FRANKFURT/MAIN (BLK) – Im Februar 2011 ist „Brand Sense“ von Martin Lindstrom im Campus Verlag erschienen. Das Buch mit dem Untertitel „Warum wir starke Marken fühlen, riechen, schmecken, hören und sehen können“ wurde von Petra Pyka aus dem Englischen übersetzt.
Klappentext: Wussten Sie, dass der angenehme Duft eines Neuwagens eigentlich aus der Sprühdose mit „Neuwagen-Aroma“ kommt? Oder dass der „Crunch“ der Kellogg’s Cornflakes in einem Soundlabor entwickelt wurde? In diesem erstaunlichen Buch zeigt der Marketingguru Martin Lindstrom auf wunderbar unterhaltsame Weise, wie unsere fünf Sinne unsere täglichen Kaufentscheidungen beeinflussen. Coca-Cola, Marlboro, Nivea, Toys’ ’Us, Microsoft, Nokia, Disney – sie alle nutzen es äußerst erfolgreich aus, dass wir Sklaven unserer Sinne sind. Nach der Lektüre dieses Augen öffnenden Buches werden Sie Produkte nie wieder sehen, hören oder anfassen wie vorher! Schon das Cover hält, was der Titel verspricht: Durch Berührung verändert das mit Thermolack veredelte Cover seine Farbe.
Martin Lindstrom ist ein international anerkannter Experte im Bereich Markenbildung. Mit nur zwölf Jahren gründete er seine eigene Werbeagentur und legte damit den Grundstein für seine steile Karriere, die ihn zu einem der bekanntesten Marketinggurus der Welt machte. Zu seinen Klienten zählen die Walt Disney Company, Nestlé, LEGO, American Express, Mercedes- Benz, McDonald’s und Microsoft.
Leseprobe:
©Campus Verlag©
Kapitel 1
Mit Sinn und Verstand
In den Wochen und Monaten nach dem Erscheinen von Buyology. Warum wir kaufen, was wir kaufen war ich regelmäßiger Gast bei Amerikas beliebtester Sendung im Frühstücksfernsehen Today. Die Themen, zu denen ich mich äußern sollte, waren sehr vielfältig. Wir sprachen über Kaufsucht, darüber, ob Sex tatsächlich ein effektives Werbeinstrument ist, über unterschwellige Werbung und vieles mehr. Bei meinem jüngsten Auftritt arbeitete ich mit einer Fokusgruppe ausgewählte Teilnehmer zwischen acht und zwölf. Wozu? Um zu messen, in welchem Maß sensorisches Branding – also die Verwendung von Düften, Klängen und Strukturen zur Steigerung des Reizes eines Produkts – auf diese Kids wirkte. Ich kam mir dabei vor wie der Moderator einer exzentrischen neuen Spielshow, bei der es um das Erraten angesprochener Sinne geht.
Erst spielte ich ein paar bekannte Songs an, die wir mit verschiedenen namhaften Unternehmen und populären Fernsehsendungen assoziieren. Die meisten Kinder erkannten sie auf Anhieb. Darunter waren Disney, Apple Computer und die Titelmelodien von SpongeBob Schwammkopf und NBC. Dann kam der Geruchstest. Der erste Duft, der freigesetzt wurde, war (ist und wird es immer sein) der mit dem weltweit größten Wiedererkennungswert.
„Oh, ich weiß, wie das riecht“, sagte einer.
„Den Geruch kennt doch jedes Kind“, ein anderer.
„Also gut“, meinte ich, „auf drei sagt ihr mir die Marke. Fertig? Eins … zwei … drei -“
Sie wussten es alle: Knetmasse von Play-Doh! Die nächsten beiden Duftnoten? Wachsmalkreiden von Crayola und Babypuder von Johnson’s. Auch diese beiden Marken wurden von den Kindern problemlos erkannt. Dann wandten wir uns einer schwierigeren Aufgabe zu: einer „Marken-Collage“. Auf einer Tafel waren nur Teile oder Fragmente der Logos oder Symbole von Unternehmen zu sehen. Dennoch konnten die Kinder praktisch alle Marken zuordnen – von Kellogg’s über Pepsi-Cola und MTV bis zu Nike. Manche erkannten zu meiner Überraschung sogar die Logos von Gucci und Tiffany’s.
Nachdem ich verschiedene Logos abgefragt hatte, präsentierte ich diverse Produkte von namhaften Designern, bekannten Kaufhäusern und sogar ein paar typische Kleidungsstücke, die ich an Straßenständen erworben hatte.
Nun sind Jeans für die meisten mode- und markenbesessenen Mittelstüfler kein ganz einfaches Thema. Eines der Mädchen – Olivia hieß sie – hielt eine Jeans im Arm.
