MÜNCHEN (BLK) – Das Romandebüt „Die verrückten Flanagans“ von Elizabeth Kelly ist im Februar 2010 im Blessing Verlag erschienen. Wolfgang Müller hat es aus dem Amerikanischen übersetzt.
Klappentext: Collie Flanagan ist gewissenhaft, strebsam und anständig – und das schwarze Schaf der Familie. Sein Bruder Bingo ist faul, großmäulig, draufgängerisch und ihr ganzer Stolz. Denn die Flanagans sind völlig übergeschnappt, und ihr riesiges Landhaus ist ein Biotop für Neurosen. Vater Charlie ist Trinker, Frauenheld und Prediger seiner anarchischen Weltsicht. Mutter Anais ist Millionenerbin, erklärte Marxistin und hasst ihren steinreichen Vater. Ständig umgeben von einem Rudel Hunden liefert sie sich regelmäßige Scharmützel mit ihrem Schwager Tom Flanagan, der der Familie den Haushalt führt und Brieftauben züchtet, die alle die Namen irischer Freiheitskämpfer tragen.
Bei einem Ausflug muss Collie dabei zusehen, wie sein Bruder ertrinkt. Den Flanagans ist anzumerken, dass sie den Verlust von Collie besser hätten verschmerzen können als den von Bingo. Beladen mit einem schweren Schuldkomplex versucht Collie von nun an verzweifelt, seinen Platz in der Welt zu finden. Er wird Playboy, Aktivist im Dschungel von El Salvador und schließlich renommierter Arzt. Doch der Frieden mit sich selbst und den Flanagans ist auf einem ganz anderen Weg zu finden.
Elizabeth Kelly wurde in Brantfort, Kanada, geboren und studierte an der University of Toronto Anglistik. Sie arbeitet als Redakteurin und wurde mehrfach mit dem Canadian National Magazine Award ausgezeichnet. Elizabeth Kelly lebt mit ihrer Familie in einem Dorf in der Nähe von Ontario. „Die verrückten Flanagans“ ist ihr erster Roman. (wer)
Leseprobe:
©Blessing Verlag©
Ich bin auf Martha's Vineyard aufgewachsen, in einem Haus, so groß und laut wie eine Parade - der Lärm hallte die gesamte Küstenlinie Neuenglands entlang. Pfeifende Orgeln, wirbelnde Taktstöcke, schmetternde Trompeten, alles klopfte und brummte, orchestriertes Chaos. Aber wir konnten es uns leisten. Meine Mutter war reich, das Geld ihres Vaters fiel wie Konfetti vom Himmel und legte sich wie ein weicher Schleier über die alltäglichen Konsequenzen des Krachs.
Wir lebten auf einigen abgeschiedenen Quadratkilometern Land am Südufer von Chilmark. Den Sand schüttele und kratze ich mir immer noch aus den Haaren und von den Fußsohlen, Sand, der in jeder Ritze des alternden Holzbodens unseres großen, verwitterten, mit Schindeln verkleideten und gedeckten Kapitänshauses saß.
Der Privatstrand am Squibnocket Beach war unser Vorgarten, raue, donnernde Brandung, Monsterwellen, die den Horizont verdunkelten. Wenn die Surfer an stürmischen Tagen fast in unserer Küche landeten, jagte sie mein Onkel Tom mit einem Sperrfeuer aus Obszönitäten wieder davon.
Tom war der ältere Bruder meines Vaters. Ich würde ihn unseren Hausirren nennen, auch wenn um diesen Titel immer hart gerungen wurde. In unserer Familie, in der Streitigkeiten und Meinungen so zahllos waren wie die Spuren der Strandläufer im Ufersand, gab es Scharmützel in Hülle und Fülle.
Kein Spatz konnte vom Baum fallen, ohne dass dies die wüst aufeinanderprallende Kommentierung durch Ma, Pop und Onkel Tom auslöste, den erwachsenen Mitgliedern meiner engsten Familie. In der Ferne ragte drohend, als konstante, mahnende Größe, mein Großvater mütterlicherseits auf, Peregrine Lowell, ein Mann von gewaltiger Spannweite, den wir den "Falken" nannten, und der hoch oben in seinem Horst wohnte, immer bereit, herabzustürzen und kleinere Vögel im Sturzflug zu erledigen.
Mein jüngerer Bruder Bing und ich wuchsen mit dem dissonanten, im Hintergrund kontinuierlich mitlaufenden Soundtrack dieses kollektiven Aufruhrs heran - nicht gerade eine Melodie, die irgendwer mitpfeifen konnte.
Diese fantastischen Flanagans, sie existieren gleich jenseits meiner Zimmertür, Technicolor-Figuren in einer, so hat es den Anschein, gesonderten Comicstrip-Version meines Lebens. Verglichen mit ihnen, war ich so primitiv wie ein Strichmännchen, ich war das häusliche Pendant einer moderaten Stimme in einem geteilten Irland. Mein Flanagan-Blut - katholisch wie Abendmahlwein - war laut Pop dank den Lowells, dem nördlichen angloirischen Stamm meiner Mutter, durch eine Infusion protestantischer DNA auf zellulärer Ebene korrumpiert.
