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Der neue Roman von Siba Shakib

100 Jahre persische Geschichte: „Eskandar“

© Die Berliner Literaturkritik, 16.07.09

Von Susanna Gilbert-Sättele

„Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen“ heißt der große Erfolgsroman der in Köln lebenden Iranerin Siba Shakib. Ihr neues Werk „Eskandar“ begann sie zu schreiben, als Mahmud Ahmadinedschad zum ersten Mal Regierungschef im Iran wurde. Mit der Lebensgeschichte des kleinen Eskandar — zu deutsch Alexander — im Mittelpunkt, veranschaulicht sie darin die Geschehnisse in ihrer Heimat in den letzten 100 Jahren.

Tief im Süden des Iran in einem namenlosen Dorf, als Bastard und Leibeigener um 1908 geboren, wächst der Junge auf. Er wagt sich über den Berg, wo auf der anderen Seite die Farangi, die Fremden, auf der Suche nach Erdöl sind. Nach einer kurzen Zeit als „Boy“, in der Eskandar seine Begabung zum Geschichtenerzählen entdeckt, wird er weitergereicht und lebt fortan als Diener im Hause eines Khans in Teheran, behütet und von den Haremsdamen geliebt. Er wird aufmerksamer Zeuge der Kämpfe der Nationalisten gegen die Besatzer, die erst aus England, dann aus Russland kommen. Er erlebt, wie der König aufgibt und sein Volk verzweifelt um Autonomie kämpft. Er lernt die Liebe kennen, und der Leser erfährt, dass es trotz der archaischen Strukturen des Landes nicht wenige Frauen gibt, die über Macht, Geld und vor allem den Mut verfügen, sich gegen die Ausbeutung ihrer Nation aufzubäumen.

Eskandar heiratet schließlich eine einfache und mutige Frau, macht sich als Händler selbstständig, unterstützt die Emanzipationsbestrebungen seiner Gattin, die es zur Lehrerin an einer Mädchenschule bringt. Ihr Engagement für Premier Mossadegh muss sie schließlich mit dem Leben bezahlen. Eskandar dokumentiert forthin in Wort und Bild Aufstieg und Fall des Schah, einer Marionette der Amerikaner, heiratet ein zweites Mal, wird endlich Vater und verliert seine Tochter, als sie gegen den Schah opponiert und im berüchtigten Evin-Gefängnis den Tod findet.

Er erlebt 1979 die Rückkehr Khomeinis aus dem Exil und die Ausrufung der islamischen Republik, die nichts an den miserablen Lebensbedingungen der Landbevölkerung ändern wird. Eskandars Rolle als Geschichtenerzähler und Dokumentarist übernimmt nun seine Enkelin, die als Reporterin für das Fernsehen arbeitet, als der Held der Geschichte nach über hundert lebenssatten Jahren stirbt.

Shakib macht es dem Leser schwer und leicht: Die Namen und Titel der unzähligen Personen, die den Roman bevölkern, sind dem europäischen Leser ungewohnt. Ungeheuer komplex sind auch die politischen Umwälzungen und Ereignisse der letzten 100 Jahre im Iran, die hier akribisch dokumentiert werden. Gleichwohl mag jeder selbst entscheiden, ob er den Fokus darauf legt, die Historie genau nachzuvollziehen, sich Titel, Namen und deren Bedeutung in der Hierarchie des Irans einzuprägen, oder ob er einfach den wunderbaren, liebenswerten Helden Eskandar auf dessen Lebensweg begleitet und sich von dem Erzählfluss mitziehen lässt. Beide Lesarten lässt die Autorin zu, bei beiden hat sie mit ihrem Epos einen großen Wurf getan. Ihre Sprache ist dem einfachen Gemüt ihres Protagonisten angepasst, der von der Geschichte seines Landes mitgerissen wird, ihr ausgesetzt ist und doch — fast wider Willen — ein Held wird.

Vor allem Frauen prägen sein Leben — starke Frauen, die sich gegen Willkür und Unterdrückung wehren und vor allem an Bildung teilhaben wollen. Sie ziehen ihn mit und machen ihn zum Mithelfer ihrer ganz persönlichen Revolution gegen die Macht der Männer, mögen es Farangi oder Mullahs sein. Die klare, einfache Sprache macht das Lesen trotz der Komplexität des Stoffes leicht. Besonders deshalb, weil Shakib sich eines Tricks bedient: Da Eskandar vor allem Geschichtenerzähler ist, womit er sich in eine uralte orientalische Tradition einreiht, gibt er dem Leser immer wieder eine Zusammenfassung des bisherigen Geschehens. Auch die Kürze der einzelnen Kapitel lassen Raum, die weit ausgreifende Erzählung besser zu verarbeiten. Besonders hilfreich sind zudem Zeittafel und Glossar am Ende des Buches.

Dass die Autorin mit großer Leidenschaft und Empathie die Entwicklung ihres Volkes verfolgt, wird in jeder Zeile des Buches offenbar. Dass sich Engländer, Russen, Amerikaner gleichermaßen schamlos der Bodenschätze ihres Landes bedienten, vor Korruption, Besatzung und Gewalt gegen die Bevölkerung nicht zurückschreckten und Regierungen instrumentalisierten, prangert Shakib gnadenlos an. Ihrer Erzählkunst ist es zu verdanken, dass hieraus kein Pamphlet wurde, sondern eine tief berührende Geschichte, die angesichts der aktuellen Geschehnisse im Iran umso betroffener macht.

Literaturangabe:

SHAKIB, SIBA: Eskandar. Bertelsmann Verlag, München 2009. 512 S., 19,95 €.

Weblink:

Bertelsmann Verlag


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