem Nichts und erreichte bald den höchsten Grad der Vollkommenheit – und die ersten Hetären betraten die Bühne der Geschichte.

Ausdrücklich hören wir zum ersten Mal von Hetären aus Naukratis im Nildelta, der einzigen Griechenstadt in Ägypten. Herodot, der im 5 . Jahrhundert schreibende Historiker, berichtet, Naukratis sei berühmt für seine schönen Hetären gewesen, und die berühmteste von ihnen war Rhodopis, „wie eine Rose anzuschauen“. Sie lebte zur Zeit des Pharaos Amasis – desjenigen Ägypterkönigs, mit dem der Tyrann Polykrates von Samos befreundet war –, war eine Thrakerin und gehörte ursprünglich als Sklavin einem gewissen Iadmon aus Samos, der Fabeldichter Äsop soll einer ihrer Mitsklaven gewesen sein. Dann kaufte sie ein anderer Samier, Xanthos, und reiste mit ihr nach Ägypten, um mit ihren Liebesdiensten Geld zu verdienen. Das wurde ein größerer Erfolg, als Xanthos sich das möglicherweise gedacht hatte. Rhodopis war nämlich eine so wunderbare Frau, daß sich ein junger Adeliger aus Lesbos namens Charaxos derart heftig in sie verliebte, daß er sie für teures Geld kaufte und dann freiließ; viel Geld hatte er ja, denn er handelte in großem Stil mit griechischem Wein, den er in Ägypten absetzte. Wenn er allerdings gedacht haben sollte, daß das Mädchen bei ihm bleiben würde, dann irrte auch er sich. Rhodopis, jetzt frei geworden, nahm sich andere Liebhaber, und von deren Geschenken wurde sie sehr reich und so berühmt, daß ganz Griechenland von ihr sprach und sich Geschichten über sie erzählte.

Später hieß es sogar, sie sei so reich gewesen, daß sie sich in Ägypten ein riesiges Grabmal habe bauen lassen, und zwar die dritte, zwar kleinste, aber immer noch gewaltige der drei Pyramiden von Gize. Das kann nicht stimmen, meint mit Recht Herodot, denn abgesehen davon, daß dies die Pyramide des Königs Mykerinos aus dem Alten Reich war, womit Herodot wieder recht hat, war Rhodopis dann doch nicht so ungeheuer reich, wie es der Bau einer Pyramide erfordert hätte. Herodot konnte nämlich ihren – immer noch beachtlichen – Reichtum ziemlich genau abschätzen: Rhodopis habe, um für Griechenland dauerhaft in Erinnerung zu bleiben, von dem zehnten Teil ihres Vermögens ein kostbares Weihgeschenk dem Apoll von Delphi gestiftet. Es befinde sich hinter dem Altar, den die Leute von Chios in Delphi errichtet hatten, gegenüber dem Tempel, er, Herodot habe es selbst gesehen, und wer wolle, könne es dort ebenfalls betrachten. Daran könne man erkennen, daß Rhodopis zwar nicht so reich war wie ein ägyptischer Pharao, aber immer noch eine außerordentlich wohlhabende Dame.

Das Glück der heutigen Forschung hat uns in Delphi die Inschrift auf einer Marmorbasis beschert, von der die letzten beiden Buchstaben eines Wortes erhalten sind, das „hat aufgestellt“ bezeichnet, und daran schließt sich fragmentarisch an „Rhod“. Der Schluß liegt sehr nahe, daß wir genau die Weihung vor uns haben, von der Herodot berichtet. Rhodopis ist also noch deutlicher ins Licht der Geschichte getreten als nur durch seine Erzählung. Nicht nur für das damalige Griechenland ist sie also dauerhaft in Erinnerung geblieben: Auch wir entdecken wieder Spuren ihrer Existenz.

Herodot weiß noch mehr. Zum einen teilt er mit, daß Charaxos der Bruder der Dichterin Sappho gewesen sei – sie lebte um 600 v. Chr. – und daß diese ihn in einem Gedicht für seine kostspieligen Eskapaden mit der Hetäre getadelt habe. Und dann berichtet er von einer weiteren Hetäre aus Naukratis, Archidike – ein sehr vornehmer Name –, die einige Zeit nach Rhodopis gelebt habe. Auch sie war in ganz Griechenland bekannt, und während die Berühmtheit von Rhodopis darin bestand, daß man von ihr Geschichten erzählte, wurden über Archidike sogar Lieder gesungen. Es ist zu schade, daß keines von diesen Liedern auf eine schöne Hetäre erhalten ist; andere freilich kennen wir, sie werden noch ausgiebig zur Sprache kommen.

