Niermann, Ingo / Wallasch, Alexander: Deutscher Sohn, Blumenbar Verlag, Berlin 2010, 320 Seiten, 19,90 €
Von Susanna Gilbert-Sättele
Stabsunteroffizier Toni sitzt in seinem Multifunktionskippsessel, nuckelt an der Petflasche mit Billigbier und denkt an Sex. Das entzündete Loch in seinem Bein stinkt und schmerzt höllisch. Toni wartet auf seinen äthiopischen Pfleger Kanell, der ihm neue Schmerzmittel gibt, Novalgin, Morphium „und wenn es gar nicht mehr auszuhalten ist, Dipidolor“. Den Lidl-Laptop auf den Knien klickt sich der 28-jährige Patient durch das Angebot der Pornoseiten. Manchmal nickt er ein und träumt von schwarzroten Wellenbergen und blutigen Sturzbächen.
Das Szenario, das Ingo Niermann und Alexander Wallasch in ihrem gemeinsamen Roman „Deutscher Sohn“ entwerfen, erinnert eher an eine Provinzposse als an ein Heldenepos. Das ist beabsichtigt, denn Toni ist das Opfer eines Krieges, dessen Sinn niemand so recht erkennen kann. Nachdem er in Kunduz von einem als Zitronenhändler verkleideten Mann schwer verwundet worden ist, vegetiert er dahin und langweilt sich tödlich. Abwechslung bieten nur Kanells Visiten und ein gelegentlicher Ausflug zu „Biersozi“ oder dem liebenswerten Messie Shiloh.
Die hin und wieder stattfindenden Besuche beim Therapeuten im Bundeswehrkrankenhaus, der ihn mittels einer neuen Behandlungsmethode aus den USA in Trance versetzt, helfen nicht wirklich weiter, rufen aber weitere Halluzinationen vom großen „Bäng“ hervor, der Toni nicht nur umgehauen, sondern auch aus der Gemeinschaft der Kameraden katapultiert hat. Noch weniger hilfreich sind die Besuche der Deutschreligiösen, jener anachronistischen volkstümelnden Gemeinschaft, in der Toni aufgewachsen ist.
Erst als die Praktikantin Helen die Namensgleichheit mit Charlotte Roches Herrin der „Feuchtgebiete“ ist nicht zufällig auftaucht und sich sogleich ohne Rücksicht auf Bierfahne und eitrige Wunde gierig auf ihn stürzt, ist der Trübsinn wie weggeblasen. Analverkehr und Sex zu dritt, Avokadokerne, Penisgurte und sonstige Obszönitäten befreien den triebgeplagten Invaliden aus seinem melancholischen Masturbationsdasein.
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Es gibt überzeugende Passagen und sprachliche Höhepunkte in dem Roman, und allein die Absicht, das Kriegstrauma deutscher Soldaten zum Thema eines Buches zu machen, ist lobenswert. So liest sich der Anfang der Geschichte überaus fesselnd. Bald aber kann sich der Leser des Eindrucks nicht erwehren, dass hier möglichst viel von dem hinein gepackt werden soll, was sich gut vermarkten lässt: Fußball, Krieg, Sex und deutscher Heldenwahn, Wagner und Walhalla (auf dem Müllberg von Tonis Heimatort). Am Schluss geben die Autoren ihren ratlosen Lesern auch noch den ebenso banalen wie überflüssigen Tipp mit auf den Weg, „immer distanziert und respektvoll gegenüber allem Fremden“ zu sein.
Weblink: Blumenbar Verlag