Von Antje Lorscheider
DÜSSELDORF (BLK) – Der deutsche Künstler Anselm Kiefer ist ein Tabubrecher, einer der Grenzen sprengt: Mit acht Selbstporträts, auf denen er – mal am Strand, mal am Meer, mal bei einer Papstaudienz – die Hand zum „Hitlergruß“ erhoben hat, brachte er sich vor knapp 40 Jahren ins Gespräch. Das war 1970: Kiefer war Kunststudent bei Joseph Beuys an der Kunstakademie in Düsseldorf. Damals stand der heute 63-Jährige am Anfang seiner Karriere, die ihn zu einem der international anerkanntesten deutschen Künstler der Gegenwart machte. Vor allem in den USA und Frankreich sorgte er mit seiner besonderen Art der Vergangenheitsbewältigung für Furore. Im Oktober erhält er – als erster Maler und Bildhauer überhaupt – den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Die Selbstinszenierung in Uniform und mit „Deutschem Gruß“, war ein „Aufreger“, der dem 1945 im baden-württembergischen Donaueschingen geborenen Kiefer den Ruch einer irregeleiteten Heldenverehrung einbrachte. Kiefers damalige Motivation zur eigenwilligen Vergangenheitsbewältigung: „Ich wollte das Unvorstellbare in mir selbst abbilden.“
An der Darstellung des „Unvorstellbaren“ hat sich Kiefer bis in die 90er Jahre abgearbeitet. Es entstanden monumentale „Historienbilder“, teils auf riesigen Bleiplatten, in denen sich der Künstler mit – so die oft gehörte Kritik – „tümelnd“-verklärender Geste emotionsträchtigen Symbolen deutscher Geschichte widmet. Sei es das Brandenburger Tor, sei es der von Albert Speer für die Nazis gebaute „Ehrenhof“, die Nibelungensage oder der Mythos um den germanischen Kämpfer in der Varusschlacht: Kiefers Bilder muten dunkel an und das mit feierlichem Pathos.
„Zweideutige Nostalgie!“, lautete ein Urteil über Kiefers Bilder hierzulande – eine Kritik an dem umfassenden Oeuvre mit Großskulpturen und Objekten, die noch immer nicht verhallt ist – durchaus aber abgeflaut. Der damalige Vorwurf: Verharmlosung, wenn nicht gar Rehabilitierung von Ungeist und dem „Bösen“. Ein Missverständnis. Bei aller verstörenden Ambivalenz der Kieferschen Bilder zur Deutschen Geschichte – Kiefer ist, so ein anderslautendes Urteil, ein „Archäologe der Trauer“.
Seine Bilder sind vielschichtige Versuche, in denen es statt repräsentativem Schlachtgetümmel und glorifizierender Heldenverehrung verbrannte Erde zu sehen gibt: Menetekel für die erschreckende Verführbarkeit des Menschen zum Täter, für die Kiefer insbesondere in den USA und Frankreich als „Vergangenheitsbewältiger par excellence“ hoch geschätzt, ausgestellt, gesammelt und mit öffentlichen Aufträgen bedacht wird. 1999 erhält er den japanischen „Praemium Imperiale“, die höchstdotierte Kunstauszeichnung der Welt. „Eine komplexe kritische Beschäftigung mit der Geschichte durchzieht Anselm Kiefers Arbeit. (…) Kiefer arbeitete in der Überzeugung, dass die Kunst einer traumatisierten Nation und einer irritierten, geteilten Welt Heilung bringen könnte“, hieß es in der Begründung der Jury.
Ende der 80er Jahre widmet sich Kiefer der jüdische Geheimlehre und der Mystik der Kabbala. Es entstehen Großskulpturen aus Blei wie „Zweistromland“ (1986-1989) und flugzeugähnliche Bleiobjekte, die nicht fliegen können, wie „Mohn und Gedächtnis“ (1989), als Bildmetaphern für Mythen oder geschichtliche Katastrophen. Die von ihm mit dem Titel „Volkszählung“ (1991) versehene Bibliothek mit ihren schweren Bleifolianten gilt als Symbol für die Zukunft des Buches und gegen die Flüchtigkeit der Medien. In Deutschland war Kiefer zuletzt 1991 in Berlin zu sehen.
Kiefer, dessen Werke in einer ehemaligen Fabrik im Odenwald in Kooperation mit 19 Assistenten entstanden sind, übersiedelt Anfang der 90er Jahre nach Frankreich. Dort hat er nach mehrjähriger Malpause einen „Neuanfang“ gemacht, nachdem in Deutschland zuvor seine Stiftungsidee zum Kunstpark „Zweistromland“ gescheitert war. In Barjac am Fuß der Cevennen bebaut Kiefer seitdem das mehr als 30 Hektar große Gelände einer ehemaligen Seidenfabrik mit „Himmelspalästen“. Es entsteht ein Gesamtkunstwerk aus Türmen, Tunneln, Häusern und Hangars zur Unterbringung seines Werkes.
In Paris wird im Mai 2007 im Grand Palais eine groß angelegte Ausstellung mit mehr als 80 monumentalen Werken gezeigt. „Frankreich ist für mich das Land der Verheißung“, sagte Kiefer zur Eröffnung. Er lebt inzwischen neben Barjac auch in Paris. Dort hat er sich ein herrschaftliches Stadthaus gekauft.
Anselm Kiefer – Vielschichtiges Werk mit politischer Aussage
HAMBURG (BLK) – Werke von Anselm Kiefer, dem Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2008:
1973: „Resurrexit“ – Öl, Acrylfarbe und Holzkohle auf Sackleinen
1981: „Dein goldenes Haar, Margarete“ – Öl, Acrylfarbe, Emulsion und Kohle mit Stroh auf Segeltuch
1981: „Die Meistersinger“ – Öl, Emulsion und Sand mit Fotos auf Segeltuch
1982: „Nürnberg“ – Acrylfarbe und Emulsion mit Stroh auf Segeltuch
1985: „Durchzug durch das Rote Meer“ – Öl, Emulsion und Schellack auf Fotos, montiert mit Blei und Holzschnitt auf Segeltuch
1986: „Jerusalem“ – Acrylfarbe, Emulsion, Schellack und Goldfolie mit Blei und einem Paar stählerner Ski
1986: „Die Frauen der Revolution“ – Blei und Kreide auf Holzplanken mit Rosen und Maiglöckchen hinter Glas
2002: „Etroits sont les vaisseaux“ (die engen Schiffe) – 20 Meter lange, wellenförmige Betonskulptur mit Armierungseisen und einem aufgeschlagenen Buch aus Blei
2003: Bühnenbild und Kostüme für „Ödipus in Kolonos“ von Sophokles im Wiener Burgtheater
2007: „Athanor“ – Acrylfarben auf mit Tonerde grundierter Leinwand; die Auftragsarbeit für den Pariser Louvre zeigt einen mit dem Himmel verbundenen, nackten Mann als Symbol der Wiedergeburt. (dpa/wip)