Allerdings werfen spätere Autoren dem Herodot vor, Rhodopis mit einer anderen Hetäre verwechselt zu haben. Ihr kostbares Weihgeschenk wird nicht bestritten, es war ja noch lange zu sehen gewesen, und selbst heute haben wir ja noch Teile von der Inschrift, aber es wird behauptet, nicht Rhodopis sei es gewesen, in die Sapphos Bruder zu seinem Schaden verliebt gewesen sei, sondern eine andere Hetäre namens Doricha. Was sollen wir glauben? Glücklicherweise ist ein Teil eines Gedichts der Sappho auf einem Stück Papyrus wieder ans Tageslicht gekommen, dessen für uns entscheidende Strophe so lautet:

„Kypris, dich als strafende Göttin spüre

Doricha! Nicht laß sie sich dessen rühmen,

daß ein zweites Mal in entflammter Liebe

er ihr verfallen!“

Kypris ist eine andere Bezeichnung für die Liebesgöttin Aphrodite – es hieß von ihr, sie sei auf Zypern geboren und dann dort dem Meer entstiegen –, und Sappho bittet sie hier, Doricha dafür zu bestrafen, daß sich jemand zum zweiten Mal rettungslos in sie verliebt hat. Daß es also eine Doricha gab, ist damit aus erster Hand bestätigt, daß sie einen der Sappho nahestehenden Mann, nachdem er sich schon einmal von ihr hatte lösen können, zum zweiten Mal an sich gefesselt hat, auch, und schließlich lesen wir ebenfalls ganz authentisch von der Dichterin selbst, daß sie damit gar nicht einverstanden ist. Da ist wohl der Schluß erlaubt, in diesem Text einen Teil genau des Gedichtes zu sehen, von dem es heißt, daß Sappho die Verbindung ihres Bruders mit einer Hetäre heftig mißbilligt habe. Deren sprechender Name Rhodopis statt Doricha dürfte ihr Hetärenname gewesen sein, und solche Umbenennungen werden in der Folgezeit gang und gäbe.

Es gibt weitere poetische Texte der Archaik, durch die wir etwas von Hetären hören, und von dem sozialen Ort, an dem wir ihnen begegnen. Es sind die Symposien, die Gastmähler unter adeligen Männern mit anschließendem Trinkgelage, zu dem die Ehefrauen keinen Zutritt hatten und von denen weiter unten noch eingehender die Rede sein wird. Der Dichter Mimnermos hatte eine Geliebte mit Namen Nanno, und daß sie als Hetäre verstanden wurde, zeigt der Anfang eines Trinkliedes des hellenistischen Dichters Poseidippos, das eine Art Trinkspruch darstellt:

„Gieß auf Nanno und Lyde, und gieß, wohlan, auf Mimnermos und auf Antimachos' Geist je einen Becher mir voll!“

Anakreon, der in der Lyrik des 18. Jahrhunderts zu einem allzu süßlichen Dichter gemacht wurde, redet eine Symposionsteilnehmerin in einem seiner Gedichte als thrakisches Fohlen an, das er zureiten wolle, und das muß gewiß nicht weiter erklärt werden. In einem anderen Gedicht, das nur fragmentarisch erhalten ist, beklagt er sich anscheinend über die Flatterhaftigkeit einer solchen Frau: Er nennt sie leophoros , bezeichnet sie also mit einem Wort, das wörtlich Leuteträgerin und das noch im heutigen Griechisch Hauptstraße bedeutet; das scheint hier anzudeuten, daß Anakreon zu seinem Kummer keineswegs der einzige war, dem sie ihre Liebe gewährte. Wenn wir daraus schließen wollten, daß es sich um eine gewöhnliche Dirne gehandelt haben sollte, dann wäre das ein großer Irrtum. Anakreon ist eifersüchtig, was bei einem solchen Mädchen wohl unangebracht wäre, er dichtet sie an, was ebenfalls nicht paßt, und er nennt sie mit Namen: Herotime, Heldenehre, ein Name, der jedenfalls vom hohen, sogar aristokratischen Anspruch der Trägerin zeugt.

