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Der unbeachtete Freund

Carsten Schmidt schreibt eine Biographie über Felix Weltsch

© Die Berliner Literaturkritik, 01.06.10

Von Kristoffer Cornils

Als Max Brod nach dem Tode Franz Kafkas dessen Texte nicht wie testamentarisch festgelegt dem Feuer übergab, tat er seinem Freund wohl einen schlechten, Lesern weltweit bestimmt aber den besten Dienst. Brod veröffentlichte unter anderem Kafkas Romane „Der Proceß“ und „Das Schloß“ und legte mit seinen Arbeiten zu Kafka den Grundstein für die Erforschung des großen Oeuvres des Prager Schriftstellers. Trotz seiner Bemühungen fiel wenig von dem Ruhm Kafkas auf Brod ab, und kaum findet er heute Anerkennung für sein eigenes umfangreiches Schaffen. Brod wird immer nur eine Randfigur der Literaturgeschichte bleiben, ein nicht weichen wollender Schatten eines der größten Romanciers des 20. Jahrhunderts.

Noch trauriger erging es zweifellos Kafkas langjährigem Freund Felix Weltsch, der eine dermaßen marginale Signatur in der Kulturgeschichte des vorigen Jahrhunderts hinterlassen hat, dass er heutzutage selbst Kafka-Experten und Kennern des Prager Kreises kaum noch näher bekannt sein dürfte. Der Germanist Carsten Schmidt hat dem 1884 geborenen und 1964 gestorbenen Journalisten und Philosophen seine Dissertation in Form einer Biografie gewidmet. Die Arbeit reichte Schmidt im Jahre 2008 an der Universität Potsdam ein, der Verlag Königshausen & Neumann veröffentlichte sie dieses Jahr.

Schon der Titel zeugt von der Problematik, mit der sich Schmidt konfrontiert sah: „Kafkas fast unbekannter Freund. Leben und Werk von Felix Weltsch. Philosoph, Journalist und Zionist“ heißt seine Monographie. Die schmale Gratwanderung, über einen von Kafkas Freunden zu schreiben, ohne ihn neben dem großen Schriftsteller verblassen zu lassen, stellt sich wohl einem jeden Biographen. In der Einleitung jedoch stellt Schmidt deutlich heraus, dass er Weltsch behandeln will, „ohne ihn nur als „Freund Kafkas“ zu definieren“. Stattdessen ginge es ihm um das Porträt eines in seiner Zeit wichtigen und heute in Vergessenheit geratenen Intellektuellen.

So sehr ist Weltsch in Vergessenheit geraten, dass Schmidt für seine Arbeit erst Briefe und andere Quellen nicht nur in Tschechien und Deutschland, sondern auch in Weltsch’ späterer Heimat Israel auftreiben und katalogisieren musste, um sie überhaupt verwenden zu können. Seine Recherchearbeit ist vorbildlich und erlaubt ihm, seine Arbeit mit vielerlei Zusatzinformationen zu spicken, die sein Werk sehr anschaulich machen. Über private Korrespondenzen mit Kafka, Brod, aber auch anderen wichtigen Intellektuellen der Zeit und vor allem Angehörigen erhält der Leser einen detailgetreuen Einblick in die Kontexte und Kreise, in denen Weltsch sich bewegte und wirkte. Schmidt rutscht dabei allerdings wiederholt in irrelevante oder überflüssige Schilderungen ab: Die umfassende Auflistung von Weltsch‘ Schulnoten zum Beispiel mögen zwar davon zeugen, dass der spätere Herausgeber der zionistischen Zeitschrift „Selbstwehr“ ein gleichermaßen intelligenter wie fleißiger Schüler war, stellen allerdings nicht mehr als schnörkeliges Beiwerk dar. Von solchem gibt es zwar nicht übermäßig viel, doch wird nach und nach immer deutlicher, dass Schmidt in seinem Porträt des jüdischen Philosophen seine wissenschaftliche Distanz stellenweise vollkommen aufgibt.

