BRITSCHGI, JORRIT (Hrsg.): Die 40 grössten Meister der indischen Malerei (1100-1900). Verlag Museum Rietberg, Zürich 2011. 97 S., 21 €. ISBN: 978-3907077511
Von Behrang Samsami
„Er hat auf einem Reiskorn eine Poloszene gemalt: Zwei Reiter stehen auf einem Feld, ein dritter galoppiert aus der Ecke, während ein vierter von seinem Lakai einen Schläger gereicht bekommt. An beiden Enden des Platzes sind zwei Torpfosten und folgender Doppelzeiler geschrieben: Ein ganzer Getreidespeicher liegt in einem Korn. Eine ganze Welt in einer Blase.“
Diese kurze Beschreibung von Bayazid Beg Turkman, der im 16. Jahrhundert bei den Mogul-Kaisern Humajun (1508-1556) und seinem Sohn Akbar (1542-1605) tätig war und als Verfasser eines Berichts über seine Pilgerfahrt nach Mekka bekannt ist, verdeutlicht, was neben der persischen auch die indische Malerei charakterisiert: Die Werke sind raffiniert aufgebaut und sehr präzise – und das auf einer kleinen Fläche. Ihre Sujets stammen vor allem aus zwei Bereichen: zum einen aus Mythologie und Religion, und zum anderen aus dem höfischen Leben. Sie dienen der Darstellung von Gottheiten wie von Herrschern und ihrem Umfeld.
Trotz der thematischen Ähnlichkeiten, weiß man hierzulande wenig über die Malereigeschichte Indiens; ganz zu schweigen von den verschiedenen historischen Epochen und ihren Einflüssen auf die künstlerischen Entwicklungen und Stile. Das Zürcher Museum Rietberg hat nun dagegen ein Zeichen gesetzt und mit der Ausstellung „Der Weg des Meisters“ (1. Mai bis 21. August 2011) die Möglichkeit geschaffen, die Kunst des Subkontinents der Jahre 1100 bis 1900 anhand von rund 240 Kunstwerken – geschaffen von über 40 Künstlern – erstmals vereint zu besichtigen und kennen zu lernen.
Dabei verfolgt die Schau, die anschließend vom 26. September 2011 bis zum 8. Januar 2012 im „Metropolitan Museum of Art“ in New York zu sehen sein wird, mehrere Absichten: Sie will eine Übersicht über 800 Jahre Malerei schaffen und Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Künstlern und Stilen aufzeigen. Sie zielt aber vor allem darauf, die indische Malereigeschichte nicht als eine Entwicklung höfischer und regionaler Stile darzustellen, sondern sie anhand der Namen einzelner Künstler und ihrer Werke zu schreiben.
Dass dieses Vorhaben nicht so einfach zu realisieren war, machen die Einleitungstexte in dem zur Schau erschienenen Ausstellungskatalog „Die 40 größten Meister der indischen Malerei“ deutlich. In Indien, so wird betont, fehlten im Gegensatz zu Europa und China zu den jeweiligen Malern oft wichtige Quellen wie Biografien oder kunstgeschichtliche Traktate. Künstlerische Leistungen seien meist in der Anonymität einer Familienwerkstatt oder eines Ateliers am Herrscherhof entstanden. Die Ausstellung „Der Weg des Meisters“ und der Katalog zeigen jetzt die Ergebnisse jahrzehntelanger akribischer Forschung in diesem Bereich: Durch die Auswertung von Aufschriften, Signaturen und anderer schriftlicher Quellen aller Art sowie stilistische Studien sei es gelungen, den Kreis namentlich bekannter oder durch ihr Oeuvre individuell erfassbarer Künstler ständig zu vergrößern.
So knapp der Katalog auch ist, mit seinen gut 100 Seiten bietet „Die 40 größten Meister der indischen Malerei“ einen ersten, faszinierenden Einblick in das Leben und Werk von Künstlern, die in Europa noch der großen Entdeckung harren. 72 Abbildungen ausgewählter Arbeiten illustrieren die kurzen Texte, die die Maler vorstellen. Besonders informativ und dicht geschrieben ist der Essay „Die Welt der indischen Maler“, der den Biografien vorangestellt ist. In mehreren Abschnitten erhellt er die Hintergründe, klärt den Leser etwa über die Ateliers und Familienwerkstätten, die Künstler und ihre wohlhabenden Förderer oder die erstaunlich große Mobilität der in Indien tätigen Maler auf.