„Die ist von Abercrombie!“, schwärmte sie.
So unverfänglich ich konnte, fragte ich: „Woher willst du denn wissen, dass sie wirklich aus dem Laden kommt und nicht gefälscht ist?“
„Weil sie so riecht“, erwiderte Olivia und beugte sich vor, um den süßlichen Geruch (den mancher ekelerregend finden könnte) der Abercrombie & Fitch-Jeans einzuatmen.
Die Hose, die Olivia da in er der Hand hielt, sah aus wie jede andere. Sie hätte genauso gut von Target stammen können, oder von Macy’s. Sie hätte aus jedem beliebigen Factory Outlet irgendwo in Amerika kommen können. Doch die Schülerin hatte sie sofort zweifelsfrei richtig zugeordnet, und zwar nur aus einem Grund: wegen ihres unverwechselbaren Geruchs.
So seltsam und faszinierend Olivias Markenpräferenz wirken mochte, mein Auftritt bei Today rief mir zwangsläufig das erste globale Forschungsprojekt über sensorisches Branding ins Gedächtnis, das ich je durchgeführt hatte. Es wurde 2005 abgeschlossen. Daran waren Hunderte von Forschern und Tausende von Verbrauchern auf vier Kontinenten beteiligt, die eine fünfjährige Mission verfolgten. Unser Ziel war, die Gründe für ein Verhalten zu verstehen, wie es Olivia an den Tag legte – und den Verbrauchern einen Wegweiser an die Hand zu geben, der ihnen begreiflich machte, warum sie sich zu einem Produkt hingezogen fühlten – ob das ein iPod war, ein Glas Nescafé oder nur ein Frühstücksmüsli.
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Olivia war schließlich ein lebendes, atmendes Beispiel dafür, was Marketingexperten mit der Entwicklung einer Marke erreichen wollten. Ich habe lange darüber nachgedacht, was ein Kind (oder auch einen Erwachsenen) dazu bringt, ganz und gar einer Marke wie Apple oder Kellogg’s zu erliegen. Welche Komponenten der Marke sind es, die eine solch magische, magnetische, langlebige Beziehung begründen? Weicht die obsessive Überzeugung von einer Marke je der Enttäuschung oder gar der Langeweile?
Aus diesem Grund ging ich mit meinem Team für das Projekt Brand Sense 2005 los und stellte Menschen mit ausgeprägter Affinität – ja, in manchen Fällen buchstäblich Affenliebe – zu bestimmten Marken alle möglichen Fragen. Sie teilten uns bereitwillig und großzügig ihre Leidenschaften und Erkenntnisse mit – unschätzbare Informationen, die mich zu dem Schluss brachten, dass wir unseren Kurs komplett ändern müssen, wenn Produkte und Werbung das nächste Jahrhundert erleben wollen. Eine weitere Anzeige auf einer Tafel am Times Square wird nicht ausreichen. Gefragt ist eine ganz neue – sensorische – Vision, die unsere Gefühle anspricht.
Seither weiß ich, dass sich eine Marke in eine sensorische Erfahrung verwandeln muss, die weit über das hinaus geht, was wir sehen. Ebenso wurde mir klar, dass Kinder mehr als jeder andere auf unserem Planeten besonders tiefe Bindungen zu wahrhaft sensorischen Marken entwickeln – solche, die Gehör, Tastsinn und Geruchssinn einbeziehen. Das ist vielleicht gar nicht so überraschend, wenn man berücksichtigt, dass die Sinneswahrnehmungen eines Kindes normalerweise rund 200 Prozent intensiver sind als die eines Erwachsenen. Einer jungen Mutter, die ihr Neugeborenes im Arm hält, wird kaum bewusst sein, dass dessen Geruchssinn 300 Prozent stärker ausgeprägt ist als ihr eigener. Vielleicht ist das ja die geniale Methode der Natur zur Gewährleistung einer dauerhaften Bindung zwischen Mutter und Kind.
