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Erschütterndes Zeugnis: „Tage der Angst"

Daniele Mastrogiacomo in Gefangenschaft der Taliban

© Die Berliner Literaturkritik, 17.05.11

MASTROGIACOMO, DANIELE: Tage der Angst. Entführt von den Taliban. Aus dem Italienischen von Judith Elze. Tropen bei Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010, 200 S., 17,95 €.

Von Angelo Algieri

„Ich sehe, wie etwas in Sayeds Hals hineinsticht, sehe einen sauberen Schnitt, ohne Spasmus, Stöhnen, Schreie, Stöße. Die Szene spielt sich in eisiger Stille ab. Dann wieder die Hand des einen Taliban, die sich an dem Hals zu schaffen macht. Sayed bewegt sich schon nicht mehr, sein Kopf wird abgetrennt und auf einen Baumstumpf gelegt, das Messer an seinem weißen Gewand gereinigt.“

Diese erschreckende Passage entstammt nicht aus einem Schauerroman. Diese Passage ist entnommen aus dem Buch „Tage der Angst. Entführt von den Taliban“ des italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo, der für die römische Tageszeitung „La Repubblica“ schreibt. Er wurde zwischen dem 5. und 20. März 2007 von der Taliban entführt – mit ihm der oben erwähnte afghanische Fahrer Sayed Agha sowie sein journalistischer, afghanischer Kollege und Dolmetscher Ajmal Naqshbandi.

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Mastrogiacomo hatte vor, Mullah Dadullah zu interviewen. Er war ein aufstrebender und brutaler Führer des militärischen Flügels der Taliban. Dadullah beherrschte die südlichen Provinzen Afghanistans – darunter Helmand und Kandahar –, die als Kernland der Taliban gelten. Der einbeinige Dadullah kommt im Mai 2007 ums Leben.

Ajmal organisierte für Mastrogiacomo ein Interviewtermin mit Dadullah – wie er es zuvor mit britischen Journalisten von Channel 4 und dem englischsprachigem Sender Al Jazeera erfolgreich getan hatte. Doch am 5. März kam es anders: Der ortskundige Fahrer Sayed brachte die beiden Journalisten zu dem vereinbarten Platz in der Nähe von Laschkargah in der südlichen Provinz Helmand. Schon bald wurden sie von der Taliban umzingelt und verschleppt. Mastrogiacomo glaubte zunächst an ein Versehen. Doch er musste feststellen, dass er seine Fuß- und Handfesseln länger tragen musste. Die Taliban beschuldigten sie zunächst der Spionage, weswegen sie zum Tode verurteilt wurden. Der italienische Journalist schildert eindrücklich, wie die drei Entführten von den Taliban gedemütigt und geschlagen wurden.

Doch Mastrogiacomo gelang in dieser Gefangenlage – wie kaum einen ausländischen Reporter zuvor – die Verhaltensweisen und Organisationsstrukturen der Taliban aus nächster Nähe zu beobachten. Für ihn, immer noch unerklärlich, das schnelle Umschlagen von Launen und Vereinbarungen. So wurde den Entführten des Öfteren die Freilassung versprochen und nicht gehalten. Zu Recht bezichtigt sie Mastrogiacomo als Lügner. Auch ihr Verhalten ist von der Laune geprägt. Die Taliban können zwar freundlich sein, doch können sie auf einmal auch gewalttätig werden.

An dem Tag, als die Taliban Sayed den Kopf abgeschlagen hatten, haben Entführte und Entführer gemeinsam gefrühstückt – es endete mit einer verspielten Orangenschalenschlacht. Dabei wurde viel gelacht. Im nächsten Moment jedoch, wird die Kamera angemacht und Mastrogiacomo sah sich umzingelt von bewaffneten Taliban. Er musste auf Italienisch und Englisch die Forderungen über Lösegeld und Gefangenenaustausch an den damaligen Premierminister Romano Prodi richten. Dann die brutale, aufgenommene Exekution des Fahrers Sayed, um ihre Forderungen zu unterstreichen. Von dieser Szenerie – ohne die eigentliche Exekution zu sehen – gibt der Einblick der Video-Dokumentation der Tageszeitung „La Repubblica“ wieder. (http://www.youtube.com/watch?v=tDyQwG7ah6M)

Selbst die Befreiung war ein verlogenes Versprechen – zumindest für Ajmal. Beide Journalisten wurden an unterschiedlichen Orten befreit. Mastrogiacomo bekam in Laschkargah den rettenden Hinweis, direkt per Luftverkehr nach Kabul zu gelangen. Denn die Taliban würden Mastrogiacomo wieder gefangen nehmen. Diesem Hinweis blieb seinem Kollegen Ajmal leider verwehrt – ein paar Stunden nur nach seiner Freilassung, wurde er wieder von den Taliban entführt. Nach einigen Kommunikationspannen mit der Karsai-Regierung wird Ajmal geköpft – diese bestürzende Nachricht erreichte Mastrogiacomo zu Ostern am 8. April 2007.

Dem italienischen Journalisten gelingt es in seinem sehr persönlichen Bericht – eine Mischform zwischen Tagebuch, Bericht und Reportage mit romanhaften Beschreibungen – der Taliban mehrere Gesichter zu geben. Mit einigen Talibans hat er während seiner Gefangenschaft reden können – meist waren es Gespräche über Religion. Aber man erfährt auch, dass sich auch gut ausgebildete und kluge Personen der Taliban anschließen. Doch wenn Mastrogiacomo der Taliban zu Recht unterstellt, das Land in das Mittelalter zurückzuführen, vermisst man bei ihm seine Beschreibungen zur technischen Aufgeschlossenheit der Taliban zu erklären. So nutzen sie selbstverständlich Satellitentelefone oder MP-3-Player. Interessant ist auch, dass die Taliban aufputschende Drogen konsumieren – obwohl der Islam den Drogenkonsum verbietet. Mastrogiacomo zeigt so eine weniger monolithische Taliban, die Widersprüche mit den islamischen Geboten zulässt. Es zeigt allerdings sehr deutlich, dass es den Taliban-Führern um bedingungslosen Gehorsam und Macht geht.

Leider schildert Mastrogiacomo nicht die genauen Umstände der Freilassung zwischen Rom, Kabul und der Vermittlungskommunikation – einige Sachverhalte setzt der Journalist voraus. Zumindest in der deutschen Übersetzung hätte als Anhang erklärt werden können, wie die Vermittlungen durch Nachrecherche geschehen sind. Da Mastrogiacomo ein Vollblutjournalist ist, fällt es ihm schwer, über seine Gefühle zu schreiben. Seine Furcht, Angst, Wut, Ohnmacht wirken bei der journalistischen distanzierten Beschreibung aufgesetzt.

Dennoch: Mastrogiacomo tat gut daran, seine Geschichte der Taliban-Entführung aufzuschreiben. Nicht nur für ihn selbst – als eine Art Bewältigungstherapie –, sondern auch den Feind der NATO-Truppen aus nächster Nähe zu beschreiben. Und es ist nichtsdestoweniger eine Hommage an die beiden ermordeten Kollegen, die für ein taliban-freies Afghanistan ihr Leben eingesetzt haben. Das ist die wohl wichtigste und hoffnungsvolle Botschaft aus diesem immer noch verworrenen Krieg am Hindukusch!

Weblink: Klett-Cotta Verlag


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