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Der Bildhauer Giuliano Pedretti

Das zeichnerische und plastische Werk des Schweizer Künstlers

© Die Berliner Literaturkritik, 05.01.10

Von Roland H. Wiegenstein

Kann es in unserem mediensüchtigen Zeitalter geschehen, dass jemand, der sich für zeitgenössische Kunst interessiert, einen wichtigen Künstler glatt übersieht? Weil er sich eher verbirgt oder aus purer Unaufmerksamkeit? Ja, das kann geschehen. Der Künstler, um den es sich handelt, heißt Giuliano Pedretti, ist fünfundachtzig Jahre alt und lebt in Celerina, einem kleinen Ort nahe St. Moritz in der Ostschweiz. Ein Bildhauer. Wer zum ersten Mal etwas von ihm sieht, bei dem hakt es ein: Giacometti! In der Tat hat der große Plastiker mit seinen unendlich langen Figuren, seinen „Plätzen“ mit den umeinander Unbesorgten, diesen einsam Schreitenden, etwas zu tun. Nicht nur, dass der Weltberühmte aus derselben Gegend stammt, dem kleinen rätoromanischen Sprachgebiet der Schweiz, der jüngere Pedretti hat den älteren Meister gut gekannt und verehrt. Aber was auf den ersten Blick so ähnlich erscheint, ist es nicht.

Die hoch aufgerichteten dünnen Figuren, aus Ton geknetet oder Gips geschnitten (und oft später in Bronze gegossen) haben seltsame Löcher, durch die der Alpenwind wehen könnte. Sie sind oft zweigeteilt, wirken nur auf den ersten Blick vollplastisch, aber sie bestehen aus zwei voneinander getrennten, sehr flachen Scheiben verschiedener Struktur, die sich nur en face als ein Ganzes zeigen, en profil sind diese, von Pedretti „Schizo“ genannten Plastiken sozusagen doppelt. Er ist (spät) darauf gekommen, als ihm aufging, wie verschieden eine Figur sein kann, je nachdem wie man sie im Licht sieht, oder von Schatten verdunkelt.

Pedretti, dessen Vater Maler war, hat selbst mit Sgraffiti angefangen, an Hauswänden in feuchten Putz geritzten Zeichnungen, in Graubünden keine seltene Art, ein Haus zu verzieren. Künstler wollte er werden, aber eine Farbenblindheit verwies ihn aufs Dreidimensionale. Seine Porträtplastiken (bei denen zuerst der Einfluss von Medardo Roso, dann von Zadkine und Laurens sichtbar ist, ehe er in Giacometti den Leitstern fand) sind „ähnlich“, jederzeit kenntlich, ohne doch je naturalistisch zu sein, wie man es von Porträts eigentlich erwartet. Sie geben etwas von der geistigen Essenz des Abgebildeten wieder. 

Dies „Geistige in der Kunst“ (wie es Kandinsky einmal nannte) hat Pedretti, den Weitgereisten, in der Geschichte der Kunst Erfahrenen, immer fasziniert. So sind seine Hunde, seine Pferde immer gleichsam ausgebeint, auf den Extrakt reduziert (wie bei Giacometti, aber auch bei Picasso), fast ohne „Volumina“, fast luftig. Doch Luft, Verletzbarkeit, etwas Romantisches genügte Pedretti nicht. Er hat eine Achsenverschiebung vorgenommen und seine Figuren stehen auf einer Basis, die man sowohl auf den Boden stellen, als auch an der Wand befestigen kann, diagonal im Raum, meist jeweils um fünfundvierzig Grad oder etwas mehr aus der Achse gekippt. Der Effekt ist verstörend: sie bedeuten das Ende der Sicherheit unserer Sehgewohnheiten, wie die flachen „Schizos“,  wie die durchlöcherten Standplastiken. Man möchte „um sie herumgehen“, kann es schwerlich und wenn, begegnet man einer anderen Skulptur. Man hat Pedretti den „letzten Meister der Moderne“ genannt und dies stimmt insofern, als er mit der „Postmoderne“ wirklich nichts zu tun hat: er führt vielmehr, ganz unbekümmert um den Vorwurf, ein Epigone zu sein, jene Tradition künstlerischen Ernstes und handwerklicher Präzision weiter, die er den Großen des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts verdankt: Humor ja, sogar Ironie zu weilen, aber kein „Alles ist eins, jeder ist ein Künstler“, dem Warhol freilich den einschränkenden Satz „für zehn Minuten“ anhängte und den Beuys „erweiterte“ bis in eine sozialpädagogische Dimension. Pedretti macht Kunst, immer. Etwas, das bleiben soll, das fest ist, selbst wenn es in der Luft hängt, mit Licht spielt. Das zeigen auch seine Zeichnungen, konstitutiver Teil seines Lebenswerks, mit den gleichen „Motiven“ wie seine Plastiken: Menschen, Tiere. Das, was uns an Lebendigem umgibt. Vielleicht muss man wirklich so leben: umgeben von zackigen Berggipfeln, auf Alpenhöhe, mit wenigen Leuten (wenn man einmal von den Touristen, den Skiläufern absieht),mit Natur, um aus vielen kleinen (niemals durchgezogenen) Strichen kräftige Schraffuren zu entwickeln, die das Flüchtige versammeln, bündeln, fest machen. Oder mit dicken schwarzen Pinselstrichen Gestalten zu formen, denen man dann doch ansieht: sie sind von heute. Der Schweizer hat auf seine eigene, sehr spezielle Weise auf die gewalttätigen Zumutungen des Zeitalters, den Krieg etwa, reagiert. Da ist nichts bloß illustrativ, alles vielmehr verwandelt bis zum Menetekel. Wir haben es mit einem Meister (einem „alten Meister“) zu tun, der verdient, auch außerhalb der Schweiz besser bekannt zu werden. Dort hat er seine Sammler, seine Galerien, dort kann man ihn in den Museen finden. Und dort, in Graubünden hat man seinem Werk, unterstützt von zahlreichen Mäzenen (was etwas anderes ist als Sponsoren), zwei voluminöse, sehr schön gearbeitete, mit zahlreichen sprechenden Fotos versehene, von Ulrich Suter herausgegebene Bände gewidmet, in denen sein Werk ausführlich in all seinen Facetten gezeigt und klug gewürdigt wird. Dem ersten 2004 erschienenen, der einfach „Giuliano Pedretti“ heißt, folgte 2009 zu seinem 85. Geburtstag ein zweiter, der vor allem die Zeichnungen behandelt. Es lohnt sich, sie anzuschauen.

Literaturangabe:

SUTER, ULRICH (Hg.): Giuliano Pedretti: Zeichnungen. Christoph Merian Verlag, Basel 2009, 147 S.,  49 €.

Weblink:

Christoph Merian Verlag

 

 


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