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Der weite Weg in die neue Welt

Anya Ulinich hat mit „Petropolis“ ein hoffnungsvolles Debüt geschrieben

© Die Berliner Literaturkritik, 12.01.09

 

Für Sascha läuft das Leben nicht eben ideal. Sie sitzt in einem gottverlassenen Nest in Sibirien, in einer hässlichen kleinen Stadt mit dem elenden Namen Asbest 2. Sie ist Jüdin, sie ist schwarz, ihr Vater haut ab, als sie zehn Jahre alt ist und obwohl von ihrer Zukunft noch nie wirklich viel in Sicht war, macht Sascha ziemlich bald jede Aussicht darauf zunichte und wird schwanger mit 15.

Nicht, dass eine Sascha Goldberg darüber den Kopf verlieren würde. Pragmatisch, fast stoisch nimmt diese Heldin hin, was Autorin Anya Ulinich ihr aufbürdet. Sascha, so scheint es, trottet durch ihr Leben, dem Schicksal ewig hinterher. Doch je älter sie wird, je weiter sie kommt auf ihrer Reise durch Russland und bald durch die USA, desto mehr wird sie zum Motor ihrer eigenen Welt. Es tut gut, als Leser diesen Weg mit ihr zu gehen. Denn wenn eine wie Sascha das schafft, dann kann es jeder schaffen: sich irgendwann dagegen zu entscheiden, ein Opfer der eigenen Geschichte zu sein.

Saschas Geschichte ist die eines Mädchens, das jahrelang auf der Suche nach einem Zuhause ist. Dieses Zuhause, das wird schnell klar, ist kein Ort. Vor allem nicht Asbest 2, wo Menschen in Tonnen leben und wo Sascha nicht einmal auf der Kunstschule lernt, ihr Leben zu skizzieren. Ihre Wurzeln sind vielmehr Menschen: zuallererst ihr Vater, der sich nach Amerika abgesetzt hat und den sie finden will, irgendwie.

Was auf diesen Entschluss folgt, nämlich Saschas Odyssee durch die Vereinigten Staaten, ist nur aus der Vogelperspektive komisch. Zunächst lässt sie ihre Tochter zurück in einem Land, das zu Grunde geht wie einst Petropolis: Es verschwindet nicht und stirbt doch. Sascha dagegen wird Katalogbraut und bald moderne Sklavin einer wohlbetuchten amerikanischen Einwandererfamilie. Und sie hat Glück: Immer wieder begegnen ihr auch ein paar wenige Menschen, an denen sie sich anlehnen kann. Also geht Sascha diesen Weg, der sie schlussendlich doch noch vor eine Wohnungstür in Brooklyn führt, wo ihr Vater längst eine neue Familie gegründet hat. Doch der Mann, den sie dort findet, ist niemand, an den man sich anlehnen könnte. Als Sascha das begreift, ist sie nicht mehr das Mädchen, das sich in Asbest 2 in den Bus gesetzt hat. Sie schwankt ein wenig, kann es aber schließlich doch: aus eigener Kraft stehen.

Ein junger Roman mit einer jungen Heldin, die erwachsen wird: Die 35-jährige Ulinich hat ein hoffnungsvolles Debüt geschrieben, das erstklassig unterhält, allerdings kaum über sich hinausweist. Ulinich sucht wohl den Anschluss an jene neueren amerikanischen Autoren, die sich mit eigenen und fiktiven Wurzeln in der alten Welt auseinandersetzen. Die Vorlage dafür findet sie in ihrer eigenen Biografie: Ulinich kam wie ihre Heldin erst als junges Mädchen in den USA an. Allerdings reicht ihr Stil nicht heran an die mit Leichtigkeit gewebte Tiefe eines Jonathan Safran Foers oder das grandiose Erzählen eines Jeffrey Eugenides. So stark wie er gerne wäre, wird Ulinichs Erstling demnach nie. Doch „Petropolis“ ist auch eine Nummer kleiner noch ein lohnendes Buch: poetisch und doch stringent und mit intelligentem Humor geschrieben, durchsetzt mit einprägsamen Szenarien und originellen Ideen und gebaut auf den gar nicht so zierlichen Schultern einer Heldin, die sich ihren eigenen Roman nun wirklich verdient hat.

Von Moni Münch

Literaturangaben:
ULINICH, ANYA: Petropolis. Die große Reise der Mailorder-Braut Sascha Goldberg. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 219 S., 14,90 €.

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