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Der Blick in die Seele

Der Ausstellungskatalog „Toulouse Lautrec. Der intime Blick“ der Landesgalerie Linz

Von: THOMAS HUMMITZSCH - © Die Berliner Literaturkritik, 27.08.09

Dass nicht eher als acht Jahre nach seinem Tod die erste monografische Ausstellung der Werke von Henri de Toulouse-Lautrec erfolgte, kann aus heutiger Perspektive nur verwundern. Sie fand im Oktober 1909 in der Wiener Galerie Miethke statt – damals unter der Leitung des Malers Carl Moll – und beeinflusste nachhaltig die Künstler der Wiener Secession, insbesondere den jungen Egon Schiele. Schiele, der gerade die Wiener Akademie der bildenden Künste verlassen hatte, ließ sich von Toulouse-Lautrecs Werken anregen, insbesondere von dessen Akt- und Bordellzeichnungen. Auch wenn Schiele in seinen späteren Zeichnungen und Gemälden das Thema der Sexualität sehr viel drastischer und emotionsloser verarbeitete, kann man in einigen seiner Werke die Handschrift Toulouse-Lautrecs wieder erkennen. Beide erfassten sofortig und intuitiv Stimmungen und Zuständen in all ihrer Komplexität und konnten sie in all ihrer Radikalität auf das Papier übertragen.

Allerdings unterschied sich die Schaffenszeit des Franzosen und des Österreichers beträchtlich. Während Toulouse-Lautrec als Neo-Impressionist noch stark in einem von der Stilrichtung des 19. Jahrhunderts geprägten Umfeld tätig war, lag Schieles produktivste Phase in den experimentellen Aufbruchjahren des Expressionismus. Es ist nicht zu hoch gegriffen, zu behaupten, dass das Schaffen des kleinwüchsigen Franzosen Toulouse-Lautrec den Expressionismus erst mit ermöglicht hatte. Der Ausstellungsband „Toulouse-Lautrec. Der intime Blick“ zur gleichnamigen Ausstellung in der Landesgalerie Linz beweist dies eindrucksvoll.

Zwar wurzelte Toulouse-Lautrecs Schaffen in den realistischen Anflügen der Impressionisten, aber zugleich grenzte er sich deutlich ab und bereitete der Kunst den Weg in die Moderne. Toulouse-Lautrec suchte nicht wie die Impressionisten die Harmonie mit der Natur, er wollte sie brechen. „Ich habe versucht, das Echte und nicht das Idealisierte darzustellen“, schreibt er 1881. Seine Ölgemälde, die er zwischen 1879 und 1892 angefertigt hat, zeigen dies deutlich. Wie es Ernst Ludwig Kirchner später praktizieren wird, verzichtete er fast völlig auf die Kraft der Fläche und gestaltete seine Werke hauptsächlich über die Linie. Mit ihr karikierte, überzeichnete und verwendete er (noch vorsichtig) schroffere Konturen. Das alles tat er sicherlich nicht in dem Maße, wie es später z.B. ein George Grosz betrieb, aber es lassen sich erhebliche Differenzen zu anderen Künstlern seiner Zeit finden. Der Bildband zur Ausstellung macht es förmlich spürbar, wie Toulouse-Lautrec Zeit seines Schaffens seinen eigenen Stil suchte, um bis in das komplexe Seelenleben seiner Modelle vorzudringen.

Von den zahlreichen künstlerischen Mitteln, die Henri de Toulouse-Lautrec zu seiner Zeit zur Verfügung standen, ließ er kaum eines aus. Doch von allem war ihm die Lithografie die Liebste, als deren Meister man ihn zweifellos bezeichnen kann. Mit seinen Druckgrafiken und Plakaten schuf er einen völlig neuen Berufszweig, die Werbung. Für die Bars und Kabaretts in seinem „Wohnzimmer“, dem Pariser Künstler- und Vergnügungsviertel Montmartre, und später für die gehobeneren Etablissements unterhalb der Place Pigalle rund um die Pariser Oper schuf er unzählige dieser großformatigen Werbeblätter. Zu seinen Berühmtesten zählt zweifellos das beeindruckende Portrait von Aristide Bruant, Chansonnier, Kabarettist und Nachtklubbesitzer, auf dem ihn Toulouse-Lautrec als imposanten Mann im schwarzen Mantel und rotem Schal darstellte. Kaum weniger bekannt sind aber auch die szenischen Drucke der Tänzerinnen Jane Avril und May Milton oder der Truppe von Mademoiselle Eglantine. Ausgerechnet mit diesen fast volkstümelnden Lithografien gelang Toulouse-Lautrec der Durchbruch.