Ich will Ihnen noch ein weiteres verblüffendes Beispiel für die Wirkung des sensorischen Brandings geben. Der nationale Postdienstleister in Großbritannien ist die Royal Mail. Wie viele wissen, leiden solche Unternehmen in aller Welt unter drastischen Umsatzeinbußen. Nur wenige Menschen schreiben heutzutage noch Briefe. Man schickt Pakete, ja, aber nicht mehr diese weißen Dinger, die man Umschläge nennt und in deren rechter oberer Ecke ein Papierfetzchen klebt, das Briefmarke heißt. Denken Sie doch mal nach – wann hatten Sie zuletzt einen handgeschriebenen Brief im Kasten? Die Welt kommuniziert weitaus lieber bequem über E-Mail, Facebook und Twitter. Um den sinkenden Zahlen direkter Briefsendungen entgegenzuwirken, dachte sich die Royal Mail eine Kampagne namens »Touching Bands« aus. Sie verfolgte zwei Ziele: die Wiederanbindung von Verbrauchern, die sich von dem etwas abfällig als »Schneckenpost« bezeichneten Kommunikationskanal abgewandt hatten, und die Betonung der zentralen Rolle der traditionellen Post im digitalen Zeitalter als natürlicher Partner der neuen Medien. Mit Unterstützung der britischen Brand Sense Agency wurde ausgelotet, wie die fünf Sinne eingesetzt werden konnten, um Bezug zu einer Marke herzustellen – in diesem Fall der Royal Mail. Das Experiment bekam den Titel »Sensational Mail«. Und die Ergebnisse waren tatsächlich sensationell.
Die erste solche „sensationelle“ Sendung der Royal Mail bestand aus einem persönlich adressierten Brief, der in eine Tafel Schokolade eingeritzt war. Ja, ganz richtig! Und wer lässt sich von Schokolade nicht verführen – von ihrer geschmeidigen Textur, ihrem appetitlichen Duft, dem verheißungsvollen Knacken beim Abbrechen und nicht zuletzt vom Geschmack?
Die Resonanz auf unsere als innovativ und plakativ gepriesene Royal-Mail-Schokoladenpost übertraf am Ende alle Erwartungen. Drei Viertel der Empfänger merkten, wie eine Postsendung alle fünf Sinne ansprechen konnte, und ließen sich von unserem postalischen Experiment zum Handeln anregen – auf eine Weise, wie ich betonen darf, die weit über den Verzehr des Schokoladenbriefs hinausging. Sie begannen schlicht, wieder Briefe zu schreiben!
Doch wir wollten unsere Feststellungen für Medienplaner und Werbefachleute gern wissenschaftlich bestätigt sehen. Unter Einbezug von Neurowissenschaft und fortschrittlichster Technik zur Abbildung von Gehirnaktivitäten wie fMRI untersuchte das Forschungsinstitut Millward Brown in Großbritannien die Gehirne von 20 Testpersonen, um zu prüfen, ob das „Royal-Mail-Experiment“ eine echte emotionale Bindung ausgelöst hatte – ob beim Verbraucher eine effektive emotionale Reaktion hervorgerufen wurde. Man wollte feststellen, ob die Gehirne der freiwilligen Testpersonen in irgendeiner Hinsicht anders reagierten, wenn ihnen solche Informationen statt direkt mit der Post über andere Kanäle übermittelt wurden – etwa über den Computerbildschirm. Eine Marke, Anzeige oder sonstige Avance, die funktionieren (und im Gedächtnis bleiben) sollte, musste es schaffen, sich in dem ohnehin überfüllten Speicher des menschlichen Gehirns einen Platz zu erobern. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, ist unser Gehirn sehr geübt darin, irrelevante Informationen auszufiltern. Gefühle verschaffen sich über unsere Sinne Aufmerksamkeit – und beeinflussen wiederum unsere Entscheidungsprozesse. Marken, die eine emotionale Beziehung zum Verbraucher herstellen, sind stärker als andere – so einfach (und gleichzeitig kompliziert) ist das.
Die Ergebnisse der Forschungsarbeit von Millward Brown bestätigten, dass herkömmliche Postsendungen – insbesondere die Schokoladenaktion – für das Gehirn viel „realer“ waren und einen klar definierten „Platz“ in der Wahrnehmung der Verbraucher hatten. Außerdem konnten die Gehirne der Probanden Postsendungen leichter verarbeiten, weil sie stärkere Gefühle auslösten und so für eine zügigere Entscheidungsfindung sorgten. Kurz, das Royal-Mail-Experiment bewies schlüssig, dass es möglich war, mit Postsendungen den Weg in den vollgestopften Wandschrank zu finden, den unser Kopf darstellt – eine beachtliche Leistung, wenn man berücksichtigt, dass die meisten von uns in einer immer stärker digitalisierten Umgebung leben.
Doch ich nahm noch einen weiteren Aspekt der neuen Markenführung aus meinen Erfahrungen mit Olivia und der Royal Mail heraus: nämlich, dass jede Marke versuchen sollte, sich eine Gefolgschaft aufzubauen, die eine ähnliche, an Besessenheit grenzende Bewunderung empfindet wie ein Sportfan oder in mancher Hinsicht vielleicht sogar der Anhänger einer Glaubensrichtung.
