Von Roland H. Wiegenstein
„Mehr Licht!“, so nach der Legende Goethes letzte Worte. Und so auch die Überschrift von Terence James Reeds Buch, das „Eine kleine Geschichte der Aufklärung“ in Deutschland verspricht. Er hält das Versprechen und das auf seine so helle Weise, dass man ihn selbst für einen fröhlichen Aufklärer halten muss. „Aufklärung“ hierzulande, das macht mindestens angelsächsische Leser erstaunen. In London oder Leeds kennt man zwar Voltaire, Diderot, Rousseau, allenfalls noch Kant – aber sonst? Reed, lange Jahre Germanist an der Universität Oxford, sticht seinen Landsleuten den Star und uns, seine deutschen Leser macht er mit einer der glücklichsten deutschen Überlieferungen bekannt. Ihm geht es darum: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, oder – auch von Kant: „die Maxime, jederzeit selbst zu denken.“ Das war (und ist) nicht selbstverständlich, gab (und gibt) es doch genügend Kräfte, die den Gebrauch der eigenen Vernunft für überflüssig, gar schädlich hielten (und halten): Kirche und Staat, eingefleischte Tradition und – die eigene Faulheit. Gegen alle ist Kant in seinen „Kritiken“ und seinen Aufsätzen angegangen; zu seiner Vernunft gehörte es freilich auch, die herrschenden Autoritäten, die einigen seiner Vorgänger den Prozess gemacht hatten, nicht allzu sehr aufzuschrecken.
Die meisten waren ohnedies nicht in der Lage, seine ebenso präzisen wie komplizierten Sätze überhaupt zu lesen, geschweige denn zu verstehen. Kant hat Reed viele eigene Sätze gewidmet, sie dienen alle dazu, den großen Philosophen verständlicher zu machen, wobei auch alle Aporien des Königsberger Professors zur Sprache kommen – Selbstdenken ist keine einfache Sache! Aber nicht nur Kant ist sein Thema, sondern auch Lessing, Schiller, Goethe, Lichtenberg sind es – alle Säulenheiligen jener Epoche kommen bei ihm vor, werden in einfachen, gescheiten Sätzen analysiert, und bei denen, die sich selbst kaum als Aufklärer bezeichnet hätten, spürt er dem aufklärerischen Potential ihrer Texte nach – und findet es! In der Tat sind es vor allem die Dichter und die Nicht-Angepassten, denen sein Augenmerk gilt. Denn er betrachtet auf eigene Gefahr selbst zu denken, als eine gesellschaftliche Tätigkeit, zu der es gehört, das Gefundene selbst „kritisch“ zu sehen. „Letztlich hingen – und hängen – die Freiheiten, die die Aufklärung einklagte, untrennbar miteinander zusammen, ein unaufhaltsamer dynamischer Prozess: Denkfreiheit drängt über die Privatsphäre hinaus zur Redefreiheit, diese bricht sich Bahn durch die Druckfreiheit, in Kants altmodischer Formel, die ‚Freiheit der Feder’, die das ‚Palladium der Volksrechte’ sei… Genau besehen, bilden die genannten Stationen der Freiheit einen Übergang von der Defensive – von der Verteidigung seiner Rechte durch den Untertanen - zur aktiven Kritik des Bürgers an den Handlungen der Herrscher, die ihn eben auch betreffen.“
Reed behandelt den Kampf um die Pressefreiheit - also die Ablehnung der Zensur. „Als letzte Station winkte logisch immer von Ferne die Informationsfreiheit, wie sie in heutigen Demokratien grundsätzlich gewährt, doch immer noch von der Regierungspraxis möglichst eingeschränkt oder blockiert wird.“
Ihm geht es nicht um müßige Gedankenspiele, sondern um die konkrete Freiheit des Subjekts. Darum behandelt er ausführlich auch die stets wachen Gegenkräfte, etwa die „Logik der Intoleranz“, die ihrer Sache allzu sicher, in Rechthaberei, gar Gewalt münde. Er lässt sich kritisch mit den Offenbarungsreligionen ein (wobei er so entschieden vorgeht, dass deren Anhänger bis heute den Autor wohl auf den Scheiterhaufen werfen würden, hätten sie dazu nur die Macht.) Reed beschäftigt sich auch mit der Französischen Revolution, die so viele (nicht Kant!) so erschreckt hat, dass sie nach neuen Autoritäten verlangten: staatlichen und geistigen. Also gehören auch die Romantiker ebenso wie Illuminaten und Freimaurer in sein Aufklärungsprogramm. (Sehr schön, wie er den Bruch zwischen den beiden Teilen des „Wilhelm Meister“ analysiert!) Auch Hegels „Weltgeist“ kommt schlecht weg. Wenn er dem von ihm verehrten Goethe die schuldige Reverenz erweist, so mit einer eigenwilligen und überzeugenden Pointe, die dessen Naturbegeisterung beobachtet. Und den offen aufgeklärten Jacobi gegen ihn in Schutz nimmt. Der aber, den er als den freiesten der Geister in einer Epoche der Umbrüche preist, ist Georg Christoph Lichtenberg. „’ Die wahre Ehre der Kronen’ bestehe, so Lichtenberg, darin, ob ‚ihre Untertanen bei einem mäßigen Einkommen und bei geraden Gliedern glücklich’ seien, oder ob man ‚Hunderttausende schlachtet oder zu Krüppeln schießen lässt, um ein paar Krämer zu bereichern und von den Abfall des Überflusses Edelsteine für die Krone zu kaufen.’“ Dies Lichtenberg-Wort zitiert ausgerechnet: Kant.
Für Reed geht es um „die Knochenarbeit bei der allmählichen Befreiung des Menschen von Dogma und intellektueller Willkür“ – und die ist noch keineswegs zu Ende gebracht. „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“ So Adorno/Horkheimer in der Unheils-Nazi-Zeit am Beginn ihrer „Dialektik der Aufklärung“. Reed würde in diesem Satz das „vollends“, nicht unterschreiben, denn bei ihm steht: „Die Beste aller möglichen Welten ist keine Feststellung, aber schon ein Ziel. Sie ist, mit Schiller zu reden, eine Aufgabe für mehr als ein Jahrhundert. Zumal für das immer noch krumme Holz, aus dem wir gemacht sind.“
Der Aufklärung mit allen Schwächen und Nöten die Ehre zu erweisen, das hat Reed geschafft. Er ist auf angenehm nüchterne Weise frohen Muts: noch ist die Weltgeschichte nicht zu Ende.
Literaturangabe: REED, TERENCE JAMES: Mehr Licht in Deutschland – Eine Geschichte der Aufklärung, C.H. Beck Verlag , München 2009. 235 S., 14,95 €.
Weblink: C.H. Beck