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„Das Leben ist eine Rutschbahn“ – Frank Wedekind im Porträt

Eine Würdigung Frank Wedekinds zum 90. Todestag

Von: DENNIS WIPPICH - © Die Berliner Literaturkritik, 31.03.08

 

BERLIN (BLK) – Der Naturalismus eines Gerhart Hauptmann oder eines Arno Holz war ihm fremd. Vielmehr war er seinen Vorbildern Christian Dietrich Grabbe und Georg Büchner verpflichtet, mit seinem lyrisch-expressiven Dialogstil in seinen Dramen und dem Hang zum Grotesken und zum Pathos. Die Rede ist von Frank Wedekind (1864-1918), dessen Stilmittel den Expressionismus ankündigten und dem deutschsprachigen Theater neue Wege aufwies.

Geboren wurde Frank Wedekind, der eigentlich Benjamin Franklin hieß, am 24. Juli 1864 in Hannover. Sein Vater, der pensionierte Gynäkologe und ehemalige Paulskirchenabgeordneter, Dr. Friedrich Wilhelm Wedekind, war bereits nach der gescheiterten März-Revolution 1848/49 nach San Francisco ausgewandert. Aus Protest gegen das 1871 gegründet Deutsche Kaiserreich wanderte der Arzt mit seiner Familie 1872 nach Lenzburg in die Schweiz aus, wo auch sein Sohn Frank die Jugendzeit verbrachte.

Nach dem Abitur 1884 studiert Frank Wedekind ein Semester deutsche und französische Literatur in Lausanne, wechselt dann aber auf Wunsch des Vaters nach München, um dort ein Jurastudium aufzunehmen. Als der jähzornige Vater bemerkt, dass die Studienleistungen seines Sohnes mangelhaft sind, entzieht er ihm jegliche finanzielle Unterstützung, es kommt zum Bruch. Frank Wedekind versucht sich daraufhin unter anderem als Journalist und arbeitet im Reklame- und Pressebüro der Firma Maggi & Co.

Wedekinds erstes Drama, die 1890 entstandene Komödie „Kinder und Narren“, karikiert einerseits die weibliche Emanzipationsbewegung, deren Ziele als naturwidrig abgelehnt werden, andererseits aber auch die Naturalisten um Gerhart Hauptmann, deren Forderung nach Wirklichkeitsdarstellung ad absurdum geführt wird.

Mit seinem Drama „Frühlingserwachen“ (1891), das in seiner sexuellen Deutlichkeit für die damalige Zeit sehr krass war, sorgte Wedekind für große Furore. Vor allem verschaffte es ihm den ersten und nicht letzten Kontakt mit den Zensurbehörden. Die Aufführung von Wedekinds Stücken wurde vielfach durch Verbote der Zensur erschwert oder verhindert, während des Ersten Weltkriegs (1914-1918) waren sie verboten, unter nationalsozialistischer Herrschaft „unerwünscht“.

„Frühlingserwachen“ ist die Tragödie zweier junger Menschen in der Pubertät, deren Sexualität erwacht. Doch wegen des Sittenkodexes der bürgerlichen Welt sind sie zum Scheitern verurteilt und enden in Vernichtung und Verzweiflung. In diesem Stück werden die Themen angerissen, die für die weiteren Werke Wedekinds stilbildend bleiben sollten: Er bringt das Triebhafte auf die Bühne und entlarvt durch groteske Überzeichnung und tragikomische Allegorien die Fragwürdigkeit der bürgerlichen Moralnormen.

Die 1890er Jahre verbringt er, neben Aufenthalten in Paris, London, Zürich und Berlin, hauptsächlich in München und versucht sich als Schauspieler und Dramaturg. 1896 ist er Mitbegründer der satirischen Wochenschrift „Simplicissimus“ und veröffentlicht unter verschiedenen Pseudonymen. Weil er in ebenjener Zeitschrift 1898 eine Satire auf Kaiser Wilhelm II. publiziert, wird er gesucht und muss sich in die Schweiz absetzen. 1899 kehrt er nach einem Aufenthalt in Paris, wo er in einem Bordell lebte und das Geld „verjubelte“, nach Deutschland zurück, wird dort aber wegen „Majestätsbeleidigung“ zu sechs Monaten Haft auf der Festung Königstein verurteilt.

Besondere Erwähnung sollte zudem noch das Schauspiel „Der Marquis von Keith“ (1900) finden, da es zwei weitere Leitprinzipien von Wedekinds Dramatik enthält: der bis zum Verbrechen gehende Lebensgenuss und die Moral. Ersteres verkörpert hier der Hochstapler Marquis von Keith, der eine Mischung aus Pferdedieb und Philosoph darstellt. Arbeit ist für ihn bürgerlicher Masochismus. Ihm gegenüber steht der Idealist Scholz, der voller Skrupel ist und „ein guter Mensch“ sein möchte. Am Ende verzichtet Scholz desillusioniert und schmeißt alles hin, wohingegen Keith, dessen Schwindelprojekte in sich zusammenbrechen, sogleich die nächste Chance ergreift, denn: „Das Leben ist eine Rutschbahn.“

In den beiden Lulu-Dramen „Erdgeist“ (1895) und „Die Büchse der Pandora“ (1904) möchte Wedekind „das wahre Tier, das so schöne, wilde Tier“ zeigen. An der Protagonistin Lulu, einer Prostituierten und Verkörperung des reinen Geschlechtstriebs, müssen die Männer zwangsläufig scheitern. Die Unmoral der bürgerlichen Welt wird hier ganz offen hervorgekehrt, die Hure, die über Leichen geht, reagiert nur auf Angebot und Nachfrage und legt somit die bürgerliche Scheinmoral der korrumpierten Gesellschaft offen.

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bestreitet Wedekind seinen Lebensunterhalt größtenteils als Kabarettist und Schauspieler in seinen eigenen Stücken. Als „Die Büchse der Pandora“ 1904 Uraufführung hat und als Buchausgabe beim Verlag Bruno Cassirer erscheint, wird es wegen Unzüchtigkeit beschlagnahmt. Erst 1906 werden der Verleger und der Autor vom Vorwurf der Verbreitung unzüchtiger Schriften freigesprochen, die Restauflage des Buches wird jedoch eingestampft.

1906 ist zugleich das Jahr, in dem die Uraufführung von „Frühlingserwachen“ an den Berliner Kammerspielen unter der Regie des bedeutenden österreichischen Theaterregisseurs und Intendanten Max Reinhardt (1873-1943) stattfindet. Dessen Inszenierung begründet Wedekinds Stellung als einer der meistgespielten Dramatiker seiner Zeit. 1912 und 1914 folgen schließlich mit großem Erfolg der 1. und 2. Wedekind-Zyklus an Reinhardts Deutschem Theater in Berlin. Doch – wie bereits erwähnt – werden zahlreiche seiner Stücke während des Ersten Weltkriegs verboten.

Die Dramen nach der Jahrhundertwende hatten nicht mehr die Mentalität, die die Lulu-Dramen oder den „Marquis von Keith“ auszeichneten. Für Wedekind waren gesellschaftliche Veränderungen schwachsinnig, den einzigen Ausweg sah er im freien Ausleben der Sexualität.

Am 9. März 1918 stirbt Frank Wedekind in München.

Dennis Wippich arbeitet als freier Reporter und Rezensent in Berlin für dieses Literatur-Magazin


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