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Das Leben von Andrea Palladio

Guido Beltramini über das Leben eines großen Architekten der Spätrenaissance

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 19.06.09

Wir wissen, dass Andrea Palladio einer der größten Architekten der Spätrenaissance war, (dafür sorgt schon eine unübersehbar gewordene Literatur), wir kennen seine Bauten: in und um Vicenza die Villen La Rotonda, Malcontento, Maser, Badoer, die Loggien des Palazzo della Ragione, das Teatro Olimpico und in Venedig die Kirchen San Giorgio Maggiore und Redentore—um nur einige der über achtzig ihm zugeschriebenen Gebäude zu nennen—wir können seine immer wieder gedruckten „Vier Bücher zur Architektur“ lesen, die Jahrhunderte lang einflussreicher waren als alle anderen Werke über das Bauen. Wir können uns seine beiden Romführer ansehen und die meist technischen oder aus der Vogelperspektive gezeichneten Stiche zu Caesars „Kommentaren“ und Polybios „Historien“—lauter Bücher, die er selbst hat drucken lassen. Aber was wissen wir eigentlich über den Menschen Palladio? Diese Frage hat sich Guido Beltramini, der Leiter des „Internationalen Zentrums für Palladio-Studien“ in Vicenza, gestellt und alles kompiliert, was seine eigenen und die Forschungen anderer zutage förderten. Er will seinen „Lebensspuren“ folgen. Mit erstaunlichen Ergebnissen. Kommt Palladio doch selbst in Vasaris Künstlerviten nur am Rande und nicht in einem eigenen Kapitel vor, wie sie dieser unermüdliche Biograf selbst vergleichsweise unbedeutenden Künstlern der Renaissance und des Frühbarocks eingeräumt hat.

Palladio wurde 1508 als Sohn eines Müllers von bescheidenem Wohlstand als Andrea della Gondola in Padua geboren, ging mit dreizehn Jahren bei einem Steinmetz in die Lehre, war 1524 bereits Steinmetzgeselle und Zunftmitglied und erhielt von dem berühmten Gelehrten und Diplomaten Giangiorgio Trissino, der sich seiner annahm, seinen Künstlernamen Palladio. Er lebte zunächst in Vicenza und erst in späteren Jahren überwiegend in Venedig, besaß nie ein eigenes Haus, sondern wohnte zur Miete, wenigstens viermal hat er Rom besucht und dort antike Bauten gezeichnet und vermessen. Er heiratete Allegradonna, eine Waise, mit der er fünf Kinder, vier Söhne und eine Tochter zeugte, sein Salär als fest angestellter Baumeister der Stadt Vicenza war bescheiden, auch für seine beruflichen Nebentätigkeiten ist er offenbar weit weniger gut honoriert worden als andere berühmte Künstler seiner Zeit. Es gibt von ihm kein zweifelsfrei authentisches Porträt, obwohl einige Grafiken und ein Gemälde—ausgerechnet von El Greco (den er vielleicht während eines Aufenthaltes des Spaniers in Venedig wirklich kennengelernt hat)—von verschiedenen Experten zu verschiedenen Zeiten für „echt“ erklärt wurden. Er starb 1580, vermutlich in Venedig und wurde mit Pomp in Vicenza beigesetzt. Doch es gibt in keiner Kirche, auf keinem Friedhof sein Grabmal; ein Schädel, der viel später in seinem angeblichen Grab gefunden wurde (neben elf anderen!), ist wahrscheinlich so wenig seiner, wie der Schillers in der Fürstengruft von Weimar.

Das alles ist für einen so berühmten Künstler und Architekten im 16. Jahrhundert ungewöhnlich—die meisten seiner damaligen Zunftgenossen hatten ein ausgeprägtes Ego, sie signierten ihre Werke, was Palladio nur dreimal an versteckter Stelle getan hat, wenn nicht auch diese Inschriften später angebracht wurden. Trotz aller Nachforschungen und Studien bleiben wir bis heute auf Mutmaßungen angewiesen. Es ist Beltraminis Verdienst, wenigstens einige durch annähernde Gewissheiten ersetzt zu haben.

