Jean-Claude Bourgueil, französischer Spitzenkoch und Inhaber eines der wenigen, mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten deutschen Restaurants, hat sich auf die Suche nach erlesenen deutschen Gerichten gemacht, die Lust auf mehr machen. Bourgueils Ansinnen ist es nicht, mit außergewöhnlichen Rezeptvorschlägen zu punkten, sondern er versucht vielmehr, die Tradition deutscher Küche wieder aufleben zu lassen. Nach dem Motto der „Dekonstruktion und Rekonstruktion“ hat er die traditionellen Gerichte in Ihre geschmacklichen Einzelteile zerlegt, diese zuweilen variiert und dann in ungewohnter Form wieder zusammengesetzt. Am eindrucksvollsten kann man dies in den Fällen nachvollziehen, in denen neben Bourgueil’s Variation der deutsche Klassiker auftaucht. Gemeinsam mit Thomas Ruhl, einem der besten Food-Fotografen weltweit, hat der Franzose das Kochbuch „Typisch Deutsch – Neues aus der klassischen regionalen Küche“ entworfen. Das Beste: Die meisten Gerichte sind einfach genug, um sie nachzukochen! Der Haken: Neunundsechzig Euro sind schon ein stolzer Preis für ein Kochbuch. Aber es lohnt sich.
Das deutsche Institut für Koch- und Lebenskunst und kürte „Typisch Deutsch“ zum Kochbuch des Jahres 2007 und schrieb in seiner Urteilsbegründung, Bourgueils Huldigungen der deutschen Küche sei „ein Meilenstein im Bemühen der deutschen Spitzenköche, deren Kochkunst bereits größten Ruf genießt, nun auch ihrer Nationalküche Weltgeltung zu verschaffen“. Diese Auszeichnung hat ihre Berechtigung, verleiht Bourgueil schließlich den Klassikern regionaler deutscher Küche ein neues Gewand und präsentiert so umwerfende und ästhetische Kreationen deutscher Esskultur.
Auf seiner Suche nach den einfallsreichen und sinnlichen Gaumenfreuden der deutschen Küche stellte Bourgueil ein Süd-Nord-Gefälle des savoir vivre fest. Während in Baden, Baden-Württemberg und Bayern das festhalten an Traditionen zu einem Vorteil im kulinarischen Wettstreit geführt habe, sei der Modernisierungsdruck mit seinen asketischen Anforderungen im Norden Deutschlands deutlich zulasten der dort situierten Küche gegangen. Kulinarisches Genießertum, so der Meisterkoch in seinem Vorwort, beginne im Rheinland und folge dann dem „rebengesäumten Flusslauf“ nach Süden. Diesen einleitenden Worten lässt Bourgueil einen historischen Abriss des Werdegangs der deutschen Ess- und Trinkkultur folgen, der beim mönchischen Weinbau im Mittelalter seinen Ausgang nimmt und bis in die Küche der Wohlstandsgesellschaft reicht. Und dann geht er auch schon in die Vollen.
Er beginnt mit der herzhaften deutschen Bauernküche, in der man solche vernachlässigten Leckereien wie den klassischen Pichelsteiner Eintopf, Ochsenmaulsalat oder die Martinsgans findet. Anschließend geht es auf die Hatz und Bourgueil präsentiert uns auserlesene Köstlichkeiten aus Wiese, Feld und Wald. Gefülltes Rehmedaillon, Münsterländer Wildtaube oder Kaninchen an Zimtsoße sind hier nahezu kulinarische Langeweiler und müssen sich in Erscheinungsbild und Raffinesse Gerichten wie dem „Gelierten Eintopf von grünen Linsen mit Rehfilet und Salat“ unterordnen. Den Wildgerichten folgen wuchtige 50 Seiten Fisch & Co., was insofern nicht verwundert, als dass die deutsche Fluss- und Seenlandschaft durchaus als üppig bezeichnet werden kann, nicht zu vergessen die Küsten an Nord- und Ostsee. Und auch hier finden sich fabelhafte Variationen deutscher Urgerichte, wie Labskaus, Steinhuder Zander oder die Nordseescholle. Nahezu verrückt muten jedoch seine Aalkompositionen an, die den vor Fett triefenden deutschen Räucheraal ganz schnell vergessen machen. Haben Sie schon einmal was von Aalkrapfen gehört? Nein? Dann wären sie gewiss auch nicht auf die Idee gekommen, Hamburger Aalsuppe mit gepökelten Entenkeulen zu versehen.
Sodann heißt es Abschied nehmen von den deutschen Gewässern und in die deutsche Brauhausstube einzukehren. Mal abgesehen von der Schlachteplatte oder dem Strammen Max tauchen hier Gerichte auf, die wohl die meisten Touristen aufgrund ihrer unaussprechlichen oder anzüglichen Namen meiden würden. Aber schließlich befindet man sich ja im Brauhaus, da geht es zünftig zu. Und auch wenn hier wieder die deftige Küche Einkehr erhält, so kommt sie in Bourgueils Abwandlungen doch nur halb so schwer und doppelt so ansehnlich daher. Doch den absoluten Hammer hat sich der französische Gaumenkenner für das Finale aufbewahrt. Dass der Franzose ein Leckermaul und den süßen Freuden zugeneigt ist, ist bei weitem nichts Neues. Doch den unumstößlichen Beweis liefert Bourgueil in „Typisch Deutsch“. Auf sage und schreibe neunzig Seiten geht er den süßen Verlockungen der deutschen Küche auf den Grund. Verschiedenste Kuchen- und Kompottsorten, Cremes, Pfannkuchen und Obstkreationen bilden einen sagenhaften Höhepunkt französisch-deutscher Küche. Die einzelnen Kapitel sind immer wieder mit kurzen Einschüben versehen, die in die deutsche Kulinarik und Esskultur entführen. Dort findet sich dann ein Hohelied auf den deutschen Wein, ein Lob auf die deutsche Backkunst oder eine Hommage an die deutsche Wurst.
Eine Menge kulinarischer Köstlichkeiten sind mit dem Einzug der Moderne in Vergessenheit geraten. Viele Schätze der deutschen Küche gehen mit dem Aussterben einer Generation, die noch Schlachtefeste feierte und den dazugehörigen Schnaps selbst brannte, verloren. Der französische Spitzenkoch Jean Claude Bourgueil hat einige dieser sinnlichen Kulturgüter nicht nur aufgespürt und festgehalten, sondern weitergedacht und zu wahren Augen- und Gaumenfreuden perfektioniert. Wie schrieb schon Heinrich Heine in „Deutschland, ein Wintermärchen“: „Die deutsche Gans, lieb Mütterlein, ist gut, jedoch die Franzosen, sie stopfen die Gänse besser als wir, auch haben sie bessere Saucen!“ „Typisch Deutsch“, ein faszinierendes Kochbuch der traditionellen deutschen Regionalküche, versehen mit französischem Esprit.
Von Thomas Hummitzsch
Literaturangaben:
BOURGUEIL, JEAN-CLAUDE / RUHL, THOMAS: Typisch Deutsch. Neues aus der klassischen regionalen Küche. Fackelträger Verlag, Köln 2007. 312 S., 69 €.
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