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„Das Stück der Stunde“

Peter Zadeks „Major Barbara“ in Zürich gefeiert

© Die Berliner Literaturkritik, 06.02.09

 

Von Gisela Mackensen

ZÜRICH (BLK) - Das Schlussbild mit den leerstehenden amerikanischen Eigenheimen wäre kaum notwendig gewesen. Auch ohne diese direkte Anspielung auf die Immobilienkrise, den Ursprung der gegenwärtigen Wirtschaftsmisere, konnte das Publikum im Schauspielhaus Zürich erleben, dass George Bernard Shaws gut 100 Jahre alte Komödie „Major Barbara“ kaum an Aktualität eingebüßt hat. Das selten gespielte Werk das irischen Dramatikers (1856-1950) und Literaturnobelpreisträgers dreht sich um die Unmoral des Kapitalismus und die Heuchelei derer, die davon profitieren. „Es ist das Stück der Stunde“, heißt es denn auch in der Schauspielhaus-Werbung.

Altmeister Peter Zadek (82) bringt das Dilemma in leisen Tönen auf die Bühne - ohne moralischen Zeigefinger. Die Premierengäste belohnten den „Grand Old Man“ des deutschen Theaters am Mittwochabend mit reichlich Schlussapplaus. Im ersten Teil mussten sie allerdings einige Längen über sich ergehen lassen.

Das 1905 uraufgeführte Stück erzählt die Geschichte des Waffenfabrikanten Andrew Undershaft, dem Krieg und Zerstörung zu einem einträglichen Geschäft verholfen haben und der seit Jahren getrennt von der Familie lebt. Doch nun werden seine Millionen für die heiratsfähigen Töchter Barbara und Sarah gebraucht. Deshalb wird er zur Krisensitzung nach Hause zitiert. Seinen Sohn Stephen hat er bereits enterbt, weil die Fabrik nach alter Firmentradition immer an ein adoptiertes Findelkind geht. Nur ein Aufsteiger besitzt die nötige Skrupellosigkeit für das menschenverachtende Geschäft mit Granaten und Kanonen.

Undershafts Gegenspielerin ist Tochter Barbara, Majorin der Heilsarmee. Sie will nicht nur Hungernde satt machen, sondern auch ihre Seelen retten. Vater und Tochter wollen einander bekehren: Der gewissenlose Spekulant, der „Geld und Schießpulver“ seine Religion nennt, und die fromme Tochter, die glaubt, dass es „weder gute noch böse Menschen“ gibt und sich dem Dienst an den Armen verschrieben hat.

Doch die Wohltätigkeitsorganisation ist klamm, muss Spenden eines großen Schnapsfabrikanten annehmen. So entpuppt sich die Heilsarmee als verlogen, der Rüstungsbetrieb mit seinen sozialen Einrichtungen geradezu als Vorzeigeunternehmen. Barbara will aber nicht käuflich sein und zieht den Majorsrock aus. Ihr Verlobter, der Griechisch-Lehrer Adolphus Cusins, wird zum Findling erklärt und soll die Fabrik erben.

Für die Zürcher Inszenierung, die Zadek wegen seiner schweren Krankheit um ein Jahr verschieben musste, hat der Regisseur ein hochkarätiges Ensemble um sich versammelt. In der Titelrolle ist Julia Jentsch („Sophie Scholl“, „Die fetten Jahre sind vorbei“) als eine naive und zugleich entschiedene, aber letztlich blasse „Barbara“ zu sehen. Ihren Verlobten verkörpert gekonnt August Diehl („Buddenbrooks“, „Die Fälscher“). Nicole Heesters beeindruckt durch ihre souveräne Darstellung der resoluten Mutter Britomart Undershaft. Robert Hunger-Bühler ist als sanftes und zugleich charmantes Ekelpaket in der Rolle des Vaters zu erleben. Außerdem spielen Jutta Lampe und Oliver Masucci.

Das Spannungsfeld wird auch in Bühnenbild und Kostümen (Karl Kneidl) deutlich. Im Kontrast zur bürgerlichen Wohnzimmeratmosphäre im Hause Undershaft mit gediegenem Ledersofa und Sekretär steht eine Kälte verströmende Wand aus überdimensionalen Eiswürfeln. Die Schauspieler sind im englischen Chic der 20er Jahre ausstaffiert.

Die Aufführung endet mit einer Überraschung. Die Spannung weicht plötzlich der unbeschwerten Fröhlichkeit eines tanzenden und singenden Ensembles. Doch was die Darsteller schmettern, ist der „Lambeth Walk“ aus dem englischen Erfolgsmusical „Me and My Girl“ aus den 30er Jahren - einer Zeit, als die Welt auf den Zweiten Weltkrieg zusteuerte.

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