Im krampfhaften Versuch, dem gebürtigen Prager eine größere Rolle zuzuschreiben, verliert sich Schmidt mancherorts in übertriebenen Apostrophen. Er konstatiert Felix Weltsch eine „Unfähigkeit zur Oberflächlichkeit“ und droht damit leider selbst in eine solche abzurutschen. Die kritische Betrachtung fällt entweder zu milde aus oder fehlt gänzlich. Es liest sich vielmehr, als wolle Schmidt über die Vielzahl an positiven Zuschreibungen den Untersuchungsgegenstand rechtfertigen. Auch eine Auseinandersetzung mit dem Werk des studierten Philosophen, wie es der Untertitel der Dissertation suggeriert, fehlt fast gänzlich – Titel werden reichlich genannt, Inhalte werden höchstens am Rande angeschnitten. Relevanter scheint Schmidt immer wieder die Kontextualisierung Weltsch‘ im „engen Prager Kreis“ und natürlich als eine Kafka nahe stehende Figur.

Die Empathie, mit der Schmidt das Leben Weltsch‘ beschreibt, entfaltet jedoch an anderen Stellen ihre Wirkung. Die Schilderungen der Flucht von Brod und Weltsch aus Tschechien hinaus gen Palästina lesen sich spannend und eindringlich. Hier vermitteln die vielen von Schmidt angesammelten Originalquellen und Zeitzeugenaussagen einen genauen und lebensnahen Eindruck in die Situation der jüdischen Intellektuellen, die dem Dritten Reich entflohen. Überhaupt zeugt Schmidts Arbeit von dem Versuch, eine Brücke zu schlagen zwischen wissenschaftlich genauer Arbeit und leichter Lesbarkeit. Dass das nicht immer aufgeht, wurde bereits gesagt, nichtsdestotrotz gelingt es dem Verfasser, die strikte Form der Biographie aufzulockern und dabei trotzdem noch klare Strukturen zu verfolgen. Die Kapitel fließen nicht nur dank ihrer stringenten Chronologie ineinander über; Schmidt weiß mit der Darstellung von Themenkomplexen und ihren Überschneidungsgebieten umzugehen. Dass insbesondere die letzten Lebensjahre wenig ergiebig zu lesen sind, mag vor allem daran liegen, dass Felix Weltsch sich nicht mehr in den aufregenden Kreisen Prags bewegte, sondern als Bibliothekar arbeitete, allerhöchstens von familiären Problemen oder Hypochondrie geplagt.

Am Ende dieser gut 80 Jahre überspannenden Biographie steht die Erkenntnis, dass Felix Weltsch durchaus ein aktiver und vielleicht auch in seiner Zeit in einem gewissen Rahmen ein wichtiger Intellektueller gewesen sein mag. Unklar ist allerdings immer noch, welchen Einfluss er wirklich auf Kafka gehabt hat und Schmidt gesteht dies auch offen ein. Weltsch bleibt ein zu kleines Rad im kulturellen Getriebe des 20. Jahrhunderts als dass, wie Schmidt es sich vorstellt, sich noch mehr Forscher sich mit seinem Leben, Werk und Wirken auseinandersetzen würden. Die Relevanz des Journalisten und Philosophen ist zu gering, seine Vita trotz einiger faszinierender Passagen wenig aufsehenerregend. So bleiben am Ende die Worte von Weltsch‘ Enkel Eli Gornstein über seinen Großvater stehen, die Schmidt seiner Dissertation voranstellte: „A great personality with a good sense of humour!“ – soviel ist nach der Lektüre „Kafkas fast unbekannter Freund“ sicher, aber auch eben nicht mehr.

Literaturangabe:

SCHMIDT, CARSTEN: Kafkas fast unbekannter Freund. Das Leben und Werk von Felix Weltsch (1884-1964). Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2010. 380 S., 48€.

Weblink:

Verlag Königshausen & Neumann


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