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Das verlorene Paradies

Der neu aufgelegte Roman „Karnak-Café“ des ägyptischen Literaturnobelpreisträgers Nagib Machfus

© Die Berliner Literaturkritik, 07.09.16

Dieser Text erschien erstmals am 12. Mai 2009 in diesem Literaturmagazin.

MACHFUS, NAGIB: Karnak-Café. Übersetzt aus dem Arabischen von Doris Kilias. Unionsverlag, Zürich 2009. 126 S., 14,90 €.

Von BJÖRN HAYER

Wie ein Göttersitz thront der Karnak-Tempel im Tal der Könige. Ein Monument der Ewigkeit aus längst vergessenen Zeiten. Was sich in seiner Gestalt abzeichnet, ist eine Geschichte über Macht und den Traum, das Unmögliche zu schaffen. Er wurde errichtet, um eine Verbindung zu den Göttern herzustellen. Und gleichzeitig liegt in ihm das Moment von Gewalt und Schrecken. An ihm kleben Blut und Schweiß ganzer Menschengenerationen. Wohingegen seine Architektur uns stets beeindruckt, ist sie gleichzeitig ein drastisches Mahnmal, welches noch bis heute Fragen aufwirft.

Die Geschichte der Karnak-Ruine demonstriert, wie nahe doch der Versuch der Entgrenzung an die Brutalität gebaut ist. Dass sich in seiner Metapher auch die Schändung eines gesamten Volkes widerspiegelt, verarbeitete der ägyptische Schriftsteller Nagib Machfus in seinem jetzt neu aufgelegten Roman „Karnak-Café“ aus dem Jahre 1974. Geradezu minuziös konstruiert er darin eine Parabel über das Grauen von Willkür und Diktatur.

Dabei erweckt der Schauplatz der Handlung, das besagte Karnak-Café, zunächst den Eindruck paradiesischer Vollkommenheit. Mit Liebe zum Detail schildert der Ich-Erzähler sein „Lieblingscafé“, in dem Alt und Jung aufeinander treffen. Eben „ein guter Ort“ in einer „glücklichen Straße“. Es ist ein eigener Kosmos, in dem gelebt, gestritten und diskutiert wird, was in der Welt „outside“ passiert. Die Idylle jenseits der Außenwelt scheint perfekt. „Der Kaffee war köstlich, das Wasser klar und frisch, Tassen und Gläser strahlten vor Sauberkeit. (...) Mitten in der Stadt gelegen bot das Café einem Spaziergänger wie mir einen wunderbaren Platz zum Ausruhen.“

In nahezu makelloser Harmonie verdichtet Machfus den einzigartigen, fast träumerischen Zauber eines exquisiten Menschenkreises, dessen Geschichten zwischen alltäglicher Leichtigkeit, politischem Diskurs und melancholischer Erinnerung an vergessene Tage schwelgen. Da ist die anmutige Cafébesitzerin und ehemalige Bauchtanzfürstin Kurunfula, die eine Liaison mit dem jungen Hilmi Hamada pflegt. Oder der ehemalige Ministerialbeamte Arif Sulaiman, der Kurunfula bis zum finanziellen Exzess nachgeeifert hat und letztendlich als Barkeeper Teil der „Familie“ des Karnak-Cafés geworden ist. Sei es die junge Gruppe um Hilmi oder der immer eifersüchtige Kurunfulaverehrer Zain al-Abidin: Sie alle sind ein ästhetischer Spiegel des ägyptischen Volkes, zusammengefunden auf einer Insel der Seligen.

Obwohl die Atmosphäre anfangs ungetrübt erscheint, inszeniert Machfus die bewusste Zäsur, indem er die Außenwelt mit der glücksbenebelten Innenwelt kollidieren lässt. Denn eines Tages, ein zeitlich fixiertes Datum wird nicht genannt, verschwindet die Gruppe um den jungen Kommunisten Hilmi. Man weiß nur, dass die Revolution im Gange ist. Von nun an durchzieht „eine gewisse misstrauische Wachsamkeit“ die bislang geschlossene Tektonik der Großstadtinsel und offenbart Risse in der lichten Fassade. Es gilt die Devise: „Man sollte nicht zu viel fragen, das kann böse Folgen haben“. Was bleibt, ist ein bedächtiges Schweigen und das bittere Gefühl, dass „ein dichter Vorhang (....) über die Zeit gefallen“ war.

Der Außenkosmos lässt das wohlbehütete Interieur aus seinen Fugen geraten und wird zur unverkennbaren Bedrohung, wodurch die letzte Bastion, das geliebte Refugium, sich als Teil einer grausamen Realität desillusioniert. Was wirklich geschehen ist, wissen nur die Jungen, welche irgendwann unerwartet zurückkehren. Fragen erscheinen überflüssig, bisweilen grotesk. Denn jedem ist ohnehin klar, dass der politische Untergrundkampf begonnen hat: Revolutionstribunale und Gesinnungsschnüffelei entwickeln mehr und mehr Eigendynamik. „Die Spur von Verstörtheit“ in den Augen der Jungen markiert den Anfang vom Ende einer Kaskade zermürbender, menschenverachtender Verhöre.

