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Das Narratorium

Narren kommen in den besten Familien vor

© Die Berliner Literaturkritik, 21.07.09

ZÜRICH (BLK) – Im September 2008 ist beim Ammann Verlag das Lexikon „Narratorium“ von Ulrich Holbein erschienen.

Klappentext: Kein Jahrgang ohne Klassenkasper, kein Kartenspiel ohne Joker, keine Regel ohne Ausnahme – Narren kommen in den besten Familien vor. Vorwärtsgetrieben von ihren törichten Träumen, kämpfen sie gegen wechselnde Windmühlen, Götter, staatliche Behörden oder andere dubiose Übermächte. In seinem aberwitzigen Kompendium der weltlichen und geistlichen Narretei sammelt Ulrich Holbein die unglaublichen Lebensgeschichten von über dreihundert lebenden und historischen Persönlichkeiten. Er läßt unterschätzte Übermenschen aus den Nebeln der Weltgeschichte hervortreten und wirft neues Licht auf bewährte Heilige wie Franz von Assisi, den Dalai Lama oder Pater Anselm Grün. Die Viten von Laozi, Kaspar Hauser, Peter Handke bis Osama bin Laden bieten Stoff für dieses hochamüsante und welthaltige Erzählwerk. Ein gigantomanisches Sammelsurium kultureller Kuriosa, in dem sich Prinz Charles neben Sexguru Osho, Mohammed Ali neben Nina Hagen und Papst Benedikt XVI. Seite an Seite mit Till Eulenspiegel findet.

Eine unverzichtbare Fundgrube für die Liebhaber kurioser Enzyklopädien, eine raffiniert wissensstrotzende Summa summarum der Torheiten und Genialitäten der Weltgeschichte, von A bis Zett erzählt von Ulrich Holbein.

Ulrich Holbein wurde 1953 in Erfurt geboren und lebt heute im nordhessischen Knüllgebirge. Bekannt wurde er durch seine Kolumnen in der ZEIT, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung. Er ist Autor von annähernd 900 Publikationen, davon 21 in Buchform. Auszeichnungen: 5–7 Förderpreise, 4 Stipendien, 3 Preise. (rud/ber)

Leseprobe:

©Ammann Verlag©

MOHAMMED ALI (alias Cassius Marcellus Clay), Weltmeister, Star-­Boxer, Sportlegende, Kultfigur (geb. 1942): Der baptistisch getaufte Sohn eines Schildermalers und einer Putzfrau in Kentucky boxte sich mit 18 rauf, als Amateur, bis zu olympischer Goldmedaille und Profiboxerkarriere, gesteuert von einem Syndikat aus 11 (Narrenzahl!) weißen Geschäftsleuten aus Louisville. Selten ließ ein Schwergewichtler andere so langsam aussehn. Gegner ließ er sich müde hauen, ehe er zurückgab und loskeilte. Statt von Runde zu Runde zu ermüden, bot er noch in der 15. Runde immer rasantere Aufwärtshaken und Schlagkombinationen. Seine gefürchtete linke Führhand wuchs nach wie Hydrafäuste. Unnötige Beinarbeit perfektionierte er als reine Showeinlage; der tanzende Boxer — 95 kg schwer — mutierte zum boxenden Tänzer. Viele glaubten sich umzingelt. Zudem zermürbte er seine Gegner vorm ersten Gongschlag durch Verbalattacken: den bullenstarken Wildling George Foreman nannte er „Schlappschwanz“; Weltmeister Sonny Liston „großen häßlichen Bären“; Strong boy Floyd Patterson zittere als Kaninchen vorm eigenen Schatten, rief er und brachte ihm Mohrrüben ins Trainingscamp. Auf Gegner, die er verdrosch, redete er ein: „Schlag härter!“ Kritiker monierten, seinen Weltmeister habe sich das Großmaul, statt erboxt, erquatscht. Er ließ sich keinen Maulhalter vorlegen. Einem Sportreporter-Promi bot er 1 Mill. Dollar für dessen Toupet: „Stopfen Sie mit Ihren Haaren auch Ihr Gehör?“ Zu den Beatles sagte er beim Promi-Treff: „Ihr seid gar nicht so dumm, wie ihr ausseht!“