Der erste Teil (S. 16-23) des Bandes befasst sich mit den Künstlern, die im Zeitraum von 1100 bis 1550, also vor der Herrschaft der Moguln in Indien, tätig waren. Als Beispiele für diese buddhistisch geprägte Kunst seien der „Mahavihara-Meister“ oder die „Meister des verstreuten Bhagavata Purana“ genannt. Die zweite, umfassendste Gruppe (S. 24-61) widmet sich den Künstlern, die an den Höfen der Moguln gearbeitet haben. Bedeutsam sind hier die aus Persien eingewanderten Maler, da sie die Entwicklung der Mogul-Werkstätten in Indien anstießen. Zu diesen zählen Abd al-Samad (tätig ca. 1535-1600), Farrokh Beg (tätig ca. 1580-1619) oder auch Basawan (tätig ca. 1565-1598).
Ihre Werke befassen sich in erster Linie mit dem höfischen Leben der Moguln. Sie zeigen die Kaiser auf Jagdausflügen, Neujahrsempfängen und bei Schlachten, die sie gegen andere lokale Konkurrenten fochten. Überraschend und spannend zugleich ist hier die Beschäftigung dieser Meister und ihrer Nachfolger mit europäischen Kunstwerken, die als Gastgeschenke westlicher Gesandter ihren Weg nach Indien fanden.
Direkt von den persischen Malern und deren Nachfolgern beeinflusst wurde die Malerei in Bundi und Kota (S. 62-69), die Ende des 16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts entstand. Weitere Beispiele für Kunst aus Rajasthan stellen die Werke der Mewar-Maler (S. 70-82) dar, die für den Zeitraum vom frühen 17. Jahrhundert bis ins späte 19. Jahrhundert belegt ist. Die letzte Gruppe schließlich bilden die Arbeiten (S. 83-101) aus der Region Pahari (im äußersten Nordwesten Indiens), die ebenfalls aus der Zeit vom 17. bis ins 19. Jahrhundert erhalten sind.
Der Katalog macht deutlich, welch großen Einfluss der jeweilige (fremde) Machthaber auf die Kunst in Indien hatte. Besonders gut zu verfolgen ist dies anhand der Herrschaft der turkstämmigen Moguln, mit denen die persische Malerei ihren Einzug auf dem Subkontinent hielt und die die indische Kunst anschließend stark prägte. Als die Moguln dann im Laufe des 18. Jahrhunderts an Macht verloren und andere, lokale Herrscher erstarkten, kam es ebenfalls in der Malerei zu Veränderungen: „Anstelle der relativ kohärenten Stile, die im 16. und 17. Jahrhundert durch große, von den Kaisern in Auftrag gegebene Illustrationsprojekte begünstigt wurden, zeichnete sich diese Phase der indischen Malerei durch höchst unterschiedliche Werke aus.“
Das Engagement der Europäer in Indien hinterließ ebenfalls seine Spuren in der Kunst: Beamte der britischen „East India Company“ waren in der Frühen Neuzeit in den unterschiedlichen Regionen des Subkontinents tätig und eröffneten den dortigen Künstlern neue Betätigungsfelder. Ab dem 19. Jahrhundert wuchs zudem der Einfluss der Ölmalerei und ab ca. 1850 auch der einer modernen technischen Erfindung: „Die indischen Maler waren auf den Einzug der Fotografie an den Höfen nur ungenügend vorbereitet und die schnell verfügbaren und detailgetreuen Fotos läuteten das Ende der traditionellen Malerei ein.“
Das Verdienst der Ausstellung und des schmalen Katalogs ist es, die hierzulande bisher wenig bekannten Künstler, die zwischen 1100 bis 1900 in Indien tätig waren, einem breiteren Publikum vorzustellen: „Heute begreifen wir die indischen Maler nicht mehr als anonyme Handwerker, sondern als künstlerische Individuen, die zwar innerhalb eines Ateliers oder eines Auftragsverhältnisses tätig waren, aber dennoch über die Freiheit verfügten, persönliche Zeugnisse ihres Könnens und Empfindens zu schaffen.“ Zum anderen gelingt es, die Vielfalt und den Wandel in der Malerei des Subkontinents anhand der präsentierten Werke zu unterstreichen. Aus Beidem wird schließlich deutlich, was die Kunst aus Indien besonders auszeichnet: Einerseits das Bestehen auf eigenen künstlerischen Traditionen, andererseits aber auch große Offenheit und die Aneignung fremder Kulturtechniken.
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