Erinnerungen an mein Zuhause verfolgen mich, wohin ich auch gehe, sie kleben mir an den Hacken, hecheln nach Aufmerksamkeit, so unerbittlich wie all die Hunde, die meine Mutter über die Jahre um sich versammelt hatte. Nasser Hund und salzige, belebende, allgegenwärtige Seeluft - meine Vergangenheit klammert sich in großen Geruchswellen an mich, als schleifte ich sie wie einen verfilzten Schwanz hinter mir her. Das heruntergekommene Haus und die drängelnde Hundemeute - wenn man nur versuchte, von der Haustür bis ins Wohnzimmer vorzudringen, glaubte man sich in eine Neuinszenierung des Falls von Saigon versetzt.
Old English Mastiffs, Neapolitanische Mastiffs, Tibet-Mastiffs - die Burschen heulen den Mond an, bis dir die Seele zittert. Und dann noch Sykes, dieser gottverdammte Bullterrier. Über allem thronte meine Mutter wie eine verrückte, lockenköpfige, keltische Feenkönigin. Ihre opernhaften Sehnsüchte und Tiraden, ihre barbarischen Hass- und ihre überschwänglichen Gefühlsausbrüche dröhnten wie eine Leuchtturmglocke.
Mein Name ist Collie Flanagan. Ma entschied sich für den Namen, nachdem sie auf die Bücher von Albert Payson Terhune gestoßen war, dem Typen, der Mein Hund Lad geschrieben hatte.
Pop schwor, dass sie ihn während der ganzen Schwangerschaft in der Hoffnung gelesen hätte, ein Hundebaby zu gebären.
Bei der Taufe kam es vor dem Altar zu einem Wortgefecht, als der Priester sich weigerte, mich nach einer Hunderasse zu nennen. Er sagte, es gebe keinen heiligen Collie, worauf Ma erwiderte, dass es verdammt noch mal einen geben sollte, und Pop verkündete, dass ich dann eben der erste sei.
In Andover riefen sie mich Lassie. Sehr lustig.
Meine Mutter wollte immer eine Tochter. Der Tag meiner Geburt, der 22. November 1963, wurde auch bekannt als der schlimmste Tag in Mas Leben - die Enttäuschung der Geburt eines Sohnes fiel zusammen mit dem Tod ihres Helden JFK. Sie zelebrierte ihren epischen Furor, indem sie am Strand ein Feuer machte und Pops geliebte Schallplattensammlung in Brand steckte - auf dem Treibholz zerschmolzen die lächelnden Gesichter von Jo Stafford und Perry Como. Sie warf sogar eine Dose Raid-Insektenspray ins Feuer, nur um ihren Zorn über dem Horizont explodieren zu hören.
Neun Monate später, am dritten August, bekam sie einen zweiten Jungen, den sie nach einem Irischen Setter nannte, meinen Bruder Bing, der zu seinem Glück den Geburtstag mit ihrem anderen Idol teilte, dem britischen Kriegspoeten Rupert Brooke. Bevor sie mit Bing im Arm zum ersten Mal das Haus betrat, blieb sie trotzdem kurz stehen und riss aus dem Blumenkasten am vorderen Fenster alle rosa Geranien heraus. Ma, das muss gesagt werden, hatte die Gabe, selbst Blumen erzittern zu lassen.
Sie war die einzige Frau im Haus, laut Onkel Tom die unvermeidliche Schlampe, ansonsten lebten wir in einer wenig kultivierten, maskulinen Hausgemeinschaft - sogar die Hunde waren männlich, die Kleinen pissten auf die Kissen, die Riesen sabberten fette Testosteronfäden.
Man kann zweifelsfrei behaupten, dass meine Mutter und mein Großvater eine kuriose Beziehung pflegten. Sie konnte ihn nicht ausstehen, und er finanzierte kalt lächelnd ihre Verachtung. Manchmal glaube ich, dass er nur deshalb den Kontakt aufrechterhielt, weil er hoffte, das Geheimnis ihrer gegenseitigen Entfremdung zu entschlüsseln. Der Hass auf ihren Vater war meiner Mutter Lebenswerk und Studienobjekt, ihre Daddy-Promotion. Sie hatte Material über ihn gesammelt, solange ich zurückdenken kann. Auf den Stühlen in ihrem Arbeitszimmer stapelten sich die Forschungsergebnisse in Papierstößen, die so hoch wie der Esszimmertisch waren. An den Wänden hingen Tafeln und Schaubilder, auf denen die Nörgeleien von ehemaligen Angestellten, früheren Freunden und neidischen Konkurrenten verzeichnet waren. Da hingen Schwarz-Weiß-Fotos, geheime Zeugenaussagen und endlose Auflistungen ihrer persönlichen Beschwerden, die sie mit roter Tinte in Blockschrift auf die Wände gekritzelt hatte, ein perverser Wandschmuck, und alles für einen Schlüsselroman, an dem zu arbeiten sie behauptete und der den Titel Der Bastard trug.
Der Protagonist, ein unermesslich reicher und mächtiger Zeitungsmogul, ermordet seine Frau und kommt damit davon.
©Blessing Verlag©
Literaturverzeichnis:
KELLY, ELIZABETH: Die verrückten Flanagans. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Blessing Verlag, München 2010. 400 S., 19,95 €.
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