Dasselbe über Breschnew. Bereits sein Sandsackboxen klang seiner Umwelt wie Musik. Kuba sah er als Synonym für Fidel Castro, Afrika als Synonym für Lumumba, sich selbst als ein anderes Wort für Amerika. Was Sportlegende Max Schmeling für Deutschland war, das war Cassius Clay für die Welt. 1960 trug er sogar nachts auf dem Nachthemd die Goldmedaille, die er, als ein weißer Caféhausbesitzer ihn anmotzte „Verpiß dich, du Nigger!“, in den Ohio schmiß. 1962 trat er, geistlich bearbeitet von entsprechenden Reverends, zu den Black Muslims über, und in die Liga der damals bloß 700 000 Moslems (statt 1,3 Mrd. Muslime 2008), und schon betrieb „Mohammed Ali“ Gebetsniederwerfungen selbst im Boxring; einen Namen, vererbt von einem Sklavenhalter, wollte er nicht behalten. Wer ihn weiterhin „Cassius Clay“ nannte, den nannte er zur Strafe „Uncle Tom“. „There is no god but Allah, Mohammed is his apostle“, sagte er demonstrativ auf Pressekonferenzen auf. Schikanen folgten. Er aber meinte es ernst. Der Islamische Rat von Ägypten überreichte ihm eine pokalartige Kitsch-Moschee zum Aufstellen, kiloschwer aus purem Gold. Der gnadenlosen, von ihm zerwalkten Kampfmaschine Joe Frazier rief er mitten im Ali-Shuffle und Showdown zu: „Weißt du nicht, daß du gegen Gott kämpfst?“ Nie um flotte Sprüche verlegen. Seine Kundgaben, er hätte keine Angst vor Waffen, denn er sei zu schnell, um getroffen zu werden, Gott sei sein Bodyguard, oder er könne durch einen Hurrikan laufen, ohne daß er naß würde, variierten schamanistische Allmachts- und Unverletzlichkeitsphantasien wie in Nibelungenlied oder Daoismus. Behörden schickten Steuerbescheide und Wahlunterlagen weiterhin hartnäckig an „Mr. Cassius Clay“. Weiße hielten Mohammed Alis großgeschriebene Religion für Showeinlage, Publicitygag, für eine neue Marotte, unnötige Arabeske seiner Body-Religion. Im Londoner Isow’s Restaurant fuhr er gern simultan 2 übergroße rohe Steaks ein, sprang dann auf, rannte raus, um zu kämpfen. 1964 besuchte er erstmals Afrika; schwarz und horizontfüllend quoll’s ihm von überall entgegen. 1966 kämpfte er in Frankfurt, unter landenden und startenden Aeroplanes, erledigte den unkaputtbaren Europameister in der 12. Runde, gab hinterher zu: „Mit eurem Mildenberger hatte ich die meiste Arbeit.“ Von Nachtclubsängerin Sonji Roi, 23, der er 5 Minuten nach der Erstbegegnung einen Heiratsantrag machte, den sie mit „Why not?“ quittierte, ließ er sich nach 1½ Jahren scheiden, praktisch wegen nichts. Sie war halt nur 99- statt 100%ig gewillt, sich der Kontrolle seiner geistigen Führung auszusetzen, trug ganz gern mal Make-up und Schmuck, dadurch als aufsässig/nicht-islamisch eingestuft und ausgespien. Als sie fragte, ob sie’s nicht doch noch versuchen sollten, sagte ihr Gatte: „Wir sehn uns vor Gericht, Darling.“

Morddrohungen führten derart zu FBI-Paranoia, daß Ali Betreuer und Gegner öfters in einen Topf warf. Gattin Nr. 2, eine strenge Muslima: Belinda Boyd. Sein „I’m the greatest“ posaunte er hinaus in alle Welt, ohne hinzuzufügen: „größter Boxer“. Der beste Schwergewichtler aller Zeiten – da mischten sich Behauptung und Faktum; x Boxexperten hielten andere Boxpäpste, Weltrang-Bullen, Hexenkessel-Bomber, Sexmaniacs, Lederfäuste für zeitweise besser. Mohammed Ali aber konnte als erster am TV als Einzelperson 1 Mrd. Zugucker gleichschalten (später nur noch toppbar von Lady-Di- und Papst-Beisetzungen). Im Ring kassierte er pro Fight 8 Mill. Dollar, zusammen Bruttogagen von 67 Mill. Dollar. Viel verlor er an Moslembrüder, Mitläufer, Ex-Frauen und Hofstaat, kaufte Immobilien in Chicago, Los Angeles, Michigan, Pennsylvania. Zubrot kam durch TV-Spots rein, und sei’s Reklame für Ungeziefervertilgung. Einem Trainer verkaufte er seinen Gürtel für 500 Dollar. Den Kriegsdienst in Vietnam verweigerte er, weil er nicht den Dog spielen wollte, auf Befehl des Herrchens (Ami) sympathische Völker zu beißen. Sein Feind waren, statt die Gelben, weißhäutige, blauäugige Teufel, die wegen seiner unpatriotischen Äußerung („Mich hat noch nie ein Vietnamese „Nigger“ genannt!“) ihm den Titel aberkannten. Urteil: 5 Jahre Staatsgefängnis plus Geldbuße: 10 000 Dollar. Kautionsfreiheit. Bald nach dem Putsch in Libyen besuchte er ->Gaddafi. Gemeinsames Thema: Mißachtung schwarzer durch arabische Moslems. 1970 trat Ali wieder als Boxer an. Reflexe hatte er noch, aber keine Beine mehr. Verwaschene Suada, bis hin zum Nuscheln, ging auf Kinn- und Kiefertreffer zurück.