Seit der spätarchaischen Zeit, mit dem letzten Viertel des 6 . Jahrhunderts beginnend, kann man eine Quellengattung für die Hetären heranziehen, die die Forschung zunächst überhaupt nicht berücksichtigt hatte: die Vasenbilder. Mit diesem Zeitpunkt setzen vor allem auf den athenischen rotfigurigen Gefäßen Darstellungen von Symposionszenen ein, auf denen alle Phasen dieser aristokratischen Trinkgelage wiedergegeben sind. Sehr häufig sind sie keineswegs auf die männlichen Teilnehmer alleine beschränkt, sondern es beteiligen sich in fast demselben Ausmaß junge Frauen daran. Diese jungen Frauen werden in verschiedenen Rollen dieser Teilnahme dargestellt, die, vereinfachend gesagt, den Stadien sowohl des Ablaufs des Symposions allgemein als auch der Intensität der Beziehungen zwischen den Männern und den Frauen entsprechen. Zum einen tragen die Mädchen durch Flötenspiel und durch Tänze zum heiteren Ablauf des Festes bei, und es kommt durchaus vor, daß das Mädchen selbst bei noch sehr fortgeschrittener Betrunkenheit der oder eines Symposiasten, also vermutlich gegen Ende des Festes, immer noch als völlig bekleidete Flötenspielerin abgebildet ist.

In zahlreichen weiteren Fällen verläuft alles sehr anders. Man kann im zweiten Teil der Symposionsfeste, dem Komos, Flötenspielerinnen sehen, die bereits halb entkleidet und in zärtliche Beziehungen zu den Männern eingetreten sind, es gibt turbulente Szenen mehrerer unbekleideter Männer und Frauen bei spielerischen Verfolgungsjagden, bei denen die Männer unübersehbar erotisch erregt sind; es gibt Gemeinschaftsszenen, bei denen die Verfolgungen dadurch ihr Ende gefunden haben, daß die einzelnen Paare miteinander im Liebesakt verbunden sind. Vielleicht chronologisch etwas später erscheinen besonders liebevoll wiedergegebene Szenen zwischen einzelnen Paaren, ohne daß andere Paare anwesend sind, oder allenfalls ein weiteres, in allen Phasen des Zusammenseins von der ersten Annäherung bis zur körperlichen Vereinigung. Es gibt auch Darstellungen von Mädchen, die alleine ohne Männer heiter beim Wein oder bei Spielen zusammen sind, zumeist spärlich oder gar nicht bekleidet, oder, wenn sie allein dargestellt werden, laszive Stellungen einnehmen oder sich sogar mit künstlichen männlichen Phalloi selbst befriedigen. Hervorzuheben ist jedoch ebenfalls, daß ab und zu dadurch eine innige seelische Verbundenheit zwischen Frau und Mann dargestellt wird, daß sie sich beim Liebesspiel tief in die Augen schauen. Diese Ambivalenz zwischen manchmal sehr deutlicher Wiedergabe des Liebesakts in unterschiedlichen Stellungen einerseits und der menschlichen Verbundenheit zwischen den beiden Beteiligten andererseits kommt in schon fast rätselhafter Weise auf einer im Louvre aufbewahrten Trinkschale zum Ausdruck. Auf den Außenseiten sind reguläre Sex-Szenen wiedergegeben, an denen in bereits brutaler Weise mehrere Personen beteiligt sind, während die Innenseite ein vollständig bekleidetes Paar wiedergibt. Sie trägt eine Lyra, er wird, was selten ist, en face abgebildet, beider Gesichter und beide Körper verschmelzen ineinander. Es gibt zahlreiche Erklärungen für diesen seltsamen Befund, die mir alle nicht ausreichen; begnügen wir uns damit, daß beides die ganze Breite möglichen menschlichen Verhaltens in der Liebe dokumentiert, die nicht notwendigerweise in einem einzigen Menschen gleichzeitig auftreten muß.

Man muß sich vergegenwärtigen, daß diese Bilder auf Trinkgefäßen angebracht waren, und während durch nicht seltene Namensbeischriften durchaus konkrete Personen bezeichnet waren, müssen die Szenen doch nicht immer spezifisch und identifizierbar gewesen sein, die sich bei einer bestimmten Gelegenheit abgespielt hätten. Die Vasen mußten ja in einem langwierigen Prozeß hergestellt werden und waren zur weiteren Verwendung bestimmt. Diese Bilder hatten daher die Funktion, dem Mann und der Frau, die daraus tranken – und auch allen anderen Teilnehmern – vorzuführen, in welcher Situation man sich befand und was zu erwarten oder besser gesagt zu erhoffen war. Die Bilder hatten also eine stimulierende Funktion, und dem diente natürlich auch die ausgiebige Wiedergabe verschiedener Stellungen des Liebesaktes. [...]

© Verlag Klett-Cotta ©

Literaturangaben:
SCHULLER, WOLFGANG: Die Welt der Hetären. Berühmte Frauen zwischen Legende und Wirklichkeit. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 304 S., 24,50 €.

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