So stellt die erste Verschleppung lediglich den Beginn dreier weiterer Entführungen dar, deren Höhepunkt im Tod Hilmis gipfelt. Zwischen Wissen und Verdrängung, Sorge und Passivität aus Selbstschutz, Ironie und traurigster Wirklichkeit balanciert Machfus die Gefühle seiner Figuren, die immer wieder sehnlichst die Rückkehr der Vermissten erwarten. Nur allmählich entlarvt der Autor in subtilen Andeutungen das Ausmaß der Katastrophe bis hin zur Vergewaltigung der jungen Zainab im Gefängnis. Offenbart wird darin auch die Vergewaltigung eines ganzen Volkes, das im Jahre 1967 im sogenannten Sechs-Tage-Krieg die Brüchigkeit seines geglaubten Paradieses erfahren muss. Denn nicht ohne Grund verfasste Machfus nur wenige Wochen danach den Roman.

Gleich einem Erdbeben verarbeitet er die Niederlage des ägyptischen Volkes. Es muss erfahren, dass gerade die eigene Hybris ihre gedachte Weltordnung aus den Fugen geraten lässt. Die Menschen im Café, die nicht begreifen wollen, was geschehen ist, sind Symbol für die Erschütterung jener scheinbaren Einheit. Es ist die zornige Abrechnung mit Revolutionsheuchelei und den frevelhaften Triumpfmärschen, die auf dem Boden des Blutes stattfinden. Vor allem die Lehren, die daraus gezogen werden sollen, werden nicht ohne Grund am Ende vom Bösewicht des Stückes, Chalid Safwan, einem Drahtzieher der Revolution, aufgezählt. Das Plädoyer für Frieden und Freiheit, gesprochen aus dem Munde des Verbrechens, entwirft den ironisch anmutenden Appell an jene, die fanatisch den Wert der Ideologie über den des Menschen stellen.

Chalid Safwan, der zuletzt als kränkelnder Außenseiter im Café die eigene Unzulänglichkeit resümiert, ist exemplarisch für all jene Täter, deren Schuldeingeständnis seit jeher ausblieb. Indem Nagib Machfus sich für eine bessere Welt jenseits von Terror und Willkür engagiert, setzt er ein moralisches Credo. Nie aggressiv, nie dogmatisch – er sucht den Dialog, den seine Figuren liebevoll für ihn führen. Gerade der Glaube an die moralische Verpflichtung des Autors, wie sie Lessing oder Brecht als Grundpfeiler ihrer ästhetischen Konzeption auffassten, steht Machfus’ Werk ebenso nahe wie die teilweise assoziative Parallelität zu Isabell Allendes Roman „Das Geisterhaus“.

Beide Autoren zeigen im Motiv der Vergewaltigung, was die Revolution aus den Menschen macht. Würde man nach einem gemeinsamen Prinzip suchen, so hieße die Maxime: Eine gewaltsam verfochtene Revolution fordert stets Opfer und wird selbst ungewollt zum zynischen Abbild dessen, was sie ursprünglich beseitigen wollte. So zieht ebenfalls Safwan den Schluss, dass auf dem Irrweg der Verblendung die Grenze zwischen Täter und Opfer fließend sei. „Er habe doch von seiner Unschuld gesprochen, die von roher Gewalt zerstört worden sei“, hält einer der im Café befindlichen Stammgäste fest und betont die fast brutale Verführung durch Suggestion.

Der Andersdenkende wird unabdingbar zum Feind. Die Lüge zur Wahrheit. Trotz allem lässt der Schluss die fast optimistische Vision von Hoffnung und dem Gebot der Liebe anklingen. Zugegebenermaßen schafft der Nobelpreisträger zwar keinen besonderen Sprachduktus, der über konventionelle Lakonik hinausreicht. Da Sprache bei ihm als Instrument genügt, ist ihm die Botschaft Anliegen und Komposition genug. Sensibel zeichnet er in inhaltlicher Tiefe das verlorene Paradies der Menschheit nach. Mit viel Mut entlarvt er die modrigen Risse unseres zivilisatorischen Tempels, hinter dessen Oberfläche die Abgründe moralischer Entgleisung einen unübersehbaren Ruf nach Frieden und Wahrhaftigkeit aussenden.

Machfus’ Rückbesinnung auf Wertereflexion ist gegenüber postmoderner Unklarheit ein notwendiges Projekt. Und es wirft zum Beispiel die Frage auf, ob unsere Werte überhaupt noch mehr sind als ein ruinöses Gebilde längst vergessener Zeiten. Sein Werk hat Machfus, der 2006 verstarb, überdauert. Es hat zumindest die Ambition, dass Literatur irgendwann einmal die Welt doch noch verändern könnte.


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