Trommelfeuer-Wirkung, bei der Sportler Goofy stets Sternchen und Engelchen um die Kopfbirne sausten, beschrieb the Greatest in seinen Memorien wunderbar surreal: trompetende Fledermäuse, Alligatoren mit Posaunen. 1971 verlor er gegen Joe Frazier, verglich ihn trotzdem bloß dem Mond, der in geborgtem Licht glänze. 1975 hatte die Sonne Urin im Blut. Leibärzte, die auf Knien zum Rücktritt rieten, flogen raus. Bei Liebeskummer hieß es von ihm, er könnte jetzt nicht mal ’ne Schüssel Sahne schlagen. 1977 Ehe Nr. 3 mit Fotomodell Veronica Porche. 1978 erklärte er seinen Rücktritt vom Boxsport. 1981 versuchte er ein Comeback, umsonst. 9 Kinder zeugte er. Parkinson wie beim Papst hängte ihm die Boxhandschuhe an den Nagel. Er zog sich zurück auf seine Farm in Michigan (30 Hektar), nach 21 Jahren im Ring und 60 Profikämpfen. 1987 Ehe Nr. 4 mit Lonnie. 1999 wurde das zitternde Wrack, stammhirngeschädigt lallend, d.h. der „bekannteste Mensch auf Erden“ (Thor Heyerdahl), berühmter als Martin Luther King oder Bill Cosby, in Wien zum „Kampfsportler des Jahrhunderts“ gewählt (nur getoppt von ->Jacksons Wahl zum „Musiker des Jahrtausends“). Nach dem Afghanistankrieg 2002 weihte Mohammed Ali in Kabul eine Mädchenschule ein. In Dublin eröffnete er mit seinem Freund Nelson Mandela die Behinderten-Olympiade. 2003 kam ein Ali-Bildband heraus, 39 kg, 3000 Fotos, 3000 €. Jetzt trug der Graukopf, 61, einen schwarzen Schnurrbart. Seine Frau, die drauf achtete, daß er seine Pillen regelmäßig einnahm, schlief nachts anderswo, da er im Traum oft um sich schlug. Ab 2006 litt er sehr dran, daß Sohn Sadi (geb. ’91) mehr als er wog: 92 kg. Der Vater kämpfte verstärkt gegen die Fettsucht der 60 Mill. Amis, d.h. 30% aller Amis, kraft seiner Diätkost-Creation „GOAT-Food“ (Greatest of all Times), auch „Ali-Futter“ genannt.

Worte von Mohammed Ali: Gott hat keine Hautfarbe, er hat keine Haut. Gott ißt nicht, und er geht nicht aufs Klo. Gott hat die Erde gemacht und die Sonne, alle Planeten. Es gibt kein Wort, das groß genug ist, Gott zu beschreiben. Aber Gott weiß alles, über jeden von uns. Deshalb müssen wir Gutes tun. * Floyd Patterson hat so die Hosen voll, daß er kaum laufen kann. * Der ist so häßlich, daß sein Stirnschweiß rückwärts läuft, um nicht übers Gesicht zu müssen. * Wenn ich dich fertigmache – wirst du durch den Ring kriechen und mir die Füße küssen?

Mohammed Ali über sich: Ich bin schwarz und ich bin wunderbar. * Ich habe die Welt erschüttert. * Ich habe über 100 Amateurkämpfe und 19 Profikämpfe hinter mir und bin noch immer bildhübsch, so hübsch, daß ich in Gold gemeißelt werden müßte. * Ich bin kein Farbiger mehr, ich bin olympischer Champion. * Es ist nur ein Job. Das Gras wächst, die Vögel fliegen, die Wellen rauschen an den Strand, ich schlage Leute zusammen. * Wer auch nur davon träumt, mich k.o. zu hauen, sollte aufwachen und sich bei mir entschuldigen. * Meine Devise: Flattern wie ein Schmetterling und stechen wie eine Biene! * Warum ich so brülle? Wer flüstert, den hört man nicht. * Frazier, daß ich nicht lache, ist doch nicht populär; mich kennt man in Peking und Bombay, in Durban und Damaskus, Berlin und Bangkok; das ist eine Frage der Persönlichkeit. Frazier ist keine Persönlichkeit. * Chrysler ist pleite, New York ist pleite, ganze Staaten sind pleite, und alles geht weiter. Ich selber bin nicht pleite. Ich will einen Rekord aufstellen für die Ewigkeit. * Wenn ich weg bin, wird das Boxen wieder gar nichts sein. * Allah hat mich oft getestet in meinem Leben. Parkinson ist der letzte Test.

Andere über Mohammed Ali: Dieser Mann schlägt in alle Richtungen. (Yellow Press) * Einen wie Ali wird es nie mehr geben. Holyfield? Ryson? Er hätte beide in einer Nacht geschlagen. (Angelo Dundee) * Seine Anmut war geradezu furchterregend. (Toni Morrison)

©Ammann Verlag©

Literaturangabe:

HOLBEIN, ULRICH: Narratorium. Lexikon. Ammann Verlag, Zürich 2008. 1008 S., Mit zahlreichen, farbigen Abbildungen, 39.90 €.

Weblink:

Ammann Verlag


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