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Del Pontes Jagd auf Kriegsverbrecher

„Im Namen der Anklage“ – Kampf gegen Straflosigkeit

© Die Berliner Literaturkritik, 06.03.09

 

Von Thomas Burmeister

 

Als Kind hat sie heimlich Giftschlangen gefangen und verkauft, um ihr Taschengeld aufzubessern. Sie wurde erwischt und gestand sofort alles. Lügen konnte Carla Del Ponte nicht. Dass die Wahrheit das höchste Gut sei, hatte sie von ihrer Mutter gelernt. Mit derselben Kompromisslosigkeit jagte sie später Kriegsverbrecher und Massenmörder. Unerschrocken, aufrichtig, geradlinig. Oft unbequem auch für Amtsträger. Der Ruf einer Nervensäge eilte der Chefanklägerin der UN-Gerichte für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien voraus.

 

„Hören Sie, Madame“, fauchte CIA-Chef George Tenet sie im Streit an, „es ist mir scheißegal, was Sie denken.“ Da hatte die einstige Mafia-Jägerin aus dem italienischen Teil der Schweiz gerade wieder beharrlich darauf hingewiesen, dass auch die Großmacht USA mehr tun könne, damit der als Kriegsverbrecher gesuchte bosnische Serbenführer Radovan Karadzic festgenommen wird.

 

Als es endlich soweit war, als sich am 30. Juli 2008 die Tore des Untersuchungsgefängnisses des Jugoslawien-Tribunals im Den Haager Badevorort Scheveningen hinter Karadzic schlossen, war dies für Del Ponte ein Triumph. Wenn auch ein verspäteter. Sechs Monate vor Karadzics Festnahme und Auslieferung hatte die Schweizerin das Amt der UN-Chefanklägerin niedergelegt.

 

Der Unnachgiebigkeit, mit der sie es acht Jahre lang ausübte, ist es mit zu verdanken, dass die meisten der vom Jugoslawien-Tribunal Gesuchten vor Gericht stehen, in Scheveningen auf ihre Prozesse warten oder verurteilt wurden. Dass es gegen Slobodan Milosevic nach einem jahrelangen Verfahren kein Urteil gab, weil der mutmaßliche Hauptschuldige 2006 in der Haft starb, kann man ihr nicht anlasten.

 

Gegen welche oft unerwarteten Widerstände Del Ponte ankämpfen musste, schildert sie in der jetzt auch auf Deutsch erschienenen Autobiografie „Im Namen der Anklage – Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit“. Mit Hilfe des einstigen Balkan-Korrespondenten der „New York Times“, Chuck Sudetic, entstand ein oft spannendes Buch über die Lebenserfahrungen einer mutigen Frau, die einst an der Seite des später ermordeten Mafia-Jägers Giovanni Falcone nur knapp einem Bombenanschlag entging.

 

Dass es ihr in ihrem Buch „Im Namen der Anklage“ auf über 500 Seiten nicht immer gelingtng, Langatmigkeit zu vermeiden, ist der Natur ihres Jobs und ihrer Gründlichkeit geschuldet. Schon als UN-Staatsanwältin war Carla Del Ponte für Detailreichtum ihrer Anklageschriften bekannt, um nicht zu sagen berüchtigt.

 

Immer wieder bietet die Autobiografie auch Spektakuläres. So der von Del Ponte aufgegriffene Verdacht, dass 1999 aus dem Kosovo nach Albanien verschleppte Serben in einer an Frankenstein erinnernden Geheimklinik systematisch als Organspender ausgeschlachtet wurden. Eine sensationelle Enthüllung, so schien es, als 2008 die italienischsprachige Originalausgabe des Buche erschien.

 

Beweise konnte Del Ponte nicht vorlegen. Die zu finden, sei Sache der albanischen Behörden. Journalisten, die sich in dem von ihr beschriebenen albanischen Dorf auf die Suche machten, stießen auf Indizien wie Spritzen, Blutspuren und Infusionsbeutel, aber nicht mehr. Die Dorfbewohner wussten angeblich von nichts.

 

Fragen kann man Carla Del Ponte danach. Und auch nach jenen Passagen in ihrem Buch, die darauf hindeuten, dass manche westlichen Politiker die Aufarbeitung von Verbrechen in Jugoslawien und zum Teil sogar des Völkermordes in Ruanda eher behindert als gefördert haben. Doch die Antwort der heutigen Schweizer Botschafterin in Argentinien ist immer dieselbe: Mit „großem Bedauern“ verweist sie darauf, dass die eidgenössische Regierung ihr weitere öffentliche Äußerungen zu ihrer Tätigkeit als Kriegsverbrecher-Jägerin untersagt habe.

 

So bleibt das Schluss-Plädoyer der 61-Jährigen, das sich liest wie ein Appell an die Mächtigen der Welt und zugleich wie ein Aufruf an Juristen, die erwägen, in ihre Fußstapfen zu treten: Wenn es jemals gelingen soll, Verbrechen jener Größenordnung einzudämmen, mit der es die einstige Schlangenfängerin in ihrer Den Haager Zeit zu tun hatte, „dann erfordert dies eine Risikobereitschaft, einen Willen und Anstrengungen, die größer sein müssen als die Risikobereitschaft, der Wille und die Anstrengungen, die die schlimmsten Verbrecher unter uns aufbringen, jene, die glauben, über dem Gesetz zu stehen“.

Literaturangaben:
DEL PONTE, CARLA: Im Namen der Anklage. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 528 S., 22,95 €.

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