KOPENHAGEN (BLK) – Inger Christensen, Dänemarks bedeutendste Dichterin der Gegenwart, ist tot. Die immer wieder für den Literaturnobelpreis gehandelte Autorin starb bereits am Freitag (2. Januar) im Alter von 73 Jahren, wie ihr dänischer Verleger Gyldendal am Montag (5. Januar) mitteilte. Zu ihrem insgesamt recht schmalen, weitgehend auch auf Deutsch publizierten Werk gehören neben Gedichtbänden auch Essays, Theaterstücke, Hörspiele und Romane wie Werke „Azorno“ und „Das gemalte Zimmer“. Ihren Ruf als eine der wichtigsten europäischen Lyrikerinnen unserer Zeit begründeten drei Gedichtsammlungen, die in ihrer dänischen Heimat 1969 („Det“), 1981 („Alphabet“) und 1991 („Sommerfugledalen“) erschienen.
„Durch ihr Werk ist Dänisch zu einer Weltsprache geworden“, würdigte Suhrkamp-Mitgeschäftsführer Thomas Sparr am Montag (5. Januar) in Frankfurt die Verstorbene. Christensen sei für Dänemark im 20. Jahrhundert das gewesen, was Hans Christian Andersen für das Land im 19. Jahrhundert war. Sparr sprach von einem einzigartigen Werk der Dichterin mit ganz großer Strahlkraft, das Strömungen aus der Naturwissenschaft, der Mathematik und dem Alltag aufgenommen habe. Suhrkamp hat die beiden Bände „Das gemalte Zimmer“ und „Das Schmetterlingstal“ veröffentlicht.
Christensen erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen – unter anderem den Nordischen Preis der Schwedischen Akademie, den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur und den mit 50.000 Euro dotierten Siegfried-Unseld-Preis des Suhrkamp Verlags. Christensens Werk wird der experimentellen Lyrik zugerechnet. Das poetische Formulieren betrieb sie mit einem Sprachsystem nach mathematischen oder musikalisch-kompositorischen Regeln.
Als ein Höhepunkt ihres Schaffens gilt der Sonetten-Zyklus „Schmetterlingstal. Ein Requiem“. Dabei verwendet Christensen Schmetterlinge als Chiffre für Schönheit, aber auch Verletzbarkeit und Vergänglichkeit, um existenzielle Aspekte von Dasein und Tod zu thematisieren. Um die Wiederholung von Werden und Vergehen und die Metamorphose als Charakteristikum des Lebens zu betonen, wählte die Dichterin für „Schmetterlingstal“ die Sonettform, dabei bildet der Schlussvers jeweils den Anfang des folgenden Sonetts.
Inger Christensen wurde am 16. Jan. 1935 in Vejle an der Ostküste von Jütland geboren. Sie machte 1954 Abitur, studierte dann ein paar Semester Medizin, Chemie und Mathematik. Schließlich arbeitete sie als Lehrerin, um Zeit fürs Schreiben zu haben. In den 1960er Jahren begann sie mit ihrer literarischen Arbeit.
An Christensens Lyrik fasziniert nach Ansicht von Kritikern der Gegensatz zwischen streng logischer Form und sprachgewaltiger Bilderwelt. „Das Verblüffende und Wunderbare an den hierbei entstehenden Gedichten ist, dass sie trotz ihrer mathematischen Formidee an keiner Stelle Gefahr laufen, sich in experimenteller Demonstration zu verkrampfen, sondern sich stets zu faszinierenden poetischen Organismen verbinden“, schrieb Michael Braun einmal in der „Frankfurter Rundschau“. (dpa/mir)