Von Thomas Maier
Gewaltausbrüche an den Schulen, in denen Migrantenkinder praktisch nur noch unter sich sind: Der Berliner Ortsteil Neukölln ist heute bundesweit vor allem als Problemgebiet bekannt. Ein Viertel der sozial Deklassierten war Neukölln schon vor der Wende – allerdings mit anderem Lokalkolorit. Dem untergegangenen Neukölln der 1980er Jahre hat Johannes Groschupf mit seinem Roman „Hinterhofhelden“ ein gelungenes Denkmal gesetzt. Seine Hauptfigur – den Studenten Hans Odefey – hat es aus der norddeutschen Provinz nach Neukölln mit seinem kleinbürgerlichen Mief verschlagen.
Odefey wird in seinem Hinterhof-Milieu mit dem ständigen Geruch von Fleischsuppe oder ranzigem Fett konfrontiert. Das hält ihn nicht ab, neugierig den Kiez zu erkunden. Der junge Student vergisst sein Studium und verfällt geradezu seinem Viertel, zum Beispiel dem herben Sexappeal der Frau seines Hauswarts. Dieser – ein trainierter Boxer – wird sich rächen. Odefey wird in Neukölln auch seiner ersten großen Liebe begegnen – auch dies wird eine schmerzhafte Erfahrung.
Groschupf erzählt dies schnörkellos und präzise – und mit viel Einfühlungsvermögen in die Innenwelt seines Protagonisten. So ist ein sensibler und ungewöhnlicher Bildungsroman entstanden. Anders als Sven Regeners „Herr Lehmann“ im Szeneviertel Kreuzberg versumpft Hans Odefey eher selten in den Kneipen. Dagegen kann es passieren, dass er zum Nachhilfelehrer oder Suchtberater im Neuköllner Biotop wird. Mancher Charakter ist etwas zu schräg angelegt. Und auch Groschupfs Idee, seinen Romanhelden mit einer alten Minolta den Kiez dokumentieren zu lassen, ist nicht ganz so originell. Dies alles mindert jedoch nicht das Lesevergnügen.
Literaturangaben:
GROSCHUPF, JOHANNES: Hinterhofhelden. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009, 224 S., 19,95 €.