OSTFILDERN (BLK) – Der Bildband „Das Universum Klee“, herausgegeben von Dieter Scholz und Christina Thomson, ist im November 2008 beim Hatje Cantz Verlag erschienen.
Klappentext: Mit seiner sehr individuellen, jedoch zugleich universalen Bildsprache zählt Paul Klee (1879–1940) zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Schon 1901 war für ihn klar: „Ein guter Künstler will ich werden.“ Alle Schaffensphasen umfangend, führt der Band anhand von mehr als 200 Werken die visionär-poetischen Bildwelten Klees vor Augen, die das Abstrakte und das Figürliche auf einmalige Weise verschmelzen. Klees Œuvre wird in thematischen Einheiten vorgestellt: Der Lebenszyklus des Menschen – von Geburt und Kindheit über Eros und Elternrolle bis hin zum Tod – ebenso wie seine kulturellen Ausdrucksformen in Musik, Theater und Religion und seine Umwelt mit Pflanzen, Tieren und Landschaften. Klees Kosmos erweist sich als ein Ideen- und Bilderkreis, der die Gesamtheit der Welt zu erfassen und deuten versucht. In einem detaillierten Essay, der Paul Klees Auseinandersetzung mit einer Auswahl der wichtigsten Künstler seiner Zeit analysiert, wird die Klee-Forschung um einen zentralen Aspekt bereichert. Ausstellung: Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie 31.10.2008–8.2.2009
Leseprobe:
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„Alles wird Klee sein“! Diese Bemerkung von Paul Klee, 1906 in seinem Tagebuch notiert, wird in unserer Ausstellung Das Universum Klee erstmals ganz wörtlich genommen. Das Universum Klee, so zeigt es unsere Ausstellung, ist eine komplette Parallelwelt zu unserer wirklichen wie auch imaginierten Welt.
Die verharmlosende Klee-Rezeption der Nachkriegszeit leidet am einzigartigen Erfolg Klees auf dem Markt der Kunstpostkarten und Kalenderblätter. Klee wurde zum Synonym eines wissenden Lächelns, das wir uns im Ernst unseres Lebens gerne gönnen, ein Trost- und Erheiterungskünstler, nicht nur für melancholische Intellektuelle. „Ich glaube, wer alle Symbole Klees zu lesen verstünde, der würde unter der rein ästhetisch so ungemein genussvollen Oberfläche dieser Bilder das ganze Grauen unserer verfallenden Zeit zutage treten sehen“, so schrieb Georg Schmidt, der Direktor des Kunstmuseums Basel, 1935 in seiner Rezension in der National-Zeitung zur Klee-Ausstellung in der Berner Kunsthalle. 1933 von den Nationalsozialisten aus seinem Düsseldorfer Lehramt entlassen, ist Klee im gleichen Jahr in seine Heimatstadt Bern in die Schweiz zurückgekehrt, wo er 1879 als Ausländer geboren und 1940 als Ausländer gestorben ist. Wie sehr ihm Bern und die Schweiz als Sehnsuchtsort stets vor Augen gestanden haben, macht der Vergleich von Klees Gemälde Ad Parnassum (Abb. 2) von 1932 mit der Postkartenansicht von Bern (Abb. 1) deutlich. Berns gewaltige Viadukte vor entrücktem Alpenpanorama, das relativiert schlagartig die berühmte Formel Klees: „Diesseitig bin ich gar nicht fassbar“.
Als komplette Parallelwelt ist das Universum Klee auch durch die schiere Vielzahl der Werke eine bildnerische Enzyklopädie von geradezu titanischem Ausmaß zu allen Schönheiten und Schrecken unserer Welt, zu ihren Ängsten, Hoffnungen und Sehnsüchten, zu Leben und Sterben, zu all den ersten und letzten Dingen. Ein Universum, wie es mit solcher Welthaftigkeit wie Spiritualität in der deutschen Kunst vergleichbar noch bei Albrecht Dürer und Joseph Beuys und in der Literatur bei Johann Wolfgang von Goethe vorkommt. Ein Universum, das Klee selbstbewusst mit der göttlichen Schöpfung vergleicht und das diese Ausstellung erstmals wie ein orbis pictus in fünfzehn Kapiteln von der Geburt bis zum Tod nachzeichnet.
Höchst anschaulich werden in diesem orbis pictus auch der überwältigende Reichtum der Formensprache Klees, seine Vielfalt wie seine souveränen Stilwechsel. Stilpluralismus wird erkenntlich als adäquates Darstellungsmittel einer zerfallenen Zeit. Schon 1901 formulierte Klee seinen Ehrgeiz: „Ein guter Künstler will ich werden“. Ohne Klees Orientierung an Ferdinand Hodler, James Ensor, Vincent van Gogh, Alfred Kubin, Robert Delaunay oder Franz Marc ist die künstlerische Architektur von Klees Universum nicht zu verstehen. Otto Karl Werckmeister widmet diesen Kunst- und Karrierestrategien Klees sowohl in der Ausstellung als auch im Katalog ein eigenes Kapitel. Aber nicht nur die Selbsterfindung, sondern ebenso die Fremderfindung, welchen Künstler das Publikum aus ihm gemacht hat, ist im Falle Klees – wie Christine Hopfengart im Katalog zeigt – ein aufregendes Kapitel seiner Künstlervita.
Von daher führt unsere Ausstellung Das Universum Klee am Beispiel dieses Jahrhundertkünstlers ins Zentrum des großen Ausstellungszyklus zum Kult des Künstlers, dem sich die Nationalgalerie in diesem Herbst in all ihren Häusern verschrieben hat. Es geht um die traditionellen Formeln, die alterprobten Denk- und Redefiguren zur kultischen Selbsterhöhung des Künstlers ebenso wie um den Kult, den ein verehrendes Publikum mit den Künstlern treibt. Klee ist in unserem Ausstellungszyklus der Protagonist für den Künstlerkult zur klassischen Moderne. Umso richtiger erscheint Klee erstmals ausschließlich im Tempel der Moderne von Mies van der Rohe präsentiert, im Meisterwerk von Mies, der selbst lebenslang ein entschiedener Sammler von Klee war.
Vor fünfundachtzig Jahren, im Jahr 1923, hat Mies van der Rohe die bisher einzige große Klee-Retrospektive der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais sehen können. In seinem Katalogbeitrag zu Klee und Berlin erinnert Dieter Scholz ausführlich an diese Ausstellung.
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Literaturangaben:
SCHOLZ, DIETER / THOMSON, CHRISTINA (Hrsg.): Das Universum Klee. Hatje Cantz, Ostfildern 2008. 368 S. mit 377 Abb., davon 299 farbig, 39,80 €.
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