„Die Armen sind nicht kreditwürdig!“ Diesen Satz hörte Muhammed Yunus oft, als der Ökonomie-Professor aus Bangladesch mit Banken über Kleinkredite für Arme sprach. Millionen erfolgreich vergebener und zurückgezahlter Kredite sowie einen Friedensnobelpreis später, hat Yunus das Gegenteil bewiesen – mit seiner eigenen Bank. Jene Banker von damals dürften sich noch heute über ihre Kurzsichtigkeit ärgern.
Der Erfinder der Kleinkredite dagegen hat sich als Visionär erwiesen und mit seiner Idee den Grundstein für eine neue, globale Soziale Marktwirtschaft gelegt. Das meinen jedenfalls der Journalist Franz Alt und der Soziologe Peter Spiegel in „Gute Geschäfte“. Mit dem überschwänglichen „Kampagnenbuch“ geben die beiden den Startschuss für eine bundesweite Kampagne, die Deutschland zu einem Vorreiter der weltweiten „Social-Business“-Bewegung machen soll.
„Social Business“ oder zu Deutsch: Sozialunternehmen, das sind profitable Unternehmen, die aber nur eine geringe oder gar keine Rendite zahlen und Gewinne stattdessen in ihre soziale oder ökologische Zielsetzung investieren. Es geht im Kern darum, mit marktwirtschaftlichen Mitteln „etwas Gutes“ zu schaffen.
Am besten zeige dies noch immer das erste Sozialunternehmen überhaupt: die von Yunus gegründete Grameen Bank. Mitte der 1970er Jahren erkannte der Professor, dass seine Theorien und Modelle an der Realität vorbeigingen – Millionen seiner Landsleute lebten in bitterster Armut. Nach mehreren Besuchen in Dörfern wusste er, dass viele von ihnen etwas unternehmen und ein kleines Geschäft aufbauen wollten: Wasser verkaufen, Hühner züchten oder Brot backen. Aber ihnen fehlte schlicht das Geld dafür, oft nur wenige Dollar. Weil es die Banken ihnen nicht gaben, bürgte Yunus zunächst selbst für die ersten Kleinkredite. Nachdem zu seiner Überraschung alle Kreditnehmer ihre Kredite getilgt hatten, wiederholte er das Experiment solange, bis klar war: Arme sind kreditwürdig.
Was Yunus beflügelte, war der Glauben an die Kreativität und das Unternehmertum aller Menschen. Die Armen bezeichnet er als „Bonsai-Menschen“: Sie wollten wachsen, würden aber durch die Umstände – wie den fehlenden Zugang zu Krediten – daran gehindert. Aber Vertrauen allein macht nicht das Erfolgsrezept seiner Grameen Bank aus, die bis heute Kleinkredite im Wert von über 8,2 Milliarden US-Dollar vergeben hat und eine phänomenale Tilgungsquote von knapp 98 Prozent aufweist.
Kredite werden nur an Gruppen von mehreren Schuldnern vergeben. In diesen künstlich geschaffenen Schicksalsgemeinschaften stehen die Kreditnehmer für einander ein und motivieren sich gegenseitig, das Beste aus ihren Krediten zu machen. Es ist auch kein Zufall, dass 97 Prozent der Kunden von Grameen Frauen sind – sie gehen schlicht verantwortlicher als Männer mit dem geliehenen Geld um. Und ihnen, den Schuldnern, gehört diese Bank zu 95 Prozent, was sich wiederum positiv auf ihren Selbstwert und ihre Motivation auswirkt.
Die Grameen Bank hat sich als effektive Form der Armutsbekämpfung erwiesen und weitere Geschäftsbereiche erschlossen. So verkauft Grameen Shakti Solar- und Biogasanlagen, die bisher unversorgte Gebiete des Landes auf nachhaltige Weise elektrifizieren. Grameen Phone bietet im ganzen Land Mobiltelefone an. All das kostet – und Kritiker meinen: zu viel angesichts der Zielgruppe –, ist aber eben auch profitabel und damit anders als Spenden langfristig wirksam: eine beeindruckende Hilfe zur Selbsthilfe!
Doch kann das die Grundlage für ein neues Wirtschaftssystem und eine gerechtere Welt sein, in der Armut ein Fall für das Museum wird? Kann das in anderen Ländern funktionieren, allzumal in entwickelten Industrieländern? Wenn es nach dem Optimismus und Tatendrang der Autoren geht, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit und Überzeugung, bis weltweit Hunderttausende von Sozialunternehmen den alten „Raubtier-Kapitalismus“ durch eine „öko-soziale Marktwirtschaft“ ersetzen. Gerade der erste, von Franz Alt geschriebene Teil des Buches ist teils sehr polemisch. Man merkt jeder Zeile die Wut über die Gier und Missetaten der „Investment-Geier“ und anderer „Neoliberaler“ an, ärgert sich aber auch über Redundantes.
