STUTTGART (BLK) – Isaac Marions Zombie-Liebesroman „Mein fahler Freund“ ist im Februar 2011 im Klett-Cotta Verlag erschienen. Daniel Sundermann hat ihn aus dem Amerikanischen übersetzt.
Klappentext: R ist ein Zombie. Es ist ihm peinlich, dass er sich nur an den ersten Buchstaben seines Namens erinnern kann. Wie die anderen Zombies verbringt R seine Zeit mit Herumstehen und Stöhnen. Was die Wenigsten wissen: Tot sein ist leicht. Bei einem der Raubzüge in der Stadt trifft R auf Julie. Dummerweise hat er gerade das Hirn ihres Freundes gegessen. R weiß nicht warum, aber er verliebt sich unsterblich in Julie - ausgerechnet in ein lebendes menschliches Wesen. „Mein fahler Freund“ erzählt die Geschichte des bestaussehenden und charmantesten Zombies aller Zeiten.
Isaac Marion, geboren 1981 im Nordwesten des Bundesstaates Washington. Lebt in Seattle als Grafiker und Autor. Nach der Veröffentlichung einiger Kurzgeschichten ist „Mein fahler Freund“ Marions erster Roman. Die Filmrechte wurden sofort an Hollywood verkauft.
Leseprobe:
©Klett-Cotta©
Schritt eins
Wollen
Ich bin tot, aber es ist nicht so schlimm. Ich habe gelernt, damit zu leben. Tut mir leid, dass ich mich nicht richtig vorstellen kann, aber ich habe keinen Namen mehr. Kaum einer von uns hat noch einen. Wir verlieren sie wie Autoschlüssel, vergessen sie wie Geburtstage. Meiner könnte mit einem R angefangen haben, aber genau weiß ich es nicht. Was lustig ist, denn früher, als ich lebendig war, habe ich ständig die Namen anderer Leute vergessen. Mein Freund M sagt, das sei die Ironie, wenn man ein Zombie ist: Alles ist komisch, aber man hat nichts zu lachen, weil einem die Lippen weggerottet sind.
Keiner von uns ist besonders attraktiv, aber mit mir hat es der Tod besser gemeint als mit anderen. Noch befinde ich mich im frühen Stadium des Verfalls. Bloß graue Haut, der unangenehme Geruch, die dunklen Ringe unter den Augen. Fast könnte ich als Lebendiger durchgehen, urlaubsreif, aber immerhin. Bevor ich ein Zombie wurde, muss ich Geschäftsmann gewesen sein, ein Banker oder Broker oder ein Praktikant, ich trage nämlich ziemlich feine Sachen. Schwarze Hose, graues Hemd, rote Krawatte. M macht sich manchmal lustig über mich. Dann zeigt er auf meinen Schlips und versucht zu lachen, ein würgendes Grollen tief in seinen Eingeweiden. Er trägt löchrige Jeans und ein schlichtes weißes T-Shirt. Das T-Shirt sieht mittlerweile ziemlich makaber aus. Er hätte besser ein dunkleres genommen.
Wir machen gern Witze über unsere Kleider und stellen Vermutungen an, weil diese letzten modischen Vorlieben der einzige Hinweis darauf sind, wer wir waren, bevor wir niemand wurden. Manche sind weniger verräterisch als meine: Shorts und Sweater, Rock und Bluse. Also raten wir.
Du warst Kellnerin. Du warst Student. Klingelt da was?
Es klingelt nie was.
Keiner, den ich kenne, hat konkrete Erinnerungen. Bloß die vage, verkümmerte Ahnung einer lange vergangenen Welt. Blasse Eindrücke von früheren Leben, die wie Phantomglieder fortbestehen. Wir erkennen die Zivilisation wieder – Gebäude, Autos, das große Ganze –, aber wir spielen keine Rolle darin. Wir haben keine Geschichte. Wir sind bloß da. Wir tun, was wir tun, die Zeit vergeht, keiner stellt Fragen. Aber wie gesagt: es ist nicht so schlimm. Wir scheinen ohne Verstand, aber wir sind es nicht. Die rostigen Rädchen der Vernunft drehen sich noch, nur langsamer, immer langsamer, bis man ihr Kreisen kaum noch bemerkt. Wir grunzen und seufzen, nicken und zucken die Achseln, und manchmal rutschen uns ein paar Worte heraus. Es ist nicht so viel anders als vorher.
Nur dass wir unsere Namen vergessen haben, macht mich traurig. Das scheint mir das Tragischste zu sein. Ich vermisse meinen Namen und ich trauere um die Namen der anderen. Gern würde ich die anderen lieben, aber ich weiß nicht, wer sie sind.
Hunderte von uns leben in einem verlassenen Flughafen außerhalb irgendeiner großen Stadt. Wir brauchen keinen Unterschlupf oder Wärme, und doch haben wir gern Wände um uns und ein Dach über dem Kopf. Sonst würden wir einfach durch den Staub eines offenen Feldes irren, und das wäre auf seltsame Weise schrecklich. Gar nichts um uns zu haben, nichts, das man anfassen oder ansehen könnte, überhaupt keinen Anhaltspunkt, nur uns selbst und den aufgesperrten Rachen des Himmels. So, nehme ich an, ist es, vollkommen tot zu sein. Eine Leere, enorm und absolut.
Ich glaube, dass wir schon lange hier sind. Ich habe immer noch all mein Fleisch, aber es gibt Ältere, die kaum mehr als Skelette sind, an denen Muskelstücke kleben, trocken wie Dörrfleisch. Irgendwie kontrahieren und strecken sich diese Reste immer noch, und die Alten bleiben in Bewegung. Ich habe keinen von uns je am Alter „sterben“ sehen. Vielleicht leben wir ewig, ich weiß es nicht. Die Zukunft ist für mich so verschwommen wie die Vergangenheit. Nichts links oder rechts von der Gegenwart scheint mir etwas zu bedeuten, und die Gegenwart ist auch nicht besonders dramatisch. Man könnte sagen, der Tod hat mich locker gemacht.
©Klett-Cotta©
Literaturangabe:
MARION, ISAAC: Mein fahler Freund. Aus dem Amerikanischen von Daniel Sundermann. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2011. 298 S., 19,95 €.
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