Von Frauke Lengermann
Wie viel haben Getreidesorten wie Mais, Reis oder Weizen noch mit der Urpflanze gemein, aus der sie gezüchtet wurden? Warum entwickelten sich die Menschen von Jägern und Sammlern zu Ackerbauern, wenn wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Ackerbauern schlechter genährt und kleiner waren als ihre jagenden und sammelnden Vorfahren? Stimmt es, dass Gewürze im Mittelalter so beliebt waren, weil man mit ihnen den Geschmack verdorbenen Fleisches überdecken konnte?
All diese Fragen werden in „Der Mensch ist, was er isst“, dem neuen Buch des britischen Autoren und Journalisten Tom Standage, auf unterhaltsame Weise diskutiert und in den meisten Fällen auch zufriedenstellend beantwortet. Oxford-Absolvent Standage hat eine gewissenhaft recherchierte, gut lesbare Kulturgeschichte der Nahrungsmittel geschrieben, die den bewunderungswürdigen Versuch unternimmt, die Geschichte der Lebensmittel von den Anfängen bis zur heutigen Zeit zu erzählen. Das ist keine leichte Aufgabe, da politische, soziologische, kulturelle und geschichtliche Aspekte ineinander greifen, wenn es darum geht, darzustellen, wie und aus welchen Gründen sich bestimmte Nahrungsmittel über den ganzen Globus verbreiteten, andere indessen nicht. Standage gelingt es jedoch, den Überblick zu behalten, und er erklärt uns, warum Nahrungsmittel zu Auslösern von wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen wurden; welchen Anteil sie am wirtschaftlichen und technischen Fortschritt hatten (und haben) und warum die Industrialisierung ohne die Kartoffel unmöglich gewesen wäre.
Darüber hinaus erläutert er beispielsweise, warum das Vorhandensein – oder der Mangel – von Lebensmitteln half, Kriege zu gewinnen oder eben auch zu verlieren; er beleuchtet die Hintergründe und Ursachen der großen Hungersnot in Irland, des so genannten „Great Famine“, und vieles mehr.
So trocken diese umfassende Wissensvermittlung sein könnte, Standage versteht es, die komplexe Materie aufzulockern, indem er unter anderem Abstecher in das Reich der Literatur unternimmt. So zitiert er beispielsweise die gewagten und amüsanten Theorien zur Zimtgewinnung des antiken Geschichtsschreibers Herodot – Theorien, die in das Reich der Legenden gehören und doch das damalige Weltbild prägten.
Nicht zuletzt knüpft der Brite an aktuelle Debatten unserer Zeit an, wenn er die Gefahren und das Potential der Gentechnologie darstellt, über Biotreibstoffe informiert, oder den Trend zu Local-Food kritisch beleuchtet. „Der Mensch ist, was er isst“, ist Standages’ fünftes geschichtliches Werk – und es ist ihm gelungen, ein extrem informatives und lesenswertes Buch zu schreiben, dass massenhaft interessanten Gesprächsstoff liefert.
Literaturangabe:
STANDAGE, TOM: Der Mensch ist, was er isst. Wie unser Essen die Welt veränderte. Artemis & Winkler Verlag, Mannheim 2010. 282 S., 19,90 €.
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