Unsere Erde ist stärker in Bewegung als wir denken. In einer Geschwindigkeit, mit der unsere Zehennägel wachsen, steuern die heutigen Kontinente auf eine Kollision zu, in 250 Millionen Jahren werden sie zu einem neuen gigantischen Superkontinent verschmelzen. Jener Koloss wird weder der erste noch der letzte sein, der sich auf der Erde bildet. Vor 150 Millionen Jahren brach Pangäa auseinander, die Heimat der Dinosaurier und der letzte globale Superkontinent. Seine Fragmente bilden die Kontinente, wie wir sie kennen – Afrika, Nord- und Südamerika, Asien, Australien und die Antarktis.
Doch deren Lage ist alles andere als stabil: Die Erdkruste besteht aus einem guten Dutzend tektonischer Platten, die wie Eisschollen auf dem Erdmantel schwimmen. Sie nähern sich an, driften auseinander oder schrammen aneinander vorbei, ihre unaufhörliche Bewegung führt in weiter Zukunft zur „superkontinentalen“ Umarmung ihrer Küstenlinien - und zum erneuten Auseinanderbrechen. Seit 1970 vermuten die Forscher, dass sich diese Veränderungen der Kontinentalplatten in einer Zeitspanne von 500 bis 700 Millionen Jahren wiederholen: Der Tanz der Kontinente folgt einem Naturzyklus von unvorstellbaren Dimensionen – dem gewaltigsten Kreislauf der Natur.
Ted Nield, Mitarbeiter an der Geological Society of London und Herausgeber des Magazins Geoscientist, nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise durch die Erdgeschichte. In seinem Buch „Superkontinent“ schildert er, wie die imposante Quadrille der Kontinente bisher verlief, wie der Mensch auf ihre Spur kam und welche Superkontinentwelten die heutigen Geologen in die Zukunft projizieren. Ted Nield stellt uns auf beeindruckende und faszinierende Weise das geheime Leben unseres Planeten dar und die Kräfte im Erdinneren, die ihn bewegen.
Und er stellt die Menschen vor, die die komplexe Entwicklung der Erdoberfläche enträtselten. Unter ihnen finden sich Exzentriker, Außenseiter, unermüdliche Forscher und wagemutige Entdecker, sie alle eint eine gemeinsame Eigenschaft: Superkontinentwelten, ob dem Vergessen entrissene oder zukünftige, so Nield, gibt es nur an einem Ort – „in der menschlichen Vorstellungskraft, dem einzigen Auge, das durch die Zeiten hindurchsehen kann“. Erst sie ermöglichte die Visionen der ersten Kartografen, die Spekulationen der frühen Naturforscher, die Theorien der Geophysiker als auch die in die Zukunft gerichteten Modellrechnungen eines Roy Livermore oder Chris Scotese.
Der britische Wissenschaftsjournalist und Geologie-Experte, der unter anderem für The New Scientist, Independent und Guardian schreibt, führt den Leser von den Mythen über „versunkene“ Kontinente, über die Beobachtungen der Biogeografen des 19. Jahrhunderts bis zur „Kontraktionstheorie“ des österreichischen Geologen Eduard Suess, bei der die Erde unerbittlich mit zunehmender Abkühlung schrumpft. 1912 fügte der deutsche Polarforscher Alfred Wegener zum ersten Mal Pangäa (All-Erde) zusammen, seine Theorie der Kontinentalverschiebung blieb lange umstritten, erst Mitte der 1960er-Jahre erbrachten Untersuchungen des Meeresbodens den geophysikalischen Beweis. Heute verfügen Geologen über Wege, den Tanz der Kontinente bis über 1000 Millionen Jahre zurück zu verfolgen.
Ted Nield beschreibt die Meilensteine, mit denen sich das geologische Puzzle zu dem Bild fügt, das wir heute haben. Dabei durchstreift er kurzweilig und zuweilen plaudernd die Wissenschaftsgeschichte. Er berichtet Amüsantes, Abwegiges als auch Tragisches, so über die 18 Kilo äußerst bedeutender Gesteinsproben, die sich 1912 neben den gefrorenen Leichen Robert Falcon Scotts und seiner Begleiter fanden. Es waren Kohlestücke und Pflanzenfossilien, darunter der erste Fund der bis zu 24 Meter aufragenden Glossopteris-Fauna aus der Antarktis, die im Spätperm mit Südamerika, Afrika, Indien und Australien Gondwana bildeten, den südlichen Teil Pangäas.
Doch damit nicht genug: Nield schickt den Leser auf eine Fantasiereise an die Küste jenes letzten Superkontinents, lässt ihn von einem Aussichtpunkt auf den Perm-Pennines die heranbrandende Flutwelle beobachten oder er imaginiert, wie sich unser Blauer Planet in ferner Zukunft Raumfahrern präsentiert, die jenen menschlichen Vorfahren entstammen, die sich einst vor dem unausweichlichen Untergang auf ihrem Heimatplaneten in die galaktische Diaspora retteten. Die Vision dieser Zeitreise beruht auf Berechnungen von Roy Livermore, Paläograf am British Antarctic Survey und unter anderen wissenschaftlicher Berater der preisgekrönten Fernsehdoku „Die Zukunft ist wild“.
Uns Menschen, die „Nachzügler der Evolution“, gibt es erst seit sechs Millionen Jahren und die Chancen der Menschheit, die 250 Millionen Jahre bis zur Bildung eines neuen Superkontinents zu überleben, sind laut Nield äußerst gering. Er mahnt: „Unser Fortbestand auf dem Planeten, der uns hervorbrachte, wird von unserer Fähigkeit abhängen, die Wissenschaft zu unserem Schutz und zu unserer Erhaltung einzusetzen und Bedrohungen (nicht zuletzt selbst gemachte) abzuwenden.“ Den Luxus der Ignoranz können wir uns nicht mehr erlauben, denn: „Solange wir nicht ohne die Erde leben können, ist nicht die Erde Teil unserer Geschichte, sondern wir sind Teil ihrer Geschichte.“
Literaturangaben:
NIELD, TED: Superkontinent. Das geheime Leben unseres Planeten: Eine abenteuerliche Reise durch die Erdgeschichte. Aus dem Englischen von Thomas Wollermann und Gabriele Gockel. Antje Kunstmann Verlag, München 2008. 287 S., 19,90 €.
Verlag
Mehr von „BLK“-Autorin Monika Thees