FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Das „Unwort des Jahres“ 2007 heißt „Herdprämie“. „Das Wort diffamiert Eltern, insbesondere Frauen, die ihre Kinder zu Hause erziehen, anstatt einen Krippenplatz in Anspruch zu nehmen“, begründete der Sprecher der unabhängigen Jury aus Sprachexperten, Prof. Horst Dieter Schlosser, am Dienstag (15. Januar 2008) die Entscheidung in Frankfurt. Die sechs Juroren hätten ein „ganzes Wortfeld“ ausgemacht, das diese Diffamierungsabsicht deutlich werden lasse. Als Beispiele nannte der Germanist „Aufzuchtprämie“, „Gluckengehalt“ und „Schnapsgeld“.
Auf Platz zwei der 17. sprachkritischen Aktion setzte die Jury das Wort „klimaneutral“. Mit dem Begriff werde versucht, „für eine Ausweitung des Flugverkehrs oder eine Steigerung anderer CO2-haltiger Techniken zu werben, ohne dass dabei deutlich wird, wie diese Klimabelastungen ‚neutralisiert’ werden sollen“. Der kritisierte Begriff stehe „exemplarisch für viele Wörter in der Klimaschutzdiskussion“, sagte Schlosser.
Die Juroren rügten zudem die Formulierung des Kölner Kardinals Joachim Meisner aus einer Predigt, nach der Kunst und Kultur „entartet“, wenn sie ihre religiöse Bindung verliert. „ ‚Entartete Kunst’ war ein NS-Schlüsselbegriff, mit dem missliebige Künstler und ihre Werke diffamiert und ‚beseitigt’ wurden.“
Der Begriff „Herdprämie“, den die Gesellschaft für deutsche Sprache auf Platz zwei der Wörter des Jahres 2007 gesetzt hatte (nach Klimakatastrophe), setzte sich gegen 968 andere Vorschläge durch. Der Begriff war bereits unter anderem im Sommer vom Mainzer Bischof Kardinal Karl Lehmann als „Kampfwort“ kritisiert worden. Wer die Wortschöpfung zum ersten Mal gebraucht hat, konnte die Unwort-Jury nicht feststellen. Der Begriff aus dem politischen Streit über ein Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder ausschließlich zu Hause erziehen, sei aber oft gefunden worden. Er war zudem der zweithäufigste Vorschlag (90 Mal). Insgesamt waren 1760 Formulierungen eingesendet worden.
Am häufigsten wurde „Kopftuchverbot“ genannt (165 Mal), dies gehe aber größtenteils auf eine zentral gesteuerte Aktion zurück und der Begriff sei zudem kein Unwort, sondern aus Sicht der Einsender ein Unding, sagte Schlosser. Entscheidend für die Wahl des Unworts ist nicht die Häufigkeit eines Vorschlags, sondern ein besonders krasses Missverhältnis zwischen Wort und Sache.
Das Börsen-Unwort des Jahres, das zeitgleich mit dem Unwort in Düsseldorf bekanntgegeben wird, lautet „Subprime“. Damit werde die Bewertung von Hypotheken-Darlehen beschönigt, sagte Schlosser. Diese Darlehen seien in Wahrheit hochriskant und hätten 2007 in den USA und dann auch in Deutschland finanzielle Schäden größten Ausmaßes mit noch immer nicht ganz überschaubaren Folgen verursacht. Das Börsen-Unwort wird von Maklern, Wertpapierhändlern und Analysten der Düsseldorfer Börse gekürt.
Das Unwort des Jahres wird seit 1991 gewählt. Dabei werden jedes Jahr Formulierungen aus der öffentlichen Sprache gesucht, „die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen“. Bis 1994 wurde das Unwort mit der Gesellschaft für deutsche Sprache gekürt; nach einem Konflikt über die Rüge der Formulierung von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) „kollektiver Freizeitpark“ hat sich die Jury als „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ selbstständig gemacht.