Ohne den Vergleich mit der Religion zu weit zu führen, haben spirituelle Elemente für bestimmte Aspekte des sensorischen Brandings eindeutig eine Bedeutung. Die einprägsamsten favorisierten Marken der Zukunft werden solche sein, die nicht nur in der Tradition verankert sind, sondern darüber hinaus religiöse Merkmale aufweisen, weil sie zeitgleich und umfassend auch sensorisches Branding einbeziehen. Punktum. Jede voll integrierte Marke wird mit einer eigenen Identität aufwarten, die in jeder Botschaft, jeder Form, jedem Symbol, jedem Ritual und jeder Tradition Ausdruck findet – genauso wie eine Fußballmannschaft oder eine Religionsgemeinschaft.
Doch eine Reaktion hervorzurufen, die an religiösen Eifer erinnert, ist nur ein Ziel der nächsten Produkt- und Werbungsgeneration. Um zu überleben, müssen Marken eine »Markenplattform« beinhalten. (Damit ist eine Reihe von Assoziationen gemeint, die ein Produkt oder ein Unternehmen beim Verbraucher auslösen.) Diese Plattform muss alle fünf Sinne in sich vereinen – wie Abercrombie! Wir leben in einer Welt, in der die Konsumenten etwas brauchen, an das sie glauben können. Das mag ironisch klingen, doch während die Religionen Mühe haben, neue Anhänger zu finden, sind die Verbraucher verzweifelt auf der Suche nach mehr. Bedauerlicherweise (wie mancher sagen würde) ist dieses »Mehr« mehr denn je in Marken zu finden – ein Phänomen, dass Sie vielleicht besser erfassen könnten, wenn Sie China besuchen würden, wo die »Markenreligion« allem Anschein nach schon weit mehr Macht hat als die ihres jahrtausende alten glaubensbasierten Pendants.
Diesem Buch liegt unmittelbar das umfängliche Forschungsprojekt zugrunde, das untersucht hat, welche Rolle jeder unserer fünf Sinne bei der Entstehung einer leidenschaftlichen Beziehung zwischen einem Verbraucher und einer Marke spielt. Unsere Studie sollte darüber hinaus feststellen, in welchem Maß religiöse Aspekte wie Vertrauen, Glaube, Zugehörigkeit und Gemeinschaftssinn für die Zukunft des Brandings richtungweisend sein könnten. Auf den ersten Blick haben Religion und Marke lächerlich wenig miteinander zu tun. Aber ist das wirklich so? Besuchen Sie doch einmal ein Gotteshaus. Schon vor dem Betreten des Gebäudes erleben Sie einen Frontalangriff auf Ihre Sinne – ob durch das Mittagsgeläut im schweizerischen Zürich oder durch die Gebetsrufe über Istanbul. Aber auch im Inneren von Sakralbauten werden Ihre Sinne angeregt und geweckt, ob durch den unverkennbaren Weihrauchduft in der Luft, oder den muffigen Geruch des Kirchengestühls. Egal wo Sie leben und welcher Glaubensrichtung Sie angehören – Religion sendet eine ganze Reihe klarer, unmissverständlicher Signale über die Sinne, noch bevor Sie überhaupt einen Blick auf ein Kreuz, einen Altar, ein Buntglasfenster oder eine Kippa erhaschen. Unsere ältesten Religionen gibt es seit rund 3500 Jahren. Und unsere ältesten Marken? Seit 150 Jahren. Aus diesem Grund glaube ich, dass es für Marken an der Zeit sein könnte, respektvoll Anleihen bei der Religion zu machen – und ein paar entscheidende Dinge über Glaube und Loyalität zu lernen.
Ferner gelangten wir zu dem Schluss, dass unsere Brand-Sense- Studie nur dann Aussagekraft besitzen würde, wenn sie auf globaler Ebene durchgeführt würde. Zu unserem multikulturellen Forschungsteam gehörten Menschen aus 24 Ländern, die 18 Sprachen sprachen. Doch unsere globale Studie hatte noch ein weiteres Ziel. Wir wollten erstarkende Trends ermitteln und die Entwicklung lokaler Marken erforschen, um so eine solide Grundlage für die Umsetzung unserer voll integrierten Markentheorie zu schaffen, die ungeachtet aller kulturellen Unterschiede und Präferenzen an jeden Mark angepasst werden konnte.
©Campus Verlag©
Literaturangabe:
LINDSTROM, MARTIN: Brand Sense. Warum wir starke Marken fühlen, riechen, schmecken, hören und sehen können. Aus dem Englischen übersetzt von Petra Pyka. Campus Verlag, Frankfurt a. Main 2011. 212 S., 20,99 €.
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