Die Beispiele für Sozialunternehmer und sozial handelnde Unternehmer der alten Schule entschädigen dafür umso mehr. Hier vermag Alt den Leser mit seinem grenzenlosen Enthusiasmus anzustecken! Umweltbanken, Sonnenhäuser, Elektroautos im Eigenbau – es tut sich viel im Land, weit mehr als die Wirtschaftspresse vermuten lässt. Wenn jedes Land solche Unternehmer förderte, wenn dieses ungemeine kreative Potenzial ausgeschöpft würde, wären dann nicht alle Krisen zu meistern?
Wie das geschehen könnte, zeigt Peter Spiegel im zweiten Teil des Buches. Hier zeichnet er systematisch die Entwicklung der Grameen Bank nach und kommt anschließend auf verschiedene Förderer und Praktiker der „Social-Business“-Bewegung zu sprechen. Neben zahlreichen Fonds und Stiftungen, einer geplanten Grameen Bank in Berlin und dem von Spiegel geleiteten Berliner Genisis-Institut lassen vor allem die „Social Joint Ventures“ aufhorchen. Dabei handelt es sich um Kooperationen großer Unternehmen mit der Grameen Gruppe.
Den Anfang machte Danone, welches in Bangladesch einen mit Nährstoffen angereicherten und erschwinglichen Jogurt für die Armen herstellt. Mittlerweile haben andere Großunternehmen Yunus wegen ähnlicher „Social Joint Ventures“ angefragt. Als erstes deutsches Unternehmen wird BASF mit Grameen zusammenarbeiten und dafür Moskitonetze und Vitaminbeutel herstellen. Solche gemeinsamen Unternehmungen werden weitere Nachahmer finden und könnten so helfen, das Geschäftsmodell „Social Business“ zum Mainstream zu machen.
Die Aussichten auf politischem Wege und mittels eines „Global Marshall Funds“ regionale Kleinkreditsysteme auf der ganzen Welt zu etablieren dürften dagegen düsterer sein. Obwohl 30 Milliarden Starthilfe für 10.000 Kleinkreditsysteme eine vergleichsweise geringe Summe sind, wären doch ein Kooperationsniveau und eine Aufgeschlossenheit notwendig, die viele Regierungen und Entwicklungshilfeorganisationen kaum aufbringen dürften. Noch unwahrscheinlicher erscheint eine weitere Forderung, die gemeinsam mit dem „Global Marshall Fund“ anlässlich des G20-Gipfels am 5. März diesen Jahres gestellt wurde: dass 10 Prozent aller Hilfsmaßnahmen im Rahmen der Wirtschaftskrise an Sozialunternehmen gehen. Ob aber gerade der Internationale Währungsfond, der für klassische Investitionen in die Infrastruktur bekannt ist, die richtige Organisation dafür ist?
Überhaupt scheint der Weg über die internationale Politik inkompatibel mit der ursprünglichen Idee zu sein. Die Grameen Bank ist noch heute stolz darauf, ohne Spenden und (mit Ausnahme der obligatorischen Staatsbeteiligung von 5 Prozent) ohne staatliche Eingriffe auszukommen. Der Reiz der Idee liegt ja gerade in der privaten Initiative und der Entfaltung freier Kreativität – wie soll das mit Vergaberichtlinien und bürokratischen Prozessen zusammenpassen?
Die größte Herausforderung dürfte aber in der Gewohnheit liegen, die der Feind aller Veränderung ist. Schon kehren die ersten Banken zum Tagesgeschäft zurück, zahlen hohe Boni und verbitten sich Erinnerungen an jene Zeit der Staatshilfen und des drohenden Zusammenbruchs. Verheerender könnte der langsame Aufschwung sein, der sich in Europa und den USA abzuzeichnen scheint – in Asien hat es einen richtigen Crash erst gar nicht gegeben. So ist es zweifelhaft, ob jetzt die Zeit ist, das Wirtschaftssystem zu verändern und die „bürgerliche Revolution“ (Spiegel), jenes große Projekt der Aufklärung, zu vollenden. Vielleicht hat es diese Gelegenheit auch nie gegeben.
Wie sich auch die „Social-Business“-Bewegung entwickelt: „Gute Geschäfte“ ist das vielleicht beste Buch, das man in der Krise lesen kann. Engagiert und zuversichtlich präsentiert es eine ebenso wunderbare wie praktikable Idee. Wo andere mit riesigen Geldsummen jonglieren und abstrakte Regulierungen verhandeln, da gehen Alt und Spiegel auf den Menschen zurück und zeigen, wie Kreativität und Mut selbst die widrigsten Umstände überwinden können. Sie zeigen, wie weit der Schatten von „Bonsai-Menschen“ reicht.
Literaturangabe:
ALT, FRANZ / SPIEGEL, PETER: Gute Geschäfte. Humane Marktwirtschaft als Ausweg aus der Krise. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 263 S., 16,95 €.
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