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Der zerrissene Sohn

Zehn Jahre nach dem Tod Clemens Eichs sind nun seine „Gesammelte Werke in zwei Bänden“ erschienen

© Die Berliner Literaturkritik, 22.12.08

 

Clemens Eich starb 1998 an den Folgen eines Unfalls, er wurde nur vierundvierzig Jahre alt. Zehn Jahre später sind nun seine Werke in zwei Bänden erschienen: Gedichte, ein Schauspiel, Kurzgeschichten, ein Roman und ein fragmentarischer Reisebericht. Insgesamt etwa 750 Seiten. Man erfährt vom Herausgeber Ulrich Greiner, dass Clemens Eich als Schauspieler in Landshut, Frankfurt und Wien engagiert war, dass 1980 der Gedichtband „Aufstehn und gehn“ erschienen ist, 1987 der Kurzgeschichtenband „Zwanzig nach drei“ und 1995 der Roman „Das steinerne Meer“.

Clemens Eich war der Sohn zweier bedeutender Autoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Ilse Aichinger und Günter Eich. Ihnen hat er seine Erstveröffentlichung gewidmet, aus ihrem großen Schatten ist er nie herausgetreten, noch in dem postum erschienenen Bericht von seinen Georgienreisen wird er im fernen Tbilisi von Kennern der deutschen Literatur zuerst auf seine Eltern angesprochen. Er verzeichnet es mit einiger Resignation. Es war für ihn offenbar schwer, ein Sohn zu sein.

Ob die neue, schöne Ausgabe ihn als wichtigen Schriftsteller erweisen wird, wie sein Herausgeber hofft, muss dahingestellt bleiben. Die Kurzgeschichten – die meisten sind wirklich kurz – zeigen ihn als jemand, der es vermag, existentielle Unsicherheiten zur Sprache zu bringen, als einen späten Kafka-Adepten, als jemanden der sich bei Rimbaud auskennt, einen, dem Alfred Kubins gespenstische Zeichnungen nahe sind, wobei ihm durchaus Funde gelingen: Untergangsphantasien, in denen er versucht, der eigenen Person inne zu werden: „Ich beginne zu merken, was ich meine“, beginnt eine dieser Geschichten und später heißt es darin „Ich beginne zu merken, was ich meine, ohne zu merken, wer ich dabei bin.“ Und schließlich, steht da als letzter Satz „Ich beginne zu wollen, was ich bin.“ Drei abstrakte Sätze und so etwas wie ein Lebenslauf. In diesen Geschichten, wie auch in der späteren Prosa sieht man einen Stilisten am Werk, der seine Sätze oft so lange durchknetet, bis das Brot, das sich daraus backen lässt, steinhart geworden ist, einen Autor, der seinen Beschreibungen ein Höchstmaß an Genauigkeit abringen will – und der sie dabei oft überfordert.

Es ist folgerichtig, dass sein Roman „Das steinerne Meer“ heißt. Das ist eine wilde Gegend in den Alpen, Sehnsuchtsort des Halbwüchsigen Valentin, der bei seinem Großvater Michael aufwächst, in irgendeinem jener verlorenen Gebirgskaffs, wo sich alles auf die tägliche harte Arbeit bezieht, die Leute böse sind oder mindestens gleichgültig und menschliche Begegnungen voll unterdrückter Sexualität und Gewalt. Josef Winkler hat in seiner Alpensaga ähnliche Verhältnisse geschildert, aber ungleich weitläufiger, psychologisch genauer. Bei Eich sterben die Figuren an der Lakonie der Sätze. Hauptsätze, Behauptungen, unterbrochen immer wieder von räsonierenden Einschüben, die einen Literaten in einer unpassenden, urtümlichen Umgebung zeigen, die verdammt zu sein scheint, ohne Chance, aus einem Kreislauf von Verhängnissen auszubrechen. Erst ganz am Ende geht Valentin weg. Nach dem Tod des Großvaters, von dem wir immerhin erfahren, dass er tief in düstere Taten während der Nazizeit verstrickt war. Das wird in Rückblenden des 1963 spielenden Romans erzählt. Manche Kapitel sind von großer Eindringlichkeit, anderen fehlt die Luft zum atmen, weil sie sich die Abschweifungen verbieten, die auch ein so konzentrierter Text braucht. Eich hat sehr lange an diesem Roman gearbeitet, vielleicht zu lange. Für seine Prosa gilt, was Ingeborg Bachmann über die ihre schreiben wollte: „Todesarten“. Es ist eine finstere Welt, aus der sich Valentin mit solcher Mühe befreit. Als Motto hat Eich einen der paradoxen Sätze von Nestroy gewählt: „Ich möchte mich einmal mit mir selben zusammenhetzen, nur um zu sehen, wer der Stärkere is’, ich oder ich.“

Das war Eichs Problem: dies mit sich selbst stets uneinige Ich, gleich als hätte die Notwendigkeit des Brotberufs, sich stets als ein anderer zu zeigen, übergegriffen auf das, was er doch eigentlich wollte: mit sich selbst identisch sein. Das gilt noch für das Georgien-Buch, Frucht mehrerer Reisen in eine ganz fremde Welt, die sich weigert, ihr Anderssein preiszugeben: Eich kann dies nur erbittert und fragend konstatieren. (Am Rande: läsen Politiker Bücher, aus dem über Georgien könnten sie lernen, wie absurd es ist, dies Land am Rande Asiens sich als Mitglied der Europäischen Union und der Nato vorzustellen.)

Wenn Eich so etwas wie ein literarisches Nachleben außerhalb einer ehrenvollen Gesamtausgabe bevorsteht, dann in den Gedichten, unter denen sich einige sehr gute befinden. Und die besten haben immer mit dem Nestroy-Spruch zu tun wie dieses mit dem Titel „Als ich dich umbrachte, Indianerbruder“:

Wir mit den Fischerstiefeln

Im Uferwasser,

haben mit uns gebrochen,

bevor es uns gab.

Mit den Brombeersträuchern

Schlinge ich mich um dich,

mit dem Würgegriff

meiner Hingabe

halte ich zu dir,

deine Haare sind

naß und schwarz

das Weiße in deinen

Augen liebt

deinen Bruder,

mich.

Eines der Schauspiele Nestroys heißt „Der Zerrissene“. So einer ist Eich wohl gewesen – aber nicht als Darsteller einer Farce, sondern als Person, die sich gegen einen dunklen Horizont nur wenig abhebt. Wenn der Vorhang gefallen, die Rolle zu Ende ist.

Literaturangaben:
EICH, CLEMENS: Gesammelte Werke in zwei Bänden. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 397 / 362 S., 29,90.

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