Von Frauke Kaberka
Der Titel des Buches verheißt Romantik—doch sind es vor allem Bitterkeit und Resignation, die Commissario Brunetti erfüllen, als er seinen 17. Fall ad acta legt. In ihrem neuen Roman „Das Mädchen seiner Träume“ greift die amerikanische Erfolgsautorin Donna Leon ein sensibles Thema auf: die (Nicht - ) Integration von Sinti und Roma in Italien. Durchaus übertragbar auf andere Länder mit einem hohen Anteil nicht sesshafter Bevölkerungsgruppen in festgefügten gesellschaftlichen Strukturen. Es wird ein schwermütiger, langsamer Gang durch die Handlung, die mit einer Beerdigung beginnt und mit einer endet.
Ein seltsamer Rahmen voller Gegensätze: Zu Beginn wird die Mutter des Commissarios zu Grabe getragen—nach einem langen erfüllten Leben. Auf ihrem letzten Weg wird sie von der Familie und Freunden begleitet. Zum Schluss kommt das „Mädchen seiner Alpträume“ unter die Erde. Ein sehr kurzes freudloses Leben, das von Missbrauch und anderen Qualen geprägt war, findet ein ebenso trauriges Ende. Und am Grab stehen lediglich Brunetti, sein Kollege und ein Priester. Jener Geistliche, dem Leon die zweite Handlungsebene widmet, wenn auch eher rudimentär.
Die Handlung ist schnell umrissen: Ein elfjähriges Mädchen wird tot aus einem der Kanäle Venedigs gefischt. Als sich herausstellt, dass es eine Roma ist, zeigen die Behörden das in solchen Fällen leider übliche Desinteresse an der Aufklärung, zumal die Kleine offensichtlich beim Bestehlen einer angesehenen Familie erwischt wurde. Tod durch Ertrinken—so lautet das Obduktionsergebnis. Für Brunettis Vorgesetzten ist der Fall klar: Es war ein Unfall. Für den Commissario allerdings wirft er Fragen auf. Brunetti wäre nicht Brunetti, wenn er der Sache nicht auf den Grund gehen würde.
Der Fall verursacht ihm unangenehme Träume: Weil die Tote noch ein Kind war, dem eine wie auch immer geartete Zukunft geraubt wurde. Weil er die Vorurteile gegen „Zigeuner“ nicht akzeptieren kann. Weil er auch bei Freunden und Kollegen auf Voreingenommenheit stößt. Und weil er weiß, dass er daran vermutlich nichts ändern kann. Er klärt den Tod des Mädchens auf, was niemanden interessiert und auch niemandem wirklich hilft. Und was auf Weisung unter Verschluss bleiben muss. Es ist düster und nachdenklich, das neue Werk der Leon. Und wie gewohnt sehr sozialkritisch.
Vielleicht ist die Thematik für diese Romanform ein wenig zu groß, um Pauschalisierungen gänzlich vermeiden zu können. Möglich auch, dass man der Autorin ankreidet, einen handlungsarmen Roman verfasst zu haben, dem die spannungsfördernden Kettenreaktionen eines großen Verbrechens fehlen. Aber es gibt Spannungen der anderen Art: zwischen den Roma - Familien, zwischen Staat und Randgruppen, vor allem aber zwischenmenschliche, allein wegen unterschiedlicher Auffassungen, eines anderen Verständnisses von Integration und Miteinander. Das Ergebnis ist ein zutiefst menschlicher, fesselnder Roman, in dem Schmerz zugelassen wird.
Literaturangabe:
LEON, DONNA: Das Mädchen seiner Träume. Commissario Brunettis siebzehnter Fall. Übersetz aus dem Englischen von Christa E. Seibicke. Diogenes Verlag, Zürich 2009. 351 S., 21,90€.
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