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Ein Abend für Ernst Blass in Berlin

Der Verleger Thomas B. Schumann hat die erste Gesamtausgabe im Literaturhaus Berlin vorgestellt

© Die Berliner Literaturkritik, 15.01.10

Von Angelika Leitzke

BERLIN (BLK) - Die Lebensgeschichte mutet an wie von einem, der immer das Türchen zum großen Glück glatt verfehlt hat: Ernst Blass, der zu den bedeutendsten Dichtern des literarischen Frühexpressionismus in Deutschland zählt, war knapp 50 Jahre alt, als er 1939 im jüdischen Krankenhaus Berlin-Weißensee an einer Lungentuberkulose starb. Zu seinem Glück. Denn der Spross eines jüdischen Kaufmanns entging somit seiner Deportation durch die Nationalsozialisten, die Blass seit 1933 ohnehin die Arbeit erschwert hatten.

Als einziger Sohn einer kinderreichen Familie wurde Blass 1890 in Berlin geboren. Blauäugig, blass und blond, ein hübscher intelligenter Knabe mit hoher Krankheitsanfälligkeit, wuchs er mit fünf Schwestern auf. Wegen seiner Neigung zu Epilepsie war er 1914 vom Kriegsdienst befreit, m it 17 Jahren schrieb er seine ersten Gedichte. Nach dem Abitur zwangen ihn die Eltern zu einem Jura-Studium, da sie von ihm die Eingliederung in die bürgerliche Welt forderten - eine Folge jener Assimiliation der Juden im Deutschen Kaiserreich, die durch „anständige“ Berufe in der christlichen Gesellschaft nicht nur toleriert, sondern auch anerkannt werden wollten. Blass studierte ab 1909 zunächst an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, vertauschte aber die Jurisprudenz bald mit Besuchen in Künstlercafés und von Vorlesungen über Philosophie, Kunstgeschichte und Literatur. 1909 lernte er im Café des Westens den fünf Jahre älteren jüdischen Schriftsteller Kurt Hiller kennen, ein Pionier des literarischen Expressionismus, der sein Talent erkannte. Über ihn kam Blass in Kontakt mit der damaligen Literaturszene Berlins, in den wichtigsten expressionistischen Zeitschriften wie Franz Pfemferts „Aktion“ oder Herwarth Waldens „Sturm“ veröffentlichet er seine Verse. Schlagartig berühmt wurde er durch seinen ersten, 1912 erschienenen Gedichtband - „Die Straßen komme ich entlang geweht“. Aus ihm las der Berliner Schauspieler und Sprecher Frank Arnold einfühlsam bei der Vorstellung der Gesamtausgabe von Blass’ Werk durch Thomas B. Schumann im Literaturhaus Berlin.

Da das Berliner Bohemien-Leben den Hypersensiblen zu sehr anstrengte, wechselte Blass 1913 zum Studium nach dem idyllischen Heidelberg, wo er Karl Jaspers, Friedrich Sieburg und Ernst Bloch sowie den Psychologen und Psychiater Arthur Kronfeld kennenlernte, der zu einem treuen Freund und Berater wurde. Die Heidelberger Jahre wurden für Blass die glücklichste Zeit seines Lebens, hier gab er ab 1914 seine von Richard Weissbach verlegte literarisch-philosophische Monatszeitschrift „Die Argonauten“ heraus, die bis 1921 in nur zehn Ausgaben sporadisch erschien und in der neben seinen Gedichten Beiträge von Walter Benjamin, Franz Werfel, Robert Musil oder Ernst Bloch vertreten waren. Nach seiner Promotion 1915 kehrte Blass nach Berlin zurück und nahm, da infolge des Krieges eine Existenz als freier Autor den finanziellen Ruin bedeutet hätte, eine Anstellung als Archivar bei der Dresdner Bank an - eine Tätigkeit, die ihren ironischen Niederschlag in einer seiner Erzählungen fand: absurd mutete dem Dichter der Gedanke an, das Geld eines Operettenstars auf die Stellen hinter dem Komma genau zu zählen, während die Inflation dem Bürger für ein einfaches Abendbrot die astronomische Summe von einer Billion Mark abverlangte. 1920 wurde er entlassen und betätigte sich dann als Feuilleton-Journalist für verschiedene Berliner Zeitungen, u. a. das renommierte „Berliner Tageblatt“.

Die zwanziger Jahre wurden seine produktivste Zeit, und seine kritisch-intellektueller Großstadtexpressionismus beinflusste den Stil des jungen Brecht, von Georg Kaiser oder Mascha Kaléko. Ab 1924 arbeitete Blass, der 1920 eine Tänzerin und Gymnastiklehrerin geheiratet hatte, von der er sich später scheiden ließ, auch als Lektor für den Verlag von Paul Cassirer. Dem berühmt-berüchtigten jüdischen Kunsthändler, der sich 1926 das Leben nahm und den französischen Impressionismus in Deutschland salonfähig gemacht hatte, gilt ein eigener Text von 1929, der in Cassirer nicht nur den „Suggestor aus Passion“ sieht, den ewigen Schauspieler, der selbst beim Tode noch ironisch sich selbst darstellt, sondern einen Mann, der wusste, was Geist und Kultur war.

Ab 1926 setzte bei Blass eine Augentuberkulose ein, die im Laufe der Jahre fast zur völligen Erblindung führte. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft verschlechterten sich auch seine Publikationsmöglichkeiten, seine Verwandtschaft emigrierte weitgehend. Blass starb verarmt, vereinsamt und vergessen, nicht eine einzige Berliner Zeitung würdigte ihn mit einem Nachruf, selbst in Exilkreisen blieb sein Tod weitgehend unbeachtet.

Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der deutsche Literatrubetrieb kaum Notiz von Ernst Blass. Die 1980 von Thomas B. Schumann angeregte und mit einem Nachwort versehene Gesamtausgabe der Gedichte, die 1980 im Hanser Verlag München-Wien erschien, fand kaum Beachtung – im Gegensatz zu den verschiedenen Bemühungen seit 2000, den Berliner jüdischen expressionistischen Dichter Jacob van Hoddis (1887-1942), der ein Opfer der nationalsozialistischen Todesmaschinerie wurde, wieder zu entdecken. 2009 hat Thomas B. Schumann eine Werkausgabe in drei Bänden in der Kölner Edition Memoria herausgebracht. Der Kölner Literaturwissenschaftler und Jounalist, Jahrgang 1950, war 1991 Initiator der gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung vergessener und exilierter Literatur e. V., deren Vorsitzender er ist. 1994 gründete er den Verlag Edition Memoria für Exilliteratur, in dem zahlreiche Werke verfemter, verfolgter oder vergessener Autoren veröffentlicht worden sind. 1981 erhielt er den Kulturförderpreis der Stadt Hürth.


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