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„Das machen die dieses Jahr nicht!“

Herta Müller wird in Stockholm mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet

© Die Berliner Literaturkritik, 06.12.09

Von Daniel Möglich

BERLIN (BLK) - So sehr man es ihr auch wünscht, aber es gibt wohl kein Entrinnen mehr: Sie ist bestellt. Am Abend des 10. Dezember wird Herta Müller in Stockholm mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Zu den Feierlichkeiten gehört das Singen der schwedischen Königshymne, eine Prozession der Ehrengäste aus aller Welt, ein Bankett im Rathaus von Stockholm und als kulinarischer Höhepunkt: ein Gala-Menu, dessen Gänge bis zuletzt ein sorgfältig gehütetes Geheimnis bleiben. Mehr als dreihundert dienstbare Geister haben allein für diesen Abend jeden Schritt, jeden Handgriff, jeden Augenaufschlag bis zum Umfallen geprobt. Wir sind gespannt - und wünschen den rund eintausend geladenen Gästen, dass es trotzdem schmeckt.

Vom Haus der Eltern in Nitzkydorf bis an den Tisch der königlichen Familie in Stockholm war es ein langer Weg: Herta Müller wurde am 17. August 1953 in Rumänien geboren, wo sie zur ethnischen Minderheit der Deutsch sprechenden Banater Schwaben gehörte. Erst mit 15 Jahren lernte sie die rumänische Sprache. Sie machte das Abitur, studierte in Temeschwar Germanistik und Rumänische Literatur und war im Anschluss als Übersetzerin in einer staatlichen Maschinenbaufabrik angestellt. Wegen ihrer Weigerung, mit dem rumänischen Geheimdienst Securitate zusammenzuarbeiten, wurde sie entlassen. Nach den Eingriffen der Zensur in ihr erstes Buch und wiederholten Verhören und Hausdurchsuchungen verließ sie 1987 schließlich ihre Heimat und siedelte in das damalige West-Berlin über. Schon 1984 war in der Bundesrepublik ihr Erzählband „Niederungen“ erschienen - eine verstörende Anti-Idylle, in der sie das Landleben der Banater Schwaben beschreibt.

Zahlreiche Literaturkritiker feierten die zurückhaltende Autorin als literarische Entdeckung ersten Ranges. Großes Lob fand vor allem der unverwechselbare Ton ihrer wortkargen Prosa, in der lyrische Bilder, lakonische Berichte und surrealistische Traumszenen zu einem vielschichtigen Sprachkunstwerk verschmelzen. Rumänien war für Herta Müller immer mehr als ein Ort auf der Landkarte: Das Banat und das Leben unter der kommunistischen Diktatur blieben auch nach ihrer Ausreise wichtige Bezugspunkte ihres Schaffens. Nach dem Tod des rumänischen Diktators Nicolai Ceausescu Ende 1989 verarbeitete sie in Bild-Text-Collagen („Der Wächter nimmt seinen Kamm“, 1993) und Prosatexten („Der Fuchs war damals schon der Jäger“, 1992) die Auswirkungen der Diktatur auf das Leben der Menschen. Sie wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, u. a. Rauriser Literaturpreis (1985), Kranichsteiner Literaturpreis (1991) und Kleist-Preis (1994).

Eines ihrer besten Bücher ist der 1997 erschienene Roman „Heute wär ich mir lieber nicht begegnet“, in dem sie die Geschichte eines Verhörs erzählt. Der Roman, der auch beim breiten Publikum ein großer Erfolg war, beginnt mit dem Satz: „Ich bin bestellt.“ Dieser Satz - drei Wörter, vier Silben, vierzehn Buchstaben kurz - enthält trotz seiner Lakonie ein beachtliches Maß an poetischer und moralischer Sprengkraft. Alle Schriftsteller, deren Bücher mehr sind als versteckte Blödmacher im verlausten Kulturgewand, haben solche Sätze. Denken wir an Kafka: „Die Schrift ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber.“ An Döblin: „Das furchtbare Ding, das sein Leben war, bekommt einen Sinn.“ Oder an Kertész: „Ja, davon, vom Glück der Konzentrationslager, müsste ich ihnen erzählen, das nächste Mal, wenn sie mich fragen.“ Diese Sätze, auf den ersten Blick unscheinbar und flüchtig, stoßen das dunkle Türchen auf, das Autor und Leser trennt. Dahinter findet man (vielleicht, an guten Tagen) so etwas wie ein Verstehen, ein Erkennen, und im besten Fall beschleicht einen das dumpfe Gefühl, soeben einer fremden Wirklichkeit begegnet zu sein. Einer Wirklichkeit, die noch viel absurder ist als die eigene.