Zugleich verband das Lokalkolorit dieser Werke den Franzosen wie kaum einen anderen mit dem Ort seines Schaffens. Das Leben im Montmartre inspirierte Toulouse-Lautrec auf einmalige Weise. Die sündige Umgebung mit ihren zwielichtigen Bars, den schmuddeligen Kabarettbühnen und Bordellen in den Hinterzimmern bot ihm das Leben in seiner intensivsten Form – in jeglichem Sinn. Wärme und Kälte, Liebe und Gewalt, Erotik und Ekel, Enthusiasmus und Apathie existierten hier völlig selbstverständlich nebeneinander und schufen eine Atmosphäre angespannter Heiterkeit. In dieser Welt fand er seine Modelle, in deren lasterhaften, zwanghaft ekstatischen und zugleich tief melancholischen Existenz er auch sein eigenes Dasein wähnte. Ein Dasein zwischen Geselligkeit und innerer Einsamkeit.

Insbesondere die innere Einsamkeit war Toulouse-Lautrec vertraut. Zeit seines Lebens litt er unter seiner Kleinwüchsigkeit, die das Resultat zweier Stürze im Alter von 14 Jahren war. Seine Beine stellten daraufhin ihr Wachstum ein und Toulouse-Lautrecs körperlicher Zustand sollte fortan seinem Schaffen den Stempel aufdrücken. Dieser maligne Zustand stattete den Künstler mit einem geradezu grenzenlosen Respekt vor der Unvollkommenheit des Menschen aus. Daher trat er seinen Modellen stets mit Achtung und Anerkennung entgegen. Mit tiefem Respekt verneigte er sich in seinem künstlerischen Tun vor ihrer allzumenschlichen Existenz – mit all Sorgen, Mühen und Abgründen. Die aus diesem Respekt entstandenen, schonungslos radikalen und zugleich vorsichtig einfühlsamen Ölgrafiken der Serie Elles strahlen daher auch die größte Kraft unter den abgebildeten Werken aus. Sie präsentieren die Prostituierten eben nicht im verführerischen Glanz, sondern in ihrem trist-monotonen Alltag. Ein wirtschaftlicher Erfolg war dieses Serie nie, denn ihr fehlte das Sensationelle, das Aufsehen Erregende. Die Ironie des Schicksals ist, dass genau darin die Sensation noch heute besteht.

Seine Erbkrankheit, Depressionen und Alkohol führten dazu, dass Henri de Toulouse-Lautrec 1901 bereits mit 36 Jahren starb. Der nun herausgegebene Bildband zeichnet eindrucksvoll den Entwicklungsweg des Pariser Künstlers nach, angefangen bei seinen neo-impressionistischen Wurzeln bis hin zu seiner erfolgreichen Plakatmalerei. Die fünf dem Band vorangestellten Aufsätze beleuchten Werk und Leben des Franzosen aus verschiedenen Perspektiven und in ihrem Zusammenspiel. Anschließend lassen sich die darin gelieferten Überlegungen anhand von 86 farbigen Abbildungen prüfen – was man aber nicht tun muss.

Die sensiblen Darstellungen des Menschen in seinen oft allzumenschlichen Zuständen ziehen den Betrachter unweigerlich in ihren Bann. Auf den ersten Blick scheinen Toulouse-Lautrecs Bilder zumeist die lasterhafte Seite des Lebens zu thematisieren. Schaut man aber genau hin, sieht man, dass es die Würde des Daseins angesichts der Moderne ist, die aus jedem seiner Werke spricht.

Literaturangabe:

LANDESGALERIE LINZ (Hrsg): Toulouse Lautrec. Der intime Blick. Mit einem Vorwort von Peter Assmann & Martin Hochleitner. Texte von Danièle Devynck, Johannes Ramharter, Anne Röver-Kann, Alain Tapié. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2009. 160 S., 86 Abb., davon 77 farbig. 36,00 €.

Weblink:

Verlag Hatje Cantz

Thomas Hummitzsch ist freier Journalist, Literatur- und Kunstkritiker in Berlin. Er schreibt u.a. für die „taz“, den „Freitag“ und die „Süddeutsche Zeitung“


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