Von Wilfried Mommert
BERLIN (BLK) – Die gegenwärtige Banken- und Finanzkrise ist noch nicht in der Kulturszene angekommen, aber der Ruf nach „Mutter Staat“ wird auch hier langsam lauter. Ein bemerkenswerter Mentalitätswandel zeichnet sich ab. In den Tagen, in denen SPD und CDU die Schaffung eines Kulturstaatsminister-Amtes in der Bundesregierung vor nunmehr zehn Jahren feiern, hat der jetzige Amtsinhaber Bernd Neumann (CDU) Oberwasser bekommen, wenn es um die Fürsorge für die deutsche Kulturlandschaft angesichts drohender Finanzkrisen geht.
In den vergangenen Jahren konnten angesichts immer größer werdender Haushaltslöcher in den Ländern und Kommunen die Appelle auch von Kulturpolitikern nicht laut genug sein, die Museen, Theater, Konzerthäuser und anderen Kultureinrichtungen sollten sich verstärkt nach privaten Kultursponsoren umsehen. Jetzt warnt Neumann angesichts der aktuellen Banken- und Finanzkrise am Beispiel USA davor, „wie riskant die Auslagerung der Kulturförderung auf den privaten Sektor, auf Firmensponsoring und Spenden ist“. Deutschland stehe mit seinem hohen öffentlichen Finanzierungsanteil „sehr gut da“, mit acht Milliarden Euro von Kommunen, Ländern und dem Bund weltweit immer noch einzigartig.
Dabei weiß Neumann auch, dass er nicht zu laut „pfeifen“ darf. Eine Generalsanierung der Berliner Staatsoper, für die der Bund immerhin 200 Millionen Euro zuschießen will, ist zum Beispiel dringend auf die von dem Unternehmer Peter Dussmann avisierten 30 Millionen Euro angewiesen. Und vergessen scheint zu sein, dass in den „besseren Zeiten“ staatlicher Kulturförderung in Berlin 1993 mit dem Schiller- und Schlosspark-Theater einer der größten deutschsprachigen Theaterbetriebe geschlossen wurde – wegen einer öffentlichen, nicht privaten Finanzklemme.
Und da es immer noch kein „Staatsziel Kultur“ im Grundgesetz, also mit Verfassungsrang gibt, sind die Finanzminister und –stadträte gehalten, sich bei Kürzungen an die „frei verfügbaren“, also nicht zwingend vorgeschriebenen Etatmittel zu halten. Der Vorsitzende des Bundestagkulturausschusses, Hans-Joachim Otto (FDP), weiß jedenfalls, welche Gefahren in Zeiten von allgemeinen Finanzkrisen auch auf die Kultur zukommen können. Die Krise treffe keineswegs nur die Banken und Reichen. „Kultur und Wirtschaft hängen enger zusammen als viele glauben. Wir machen uns da schon Gedanken und Sorgen“, sagte Otto in einem dpa-Gespräch.
So schwant manchen Verlegern für das Bücher-Weihnachtsgeschäft nichts Gutes, wie auf der Frankfurter Buchmesse zu hören war. Die Fragezeichen dazu waren deutlich spürbar. Schließlich sparen viele Menschen in Zeiten der Finanzknappheit zuerst bei Büchern wie überhaupt bei der Kultur, es ist ja angeblich „kein Muss“ (eigentlich die vergleichbare „Güterabwägung“ wie beim Staatsziel Kultur). Dabei können die Ausgaben für ein gutes Buch, ein schönes Konzert oder eine Ausstellung auch „Investitionen in den Seelenhaushalt“ sein, „notwendiger Luxus“ also. Oder, wie der Opernliebhaber Loriot meint, es trägt „wie verschiedene andere unnütze Dinge“ dazu bei, „das Leben weniger trostlos erscheinen zu lassen“ – vielleicht gerade in Krisenzeiten. Aber was nutzen solche Argumente, wenn die Familie plötzlich sehr rechnen muss – und das gilt eben auch für die „Familie Staat“.
Für den Politgrafiker und Präsidenten der Akademie der Künste in Berlin, Klaus Staeck, geht es jetzt „ums Ganze“, um „das Projekt Demokratie“ schlechthin, wie sein Motto für die bevorstehende Herbst-Mitgliedersammlung seiner Künstlersozietät im November heißt. An Freunde und Kollegen verschickte er dieser Tage als „Erinnerungs-Postkarte“ auch sein Plakatmotiv von 1997 mit den Frankfurter Bankentürmen im Hintergrund und einen Koffer mit angeschnalltem Beil und der Aufschrift „Wir machen mit Ihrem Geld was wir wollen – German Bankers Club“.
Der 70-jährige Staeck sieht sich unversehens in einer „Spielhölle“, wo nur noch gezockt werde, wie er jetzt in einem Interview („Tagesspiegel“) meinte. Aber Staeck wäre nicht Staeck, würde er die Hoffnung aufgeben und nicht weiter die „reine Lehre“ predigen: „Angesichts der Krise zeigt sich, dass sich der Kampf um die staatliche Finanzierung von Kultur lohnt. Jeder öffentliche Euro, der durch einen privaten Euro ersetzt wird, ist mit Gefahren verbunden.“ Er sei „der älteste Gegner des Sponsoring“.