Am 8. Oktober gab die Schwedische Akademie bekannt, dass Herta Müller mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wird. Die Preisträgerin zeichne „mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“, hieß es in der Begründung. Noch wenige Tage zuvor hatte sich Herta Müller skeptisch über ihre Chancen geäußert: „Ich glaube nicht daran. Ins Gespräch kommt man ja immer, aber das machen die dieses Jahr nicht.“ Und dann haben sie es doch gemacht. Ohne mit der frostigen Wimper zu zucken! Die deutsche Buchbranche reagierte mit riesiger Freude auf Müllers Auszeichnung. Doch abseits der knallenden Sektkorken wurden auch nüchterne Stimmen laut. Vor allem einige Vertreter des literarischen Ancien Régime kritisierten die Entscheidung der Akademie: Günter Grass hätte die Medaille lieber in den Händen des israelischen Schriftstellers Amos Oz gesehen, und Marcel Reich-Ranicki rollte (wie jedes Jahr) mit den Augen und forderte (wie jedes Jahr) den Preis für den amerikanischen Prostata-Romancier Philip Roth.

Und die Preisträgerin selbst? Ja, sie kam in dem Trubel auch zu Wort. Und sagte: „Ich freue mich.“ Überhaupt, Herta Müller glänzte in den Tagen nach der Bekanntgabe mit Bescheidenheit und Distanz zu den Marktschreiern. Und Bescheidenheit ist ein gutes Stichwort: „Alle Welt spricht von 20 Jahren Mauerfall und dann komme ich mit einer ollen Deportationsgeschichte“, sagte Herta Müller über ihren im August veröffentlichten Roman „Atemschaukel“. Mit dieser Einschätzung liegt sie richtig - jedenfalls zur Hälfte. Eine Deportationsgeschichte ist „Atemschaukel“ zweifellos, schließlich erzählt sie darin von einem Mann, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in ein Lager nach Russland verschleppt wird. Warum sollte man nicht davon erzählen? Schließlich sind wir Kinder des 20. Jahrhunderts - und wer wurde da nicht deportiert, landauf und landab, trap trap, von Albanien bis Zypern? Aber oll? Im Gegenteil. Nicht nur mit „Atemschaukel“, auch mit ihren Erzählungen und Essays zeigt Herta Müller immer wieder, wozu Literatur in der Lage ist: Durch Worte erzeugt sie eine Gegen-Welt, eine feine und wirksame Form des Widerstands gegen eine allgemeine Entwicklung, die Sprache zum Komplizen und Vollstrecker von wirtschaftlichen und politischen Interessen gemacht hat.

Seit Jahrzehnten wird die Sprache von einer grotesken Allianz aus Bürokraten, Journalisten, Politikern, Medienleuten, Demoskopen und Lobbyisten mit einem Firnis aus Manipulation und Bedeutungslosigkeit überzogen. Wie Zynismus klingt es da, wenn Felicitas von Lovenberg in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über „Atemschaukel“ schreibt: Der Roman sei „die vielleicht nachhaltigste Leseerfahrung dieses Herbstes“. Nachhaltig?! Nachhaltigkeit!? Sind Herta Müllers Bücher Windparks auf Helgoland, Finanzprodukte an der Wallstreet oder Wunderwaffen, die man von Peenemünde aus in den grauen Winterhimmel schießt? Nein, nachhaltig sind Herta Müllers Bücher nicht. Nur ein kleines Kontrastprogramm, der schönste Anti-Firnis, den wir uns heute wünschen können.


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