Von Jenny Schon
Denis, der Einzige aus dem Dorf Puklice, der Gita Lauschmannová intellektuell und emotional gewachsen ist, sagt: „Ich bin noch nie einem Menschen begegnet, der jederzeit so sorgfältig angezogen und zurechtgemacht war wie Sie. Es kommt mir immer so vor, als würden Sie gleich ins Theater aufbrechen. Mindestens …“„Darin liegt nicht die geringste Spur von Koketterie, das hat alles einen ganz banalen Grund. In meinem Alter kann mich zu jeder Zeit der Tod überraschen. Überall. Ich möchte ihm eine würdige Partnerin sein. Man soll mich in einer ästhetisch akzeptablen Verpackung finden.“
Sie schafft es nicht, den Tod in Würde zu empfangen. Plötzlich ist er da. Sie setzt sich an den Schreibtisch. Noch bevor sie den ersten Satz des letzten Abschnitts beginnt, sticht ihr „jemand heftig unter ihr linkes Schulterblatt. Und dreht den feststeckenden Dolch schamlos um. Ich weiß, dass ich sterbe. Die finale Sekunde …Der Haken des Todes fährt durch meine Brust, der Tod steht auf und hält ohne Erbarmen die Angelrolle fest, damit ich ihm nicht entgleite. Wie schon so oft. Aber ich bin doch noch nicht so weit … ich will noch nicht sterben … lieber Gott, noch nicht, ich will noch nicht sterben, ich habe mir noch nicht die Zähne geputzt, ich bin nicht richtig angezogen … noch nicht, noch nicht, ich will noch nicht, lieber Gott, noch nicht …“. In dieser atemlosen Sprache ist die Geschichte der Gita Lauschmannová bis zum Ende erzählt.
Begonnen hat sie 1945, im Frühjahr, nach Kriegsende. Sie ist als junges Mädchen der Hölle Theresienstadt entkommen, als Jüdin wurde sie von den Nazis kaserniert, als Deutsche steht sie nun vor der Dorfgemeinschaft Puklice. Sie will in ihr Haus, in ihr Zimmer, das die Dorfbewohner okkupiert haben, ebenso wie den Besitz des Vaters. Er sei Deutscher gewesen, wird ihr vorgeworfen, er habe die Buchführung in Deutsch gemacht, bei ihr zu Hause sei deutsch gesprochen worden. Aber auch der Vater war wie die übrige Familie von den Nazis inhaftiert und im KZ getötet worden.
Die falsche Sprache zu sprechen konnte nach dem Kriegsende im heutigen Tschechien das Todesurteil bedeuten. Bei den Massakern der Revolutionsgarden und den wilden Vertreibungen im Sommer 1945 sind mehrere zehntausend Menschen umgebracht worden. Wer opportunistisch genug war und sich rechtzeitig einen tschechischen Namen zugelegt hat, wie der ortsansässige Herr Klein, der zum tschechischen Herrn Malý wird, hat die Chance zu überleben, der Bruder Adin, der vor Gita Lauschmannová im Dorf angekommen ist, nicht. Ihn trifft der ganze Hass, den der Vater, der Kapitalist Lauschmann, der die ganze Gegend ausgebeutet habe, wie sie sagen, auf sich geladen hat. Adin wird an den Pfosten gebunden, er verhungert und verdurstet. Der fünfjährige Denis findet den Schädel beim Spielen. Er trägt ihn vorsichtig aus dem Apfelgarten in seinen Sandkasten.
Gita wird ein Leben lang nach ihrem Bruder forschen, weil sie wusste, dass auch er das KZ überlebt hatte. Aber dieses Geheimnis behält Denis, der sich in die ältere Gita, Mediziner wie er, verliebt hat, sie verehrt. Dass sie von seiner Mutter, die mit Denis hochschwanger war, als Gita 1945 ins Dorf kam, der das gleiche Schicksal bevorstand wie dem Bruder, unter Lebensgefahr gerettet wurde, hatte beide einander nähergebracht, hatte Denis aber von seiner Mutter entfremdet. Wie konnte sie es, mit dem Wissen um den Mord und den Mordversuch, ein Leben lang in dem Dorf aushalten. „Dass sie mich nicht bestrafen. Nicht wie den Adin unauffällig abmurksen.“
2005 wird die Familie des Fabrikanten Lauschmann durch die neuen Gesetze und nach dem EU-Beitritt Tschechiens rehabilitiert. Gita kehrt 2005 mehrmals ins Dorf zurück. Sie will ein Denkmal für ihren Vater an zentraler Stelle des Dorfes als Zeichen seiner Leistungen für die Bewohner der Gegend und als Wiedergutmachung seines Ansehens. Die Situation eskaliert. Die Fronten brechen auf, obwohl von den Alten nur noch Herr Klein-Malý, der an Demenz leidet, und Denis’ Mutter leben. Aber die Kinder und Kindeskinder haben den Hass der Eltern geerbt.
Als Rechtsanwälte für Gitas Position fungieren ihre Enkelin Barbora und deren Chef. Denis redet Barbora ins Gewissen. „Um die Besitztümer ging es Frau Doktor Lauschmannová doch gar nicht.“ „Wirklich? Das ist mir neu.“ „Die Frau Doktor hatte eine andere … Gerechtigkeit im Sinn … Es ging ihr darum, den beschmutzten Namen ihres Urgroßvaters wieder reinzuwaschen. Darum, dass der Kreislauf des Bösen unterbrochen wird.“„Und was hat sie erreicht? Hat sie ihr Recht und ihre Würde bekommen?“„Das Denkmal, Barbora, das Denkmal war ihr wichtig. Der Besitz war nicht wichtig für sie.“ „Aber für mich ist er wichtig!“ Das Denkmal wird nicht gebaut.
Ein in einer mitreißenden, expressiven Sprache geschriebenes, von Eva Profousová hervorragend übersetztes Buch, das im Original „Penize od Hitlera – Geld von Hitler“ heißt. Der deutsche Titel ist zu harmlos, denn es geht um mehr als um ein Stückchen Erde, es geht um Menschenwürde. Für die Tschechen ist dieses Buch eine noch härtere Kost als für uns, denn erst seit der Wende ist es möglich, dass sich die tschechische Geschichtsschreibung der 1945 und in Folge begangenen Massaker annimmt.
Literaturangabe:
RADKA, DENEMARKOVÁ: Ein herrlicher Flecken Erde. Roman. Aus dem Tschechischen von Eva Profousová. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009. 304 S., 19,95 Euro.
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