Heiß diskutiert habe die Jury auch den Begriff „Präventionsstaat“. Dieser werde jedoch – entgegen der Meinung vieler Einsender noch nicht – identisch mit Überwachungsstaat gebraucht. Kritikwürdig seien seiner Meinung nach auch „der Grundrechtseingriff an der Bagatellegrenze“, von dem der hessische Innenministers Volker Bouffier (CDU) gesprochen habe, sagte Schlosser. Der Sprachwissenschaftler kritisierte auch den Begriff „Nachtflugverbot“ in der Diskussion um den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Von einem Verbot könne bei 17 Ausnahmen keine Rede mehr sein. Der Begriff aus der Diskussion um das Jugendstrafrecht, „Erziehungscamps“ habe schon jetzt Chancen, Unwort 2008 zu werden.
Neben den vier ständigen Mitgliedern und Sprachwissenschaftlern haben in diesem Jahr die Journalisten Sonia Mikich („Monitor“/WDR) und Hans Leyendecker („Süddeutsche Zeitung“) mit entschieden. 2006 war die Wahl der Juroren auf „Freiwillige Ausreise“ gefallen. (dpa/wip)
„Worte“ und „Unworte“ des Jahres seit 1997
FRANKFURT AM MAIN (BLK) – „Worte“ und „Unworte“ des Jahres gelten als Ausdruck des Zeitgeistes in Deutschland. dpa dokumentiert die „Worte“ und – mit kurzer Begründung der Jury – die „Unworte“ seit 1997:
WORT DES JAHRES
1997: „Reformstau“
1998: „Rot-Grün“
1999: „Millennium“
2000: „Schwarzgeldaffäre“
2001: „Der 11. September“
2002: „Teuro“
2003: „Das alte Europa“
2004: „Hartz IV“
2005: „Bundeskanzlerin“
2006: „Fanmeile“
2007: „Klimakatastrophe“
UNWORT DES JAHRES
1997: „Wohlstandsmüll“ (Umschreibung arbeitsunwilliger und -unfähiger Menschen durch den Ex-Nestlé-Verwaltungspräsidenten Helmut Maucher)
1998: „sozialverträgliches Frühableben“ (Zynisch wirkende Ironisierung durch den Ex-Präsidenten der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar)
1999: „Kollateralschaden“ (Verharmlosung der Tötung Unschuldiger als Nebensächlichkeit, NATO-offizieller Terminus im Kosovo-Krieg)
2000: „National befreite Zone“ (Zynisch heroisierende Umschreibung einer Region, die von Rechtsextremisten terrorisiert wird)
2001: „Gotteskrieger“ (Kein Glaube an einen Gott gleich welcher Religion kann einen Krieg oder gar Terroranschläge rechtfertigen)
2002: „Ich-AG“ (Reduzierung von Menschen auf Börsenniveau)
2003: „Tätervolk“ (Grundsätzlich inakzeptabler Kollektivschuldvorwurf; als potenziell möglicher Vorwurf gegen Juden in der Rede des Ex-CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann schlicht antisemitisch)
2004: „Humankapital“ (Degradierung nicht nur von Arbeitskräften in Betrieben, sondern von Menschen überhaupt zu nur noch ökonomischen Größen)
2005: „Entlassungsproduktivität“ (Verschleierung der Mehrbelastung derjenigen, die ihren Arbeitsplatz noch behalten konnten)
2006: „Freiwillige Ausreise“ (Gesetzes- und Behördenterminus, wenn abgelehnte Asylbewerber aus deutschen Abschiebehaftanstalten, sog. Ausreisezentren, nach intensiver „Beratung“ in ihre Herkunftsländer zurückkehren, wobei die Freiwilligkeit in vielen Fällen zweifelhaft ist)
2007: „Herdprämie“ (Das Wort diffamiert nach Ansicht der Jury Eltern, insbesondere Frauen, die ihre Kinder zu Hause erziehen)
(dpa/wip)
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