Von Klaus Blume
Das hätte sich Roger Casement wohl nicht träumen lassen: Den Kongo und den Amazonas hatte dieser Abenteurer und Diplomat befahren, als unbequemer Aufklärer die Grausamkeiten der Kautschuk-Barone angeprangert und schließlich im Freiheitskampf für Irland sein Leben gelassen. Nun, 94 Jahre nach seinem Tod am Galgen, erhält er ein literarisches Denkmal - von einem Nobelpreisträger.
Roger Casement (1864-1916) ist der Held des neuen Romans von Mario Vargas Llosa. „El sueño del celta“ - der Traum des Kelten - heißt das Buch, das vorige Woche im spanischen Original erschienen ist. Auf Deutsch wird das Werk des Peruaners nach dessen Wechsel von Suhrkamp zu Rowohlt erst im September 2011 in die Läden kommen.
Vom viktorianischen England über den berüchtigten Kongo-Freistaat des belgischen Königs Leopold II. bis ins peruanische Amazonasgebiet führt der Autor den Leser auf eine literarische Weltreise. Fakten sind bestens recherchiert, und der Meister versteht es, die Schönheit der Tropennatur ebenso präzise zu beschreiben wie die menschlichen Abgründe, die sich in ihr auftun. Politisch ist das Buch eine Anklage gegen den Kolonialismus, die Gleichsetzung von Zivilisation und Fortschritt wird hinterfragt. Schwächen im Aufbau der Erzählung mit zu vielen Wiederholungen mindern allerdings die Lesefreude.
Roger Casement, Spitzname „Der Kelte“, träumt den Traum von der Unabhängigkeit seiner grünen Heimatinsel. Die Erfahrung in den Tropen hat sein politisches Bewusstsein geschärft. Als junger Mann war er noch mit dem Glauben an die „zivilisatorische Mission“ der Europäer nach Afrika gereist - und bald eines Schlechteren belehrt worden. Er wird Zeuge, wie die Afrikaner im belgischen Kongo über ein gnadenloses System der Zwangsarbeit dezimiert werden, einer der großen Völkermorde der Neuzeit. Inzwischen britischer Konsul, schreibt Casement 1903 einen Bericht, der ihm Ruhm, Ehre und den Adelstitel bringt.
Eine literarische Reise auf dem Kongofluss kann nicht ohne Bezug zu Joseph Conrad bleiben, und Casement hatte den Kapitän und Schriftsteller auch gekannt. Doch das wahre „Herz der Finsternis“ entdeckt er 1910 im Putumayo, im peruanischen Amazonasgebiet, wo die Zustände in der Kautschukindustrie aus seiner Sicht noch schlimmer als im Kongo sind. Wieder in Europa, quittiert er den diplomatischen Dienst und wendet sich bald als irischer Freiheitskämpfer gegen seinen früheren Arbeitgeber, die britische Regierung.
Der Traum des Kelten ist Vargas Llosas erster Roman seit vier Jahren. In 15 Kapiteln schlüsselt er das Leben Casements auf. Dabei spielen die ungeraden Kapitel im Londoner Gefängnis, wo Casement seiner Hinrichtung entgegensieht und sein Leben Revue passieren lässt. In den geraden Kapiteln wird die eigentliche Handlung ausgerollt: Kongo, Peru, Irland. Ein interessantes Konstruktionsprinzip, das aber seine Tücken hat: Es schleichen sich zu viele Wiederholungen ein.
Casement reist im Sommer 1914 in die USA, um bei den dort lebenden Iren Geld für den Freiheitskampf zu sammeln. Der Homosexuelle findet einen jungen Freund, der aber ein Spitzel des britischen Geheimdienstes ist. Über Norwegen gelangt Casement nach Berlin, wo er vergeblich um militärische Unterstützung Deutschlands wirbt. Er kehrt kurz vor dem Dubliner Osteraufstand 1916 im U-Boot nach Irland zurück, wird verhaftet und als Hochverräter zum Tode verurteilt.
Ein spannendes Ende, doch fragt man sich, warum man dies alles zweimal lesen muss: Erst im Rückblick aus der Gefängniszelle und dann in der eigentlichen Handlung. Durch die Wiederholungen geht Spannung verloren, und der Nobelpreisträger riskiert die Todsünde jedes Autors: den Leser zu langweilen. Stark dann aber der Schluss: Casement steht unter dem Galgen, und der Henker, Mr. Ellis, im Nebenberuf Friseur, legt ihm die Schlinge um den Hals: „Er konnte noch ein letztes Mal ein Flüstern von Mr. Ellis hören: "Wenn Sie die Luft anhalten, geht es schneller, Sir." Er gehorchte.“
Literaturangabe:
Mario Vargas Llosa, El sueño del celta, Verlag Alfaguara, Madrid, 454 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-84-204-0682-4