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„Der letzte Kommunist“

Matthias Frings’ Biographie über den früh an Aids gestorbenen Schriftsteller Schernikau

© Die Berliner Literaturkritik, 09.03.09

 

Von Wilfried Mommert

BERLIN (BLK) – Ausgerechnet im 20. Jahr des Mauerfalls ist jetzt „Der letzte Kommunist“ in Gestalt einer Biografie über „das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau“ von Matthias Frings („Liebe Sünde“) erschienen. Das im Berliner Aufbau Verlag erschienene Buch gehört zu den Nominierungen beim diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse, die in dieser Woche beginnt. Der 1991 früh an Aids gestorbene Schriftsteller und Paradiesvogel der linken Subkultur und Schwulenszene, der eigentlich „Schlagersängerin“ werden wollte – Peter Hacks nannte ihn einen „sehr schönen, sehr jungen, sehr klugen Freund“ – war ein Wanderer zwischen den Welten, politisch und erotisch. In der einen davon, der westlichen, meinten manche über diesen Paradiesvogel: „Kommunist ist schon schlimm genug, aber muss der auch noch schwul sein?“

1960 in Magdeburg geboren, 1966 im Kofferraum nach Westdeutschland abgehauen, ist er später nach West-Berlin gegangen und Mitglied des dortigen eher pittoresken SED-Ablegers „Sozialistische Einheitspartei Westberlin“ (SEW) geworden, studierte als „Westler“ im Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig und lässt sich schließlich als letzter Westdeutscher am 1. September 1989 in die DDR einbürgern (in den Staat, der andere Autoren wie Wolf Biermann vorher auch gerne ausgebürgert hat, was sonst nur die Nazis gemacht haben). Aber kaum im Osten angekommen, ist der Wandervogel unfreiwillig schon wieder im Westen gelandet.

Denn schon wenige Monate später ist die Mauer gefallen und Schernikau saß wieder zwischen den Stühlen. Aber er ließ sich noch immer nicht von seiner Liebe und Vernarrtheit in die DDR abbringen, schließlich hat auch eine Christa Wolf, die er ebenso verehrte wie Irmtraud Morgner, Brigitte Reimann oder Peter Hacks, einmal gesagt „Ich habe dieses Land geliebt“. Also las der frischgebackene Schriftsteller Schernikau, der im Westen als 20-Jähriger 1980 als Lichtgestalt der jungen Literaturszene mit seiner „Kleinstadtnovelle“ für Aufsehen gesorgt hatte, den DDR-Kollegen auf ihrem Schriftstellerkongress im März 1990, wenige Monate vor dem Ende des von ihm doch so geliebten Landes, die Leviten.

Schernikau war blauäugig und naiv und lag mit manchen seiner Auffassungen haarsträubend daneben und argumentierte manchmal für seine Freunde nur noch abstrus („Die DDR bringt die besseren Schriftsteller hervor und hier werden die besseren Bücher geschrieben“ beharrte er, und den Mauerfall vom 9. November 1989 nannte er einen „Sieg der Konterrevolution“), und doch klingt manches aus seiner damaligen Philippika von 1990 auch nachdenkenswert, wozu in der Hektik der Vereinigung aber wenig Zeit war.

„Die Dummheit der Kommunisten halte ich für kein Argument gegen den Kommunismus“, sagte Schernikau auf dem Kongress, dennoch verblüffte ihn „die vollkommene Wehrlosigkeit, mit der dem Westen Einlass gewährt wird, das einverständige, ganz selbstverständliche Zurückweichen, die Selbstvernichtung der Kommunisten“. Aber die DDR habe sich „wehrlos gemacht, systematisch, mit offenen Augen – weshalb wollte die DDR nicht, dass man sie lobt? Das werde ich nie verstehen.“ Alle freuten sich jetzt, wenn sie sagen dürfen, „Honecker ist doof – na ja“. Und eine Warnung gab der junge Mann den altgedienten Kollegen mit auf den beginnenden unsicheren Weg: „Wer die Buntheit des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens kriegen.“

Und hier offenbart sich der ganze Zwiespalt und Widerspruch im „traumhaften Leben des Ronald M. Schernikau“. Denn die „Buntheit“ des Westens war jahrelang sein Lebenselixier, ohne das er, als Schwuler sowieso, aber auch als Aufsässiger und Rebell gegen alles „Genormte“ und Angepasste, jämmerlich zugrunde gegangen wäre. Die DDR offenbarte sich ihm zu spät als „die spießigste deutsche Republik“.

Diese Doppelseiten eines wirklich abenteuerlichen und in seiner Geradlinigkeit und Besessenheit zum Unorthodoxen ungewöhnlichen Lebens werden in den Erinnerungen seines Freundes und Weggefährten Frings ungemein lebendig und plastisch geschildert. Für manche Leser gerät das vielleicht etwas zu detailversessen, wenn er West-Berliner Subkultur mit ihrer Kreuzberger und Schöneberger Alternativ- und Schwulenszene der 80er Jahre mit allem Tratsch und Klatsch und allen Club-Szene-Örtlichkeiten Revue passieren lässt. Eine Szene, die auch einen David Bowie zeitweise in die Mauerstadt gelockt hat.

Für andere ist das natürlich gerade ein „gefundenes Fressen“, in Erinnerungen an die „wilden Zeiten“ zwischen linkem Aktionismus und schwuler Subkultur zu schwelgen – mit allem Streit in den eigenen Reihen über Anspruch und Wirklichkeit, inklusive Neid und Eifersüchteleien, denn für Schernikau war ein Leben ohne Liebe, Sex und Partnerschaft undenkbar, bis zu seinem frühen Tod 1991. Frings gelingt eine schillernde Biografie eines lebenshungrigen Lebens in Gestalt eines politischen Träumers, der Sisyphos für einen glücklichen Menschen gehalten hat, denn aufgegeben hat Schernikau nie und larmoyantes Selbstmitleid selbst bei Rückschlägen war seine Sache nicht.

Das Buch ist spannend zu lesen auch als eine Zeit- und Sittengeschichte längst vergangener Zeiten, die aber eine Generation geprägt hat, privat und politisch. Eigentlich in seiner Buntheit auch ein Filmstoff, denn für die schwule Community, die gerade den oscar-prämierten Film über Harvey Milk bejubelt, ist Frings eines der bewegendsten und aufregendsten Bücher des Jahres gelungen. (phi)

Literaturangaben:
FRINGS, MATTHIAS: Der letzte Kommunist. Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 488 S., 19,95 €.

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