Und doch gibt es—so der Autor—mindestens ein Zeugnis über diesen hinter seinem Werk zurücktretenden Meister, das zeigt, wie er gesehen werden wollte, es steht in der Einleitung zu seinen „Vier Büchern“. Dort schreibt er ungescheut von sich in der ersten Person, schildert seinen künstlerischen Werdegang, seine archäologischen Forschungen, seine Bauten und fährt fort: „Nachdem sich all das, was in ihnen an Frucht langer Erfahrung steckt, als gültig erwiesen hat, wage ich zu sagen, dass ich durch diese Erfahrungen einige Probleme der Architektur so erhellt habe, dass jene, die nach mir kommen, an meinem Beispiel die Schärfe ihres Verstandes übend, die Herrlichkeit ihrer Bauten leicht zur wahren Schönheit und Anmut der antiken Gebäude führen können.“ In dieser stolzen Selbsteinschätzung hat sich Palladio nicht getäuscht, auch wenn „palladianisches Bauen“ sich in den nächsten Jahrhunderten (bloß kopiert oder weiter entwickelt) eher im protestantischen Nordeuropa, in England, den Niederlanden, später in den USA, als Vorbild durchgesetzt hat, als in den Ländern, wo die Ausschweifungen des katholischen Barock seinen eher kargen Klassizismus ablösten. Ein Vorbild blieb er gleichwohl und eben ein Künstler, dessen Selbstbewusstsein sich allein in seinem Werk äußerte—als Person blieb er im Hintergrund. Zeitgenossen wussten immerhin zu berichten, dass er viele bedeutende Förderer hatte und ein witziger, zum Lachen geneigter Mann gewesen sei, der ein besonders freundschaftliches Verhältnis zu denen hatte, die als Maurer und Steinmetze für ihn auf seinen Baustellen—und das waren häufig mehrere zur gleichen Zeit—arbeiteten.

Beltramini ist gezwungen, Umwege zu gehen, um dieser enigmatischen Figur doch noch näher zu kommen, als es die wenigen widersprüchlichen Dokumente und viel Hörensagen erlauben. Er erzählt ausführlich von der Familie, den vier Söhnen, die nicht besonders gut taten, sogar in Mord und Totschlag verwickelt waren und fast alle vor ihm starben, er entwirft ein Porträt des künstlerischen und gesellschaftlichen Umfelds, in dem sich Palladio offenbar als Gleicher unter Gleichen ganz selbstverständlich bewegte, er beleuchtet das von Gewalttaten geprägte Leben in Vicenza und sogar die religiösen Verwerfungen der Zeit: einige von Palladios nächsten Freunden (auch einer seiner Söhne), wurden des „Luthertums“ verdächtigt und mussten das Veneto verlassen, um der Inquisition zu entkommen. Beltramini vermutet, dass auch Palladio selbst vor häretischen Anfechtungen nicht gefeit war. Eine Vorstellung Foucaults aufnehmend lautet sein Fazit: „Die palladianische Selbstkonstitution erfolgte allein über die Präsentation seines Werks. In einem merkwürdigen, fast beunruhigenden Sinn antizipiert Palladio das ‚Verschwinden‘, den ‚Tod des Autors‘.“

Doch seine Bauten sind noch da, man kann sie besichtigen und der Größe dieses Meisters inne werden.

Von Roland H. Wiegenstein

Literaturangabe:

BELTRAMINI, GUIDO: Palladio – Lebensspuren. Aus dem Italienischen von Victoria Lorini. Verlag Klaus Wagenbach (Salto), Berlin 2009. 120 S., Leinen, 14,90 €.

Weblink:

Klaus Wagenbach Verlag

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


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